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Winterschäden: Berlins Straßen sind Schrott

Der Winter bringt es an den Tag: Es gibt immer mehr Schlaglöcher, aber kein Geld für Reparaturen. Soforthilfe ist nicht in Sicht. Schicken Sie uns Fotos der nervigsten Schlaglöcher an leserbilder@tagesspiegel.de.

Kaum lässt das nahende Tauwetter darauf hoffen, dass Schnee und Eis von den Straßen verschwinden, kommt das nächste Ärgernis zum Vorschein: Tausende Schlaglöcher machen aus den Straßen Ruckelpisten. Zahlreiche Abschnitte sind gesperrt, weil die Bezirke die Löcher erst notdürftig ausbessern müssen. Um nach dem Winter alle Schäden ordentlich zu beheben, fehlt in den Bezirken aber das Geld. Und ein Sonderprogramm zur Schlaglochbeseitigung wie im vergangenen Jahr ist noch nicht in Sicht. Damals hatte der Senat zusätzlich 25 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

„Da ist noch lange nichts spruchreif“, heißt es aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Vorerst müssen die Tiefbauämter der Bezirke mit insgesamt 29,8 Millionen Euro aus dem Haushalt auskommen. So viel wird auf die Bezirke je nach Fläche aufgeteilt, sagte Sprecher Mathias Gille von der Stadtentwicklungsverwaltung. Über zusätzliche Mittel wolle man erst nach dem Ende des Winters entscheiden, noch fehle Überblick über die Schäden. Geld für derlei Finanzspritzen sei noch keines da. Das Sonderprogramm im vergangenen Jahr sei mit Geldern aus dem Konjunkturpaket II finanziert worden.

Noch im vergangenen Herbst hatte Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) angekündigt, sich dafür einsetzen zu wollen, dass die Bezirke jährlich 40 Millionen Euro für die Straßensanierung bekommen. Doch das sei viel zu wenig, heißt es unisono in den Rathäusern und im Parlament. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Abgeordnetenhaus, Klaus-Peter von Lüdeke, fordert jährlich 100 Millionen Euro und kritisiert „eine unverantwortliche Flickschusterei zulasten der Sicherheit des Auto- und Wirtschaftsverkehrs“. Insgesamt gebe es in der Stadt einen Instandhaltungsstau von mehr als 450 Millionen Euro. Um den aufzulösen, müssten im Jahr mindestens 80 Millionen Euro ausgegeben werden, sagt Oliver Friederici, verkehrspolitischer Sprecher der CDU. Dabei müsste vor allem der etwa zehn Zentimeter unter der Straßendecke beginnende Unterbau erneuert werden. „Das Geld für die Beseitigung der Winterschäden muss beschafft werden, sonst müssen die Straßen gesperrt werden“, sagte Friederici. Grünen-Abgeordnete Claudia Hämmerling warnt dagegen, den Bezirken 100 Millionen Euro im Jahr zu geben. Dann gebe es noch mehr Baustellen und Berlin ersticke im Stau. 40 Millionen müsse Junge-Reyer mindestens ausgeben. Mit Blick auf die geplante Umgestaltung der Invalidenstraße in Mitte forderte sie: Erst instandsetzen, bevor etwas neu gebaut wird.

Die Berliner indes müssen Slalom um die Schlaglöcher fahren oder im Stau warten, weil Straßen wegen der Schäden teilweise gesperrt werden. Am Dienstagnachmittag verzeichnete die Verkehrsmeldezentrale zahlreiche, teilweise gesperrte Abschnitte. So war auf dem Autobahnring A100 an mehreren Stellen der rechte Fahrstreifen nicht mehr nutzbar. Gleiches galt auf der Seestraße in Wedding und der Müllerstraße in Reinickendorf.

Dem 5800 Kilometer langen Berliner Straßennetz stellt der ADAC ein schlechtes Zeugnis aus. Zwei Drittel seien marode und rissig, sagte Jörg Becker, Leiter Verkehr Berlin-Brandenburg. Den Grund sieht er in der Sparpolitik des Senats. Die Gelder für die Instandsetzung seien in den vergangenen 15 Jahren viel zu wenig gewesen. Für die kommenden Monate prognostiziert er ein „wesentlich stärkeres Dilemma als im Frühjahr 2010“.

Den Tiefbauämtern der zwölf Bezirke machen die ständigen Wechsel von Frost und Plusgraden die Arbeit schwer. Tagsüber dringt Nässe in die Straßendecke ein, nachts gefriert das Wasser und der Asphalt bricht auf. „Uns bröseln die Straßen unterm Hintern weg“, sagt Pankows Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne). Kaum ist ein Loch gefüllt, tut sich das nächste auf. Besonders aufpassen müssen die Autofahrer in Kirchners Verantwortungsbereich auf der Berliner Allee und in der Florastraße. Von Pankows 584 Kilometer Straßen seien 100 Kilometer „Schrottstraßen“, sagt der Stadtrat. Dabei würden die Winterschäden in der Masse weniger, aber die einzelnen gravierender, weil sich der Zustand der Straßen verschlechtere. 3,6 Millionen bekomme der Bezirk in diesem Jahr vom Senat, sagt Kirchner. 7 Millionen Euro bräuchte er aber jährlich, um Straßen, Geh- und Radwege zu erhalten.

Um alle seit Jahren fälligen Instandhaltungen anzugehen, müssten Charlottenburg-Wilmersdorf insgesamt 100 Millionen Euro zugewiesen werden, sagte Baustadtrat Klaus-Dieter Gröhler (CDU). 2011 bekomme der Bezirk etwas mehr als 2 Millionen. „Die Schwarzdecken fliegen uns um die Ohren“, sagt Gröhler. Er befürchtet einen Kollaps der Straßen, wenn sie weiterhin vernachlässigt würden, und führt als Negativbeispiel die S-Bahn an. Sein Neuköllner Kollege Thomas Blesing (SPD) spricht von „katastrophalen“ Zuständen. „Dieser Winter hat vier Wochen früher begonnen als im vergangenen Jahr und wird deswegen noch schlimmer für die Straßen“, warnt der Baustadtrat. Spandaus Tiefbauamtsleiter Michael Spiza denkt bereits über Geschwindigkeitsbegrenzungen nach, wo die Straßen besonders schlimm aussehen, wie am Verkehrsknotenpunkt am Falkenseer Platz. Zwei Drittel der Straßen des Bezirks seien beschädigt.

Bis die Straßen irgendwann frei von Schlaglöchern sind, müssen sich die Berliner noch ein bisschen fühlen wie zu DDR-Zeiten, als die Trabis über noch schlimmere Schlaglochpisten holpern mussten.

Sind Sie auch genervt von den Schlaglöchern, die jedes Jahr aufs neue den Berlinern das Leben schwer machen? Wir suchen die tiefsten, kuriosesten oder auch einfach nur die nervigsten Schlaglöcher. Machen Sie mit! Senden Sie uns ein Bild Ihres "Lieblingsschlaglochs" an leserbilder@tagesspiegel.de

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