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Es rollt: Auf der Stadtautobahn A100 nahe der Ausfahrt Schmargendorf.

© imago/photothek

Verkehrssenatorin Regine Günther: "Das alte Mobilitätskonzept hat ausgedient"

Die Verkehrssenatorin sagte den Satz der Woche: Die Menschen sollen ihr Auto abschaffen. Im Tagesspiegel nennt sie ihre Ideen für Berlin. Ein Gastbeitrag.

Selten habe ich so viele Reaktionen erhalten wie für einen Satz, den ich kürzlich in einer Rede vor Mittelständlern aus der Berliner Wirtschaft gesagt habe. Er lautet, eingebettet in eine Darstellung moderner Verkehrspolitik für die Metropole Berlin: „Wir möchten, dass die Menschen ihr Auto abschaffen.“ Damit scheint, wenn ich mir die Bandbreite von jubelnder Zustimmung bis erbitterter Ablehnung dazu anschaue, ein Nerv getroffen. Ein sehr empfindlicher Nerv.

Und zwar völlig zu Recht. Die Menschen, nicht nur in Berlin, spüren, dass wir in der Verkehrspolitik an einem entscheidenden Wendepunkt sind. Tatsächlich wird es höchste sogar Zeit: Insbesondere große Städte brauchen dringend neue Weichenstellungen für eine moderne Mobilität – die komfortabel, klimafreundlich und sicher ist.

Berlin hat die Chance, diese Weichenstellung so rechtzeitig vorzunehmen, dass gravierende Probleme samt lebenseinschränkender Umweltverschmutzung wie in anderen Metropolen abgewendet werden können. Aber dann müssen wir jetzt handeln. Die Verkehrspolitik für unsere Stadt von heute muss sich an einer nachhaltigen Idee für die Mobilität von morgen ausrichten – sonst werden wir nicht erfolgreich sein. Ich will im Folgenden darstellen, an welchen Zielen wir unsere Politik dafür ausrichten.

Es ist wichtig, sich drei Megatrends zu vergegenwärtigen, die für eine nachhaltige Verkehrspolitik in sich rasant wandelnden Metropolen von herausragender Bedeutung sind: die Urbanisierung, die Digitalisierung und die Dekarbonisierung.

Regine Günther (parteilos, für Grüne) ist seit 2016 Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz.
Regine Günther (parteilos, für Grüne) ist seit 2016 Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz.

© imago/IPON

Dürfen steigende Zahl der Pendler nicht vergessen

Die fortschreitende Urbanisierung ist ein weltweites Phänomen, zeigt sich aber auch in Berlin hochaktuell: Anders als noch um die Jahrtausendwende gedacht, steigt die Bevölkerung in Berlin deutlich an, allein 2018 ist die Einwohnerzahl Berlins rein rechnerisch um so viele Menschen gestiegen, wie in Gropiusstadt leben. Und dieser Trend wird sich nach den vorliegenden Prognosen fortsetzen.

Mit Blick auf die erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung dürfen wir in Berlin dabei auch die steigende Zahl von Pendlern nicht vergessen. Berlin ist, drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall, selbstverständlicher Teil der Metropolregion Berlin-Brandenburg.

Auch die Digitalisierung ändert unser Leben. Der Übergang zu einer datenbasierten Wirtschaft bietet gerade in Berlin eine Vielzahl von Chancen. Das kreative Potenzial dieser neuen Wirtschaftsbereiche wird Menschen anziehen, für die die Lebensqualität des städtischen Raums eine große Rolle spielt - und damit auch die Angebote an Mobilität. Moderne, nachhaltige Mobilität wird zum Standortfaktor.

Mit der Dekarbonisierung wird dazu unser gesamtes Energie-, Verkehrs-, und Wirtschaftssystem in einer nicht gekannten Geschwindigkeit umgestaltet werden müssen, wenn wir der weltweiten Herausforderung des Klimawandels gerecht werden wollen.

Wir werden unsere Systeme schnellstmöglich von den fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energien umstellen müssen. Dass unsere eigenen Kinder darauf jetzt bei den #FridaysForFuture-Demonstrationen vehement pochen, sollte uns deutlich machen, dass sie es sind, die mit den Folgen unseres politischen Handelns zu leben haben.

Moderne Mobilität muss sicher, sauber, leise, klima- und umweltfreundlich sein

Die bisherige Organisation unserer Mobilität hat lokale Probleme in erheblichem Ausmaß geschaffen. Hierzu gehören eine gesundheitsgefährdende Luftverschmutzung, eine wachsende Zahl von Stunden, die Menschen im Stau verbringen, viel zu viele Verkehrstote und -schwerverletzte.

Die Leistungsfähigkeit und die Qualität des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin sind an vielen Stellen verbesserungswürdig. Sie ist aber auch Ergebnis von Versäumnissen der Vergangenheit. Nicht zuletzt ist die heutige Infrastruktur in keiner Weise auf die schnell wachsende Zahl von Radfahrenden oder auch auf neue Verkehrsmittel wie Elektro-Tretroller ausgelegt.

Die Lösung dieser lokalen Probleme im Rahmen der drei genannten Megatrends kann daher nur lauten: Moderne Mobilität muss sicher, sauber, leise, klima- und umweltfreundlich sein – und sie muss gewährleisten, dass Menschen und Wirtschaftsgüter schnell, komfortabel und flexibel von A nach B kommen.

Aus dieser Perspektive wird klar: Das alte Mobilitätskonzept der „autogerechten Stadt“ stößt an seine Grenzen, mehr noch: Es hat ausgedient. Wir brauchen ein neues Leitbild. Berlin ist jetzt schon Stau-Spitzenreiter in Deutschland, und es wird deutlich, dass die Berliner Infrastruktur die 1,4 Millionen Fahrzeuge (davon 1,2 Millionen privat) nicht verkraften kann. Auf Dauer übrigens auch nicht durch bessere Baustellenkoordination oder optimierte Ampelschaltungen, wie viele gern argumentieren.

Natürlich arbeiten wir daran, natürlich werden wir weiterhin Brücken und Straßen sanieren. Es wäre aber eine fahrlässige Illusion anzunehmen, dass wir das grundsätzliche Problem dadurch auch nur ansatzweise lösen könnten.

Eine „autogerechte Stadt“ ist auch angesichts zunehmender Nutzungskonkurrenzen um die in der Stadt nicht ausweitbare Ressource Fläche nicht mehr haltbar. In einer wachsenden Stadt wird Fläche zum wichtigsten Gut. Das alte Mobilitätskonzept verschlingt in Berlin genau von diesem knappen Gut enorme Ressourcen. Es sind Flächen, die dringend für Wohnraum, für Erholungs- und Grünflächen, aber eben auch für Büros, Betriebe und andere Wertschöpfungsbereiche benötigt werden.

Unser erstes Ziel ist es deshalb, möglichst viele Autofahrerinnen und Autofahrer von der Straße in den Umweltverbund aus Öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV), Fahrrad- und Fußverkehr zu bringen. Je weniger Autos auf den Straßen fahren müssen, desto besser.

Platz für diejenigen, die wirklich auf das Auto angewiesen sind

Es soll Platz für diejenigen sein, die wirklich auf das Auto angewiesen sind, wie Handwerker, Lieferverkehr, Polizei oder Pflegedienste.

Diejenigen, die in einem solchen Umfeld kein Auto mehr brauchen, sollen und werden es dann auch abschaffen. Genau dies meint mein umstrittener Satz vom Beginn. Übrigens wird gerade der für eine Dienstleistungsstadt wie Berlin so wichtige Wirtschaftsverkehr von solch einer Politik profitieren. Das wissen auch Wirtschaftsvertreter.

Für Berlin haben wir im vergangenen Jahr Deutschlands erstes Mobilitätsgesetz verabschiedet. Es ist die gesetzliche Grundlage für eine Verkehrswende, die dem Umweltverbund aus Bahn-, Bus-, Rad- und Fußverkehr den Vorrang einräumt. Die erste finanzielle und konzeptionelle Unterlegung dieser Verkehrswende ist für den ÖPNV, dem Rückgrat der neuen Mobilität, ist mit dem soeben beschlossenen neuen Nahverkehrsplan gelungen.

In den kommenden 15 Jahren werden in Berlin für gut 28 Milliarden Euro Maßnahmen für einen attraktiveren ÖPNV umgesetzt. Auch für die bessere Anbindung der Pendelnden aus dem Umland werden wir mit einem guten ÖPNV-Angebot sorgen. Das Zusammenwachsen der Metropolregion Berlin-Brandenburg durch eine viel bessere Schieneninfrastruktur ist eines der zentralen Zukunftsthemen.

Parallel zum ÖPNV wird sukzessive eine sichere und komfortable Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur aufgebaut. Hierzu gehören unter anderem geschützte Radwege, Radschnellverbindungen oder auch sichere Radabstellplätze.

Um es sehr klar zu sagen: Es geht gerade nicht um einen Kulturkampf gegen das Auto. Es geht darum, die Mobilität in unserer Stadt für alle zu sichern. Wir verbessern die Lebensbedingungen aller und machen unsere Stadt so lebenswerter und attraktiver.

Kein Kulturkampf gegen das Auto

Dafür müssen wir auch die Nutzung fossiler Energieträger so schnell wie möglich beenden. Der Verbrennungsmotor hat keine Zukunft, Klimawandel und Luftverschmutzung erfordern Alternativen.

Der Senat von Berlin hat deshalb beschlossen, die gesamte Busflotte bis 2030 zu elektrifizieren. Die ersten Busse werden im Frühjahr 2019 auf Berlins Straßen fahren, die Betriebshöfe werden schrittweise auf diese Technologie von morgen umgerüstet. Ladesäulen für Elektrofahrzeuge werden ausgebaut und der landeseigene Fuhrpark auf Hybrid- und Elektroautos umgerüstet.

Unser drittes Ziel ist die sogenannte „Vision Zero“. Es sollen möglichst keine Menschen mehr im Verkehr zu Tode kommen oder schwer verletzt werden. Im Jahr 2018 wurden in Berlin 45 Personen im Straßenverkehr getötet. Zwei Drittel davon waren Radfahrer und Fußgänger. Für diese schwächeren Verkehrsteilnehmer wird inzwischen mehr Schutz eingefordert.

Gesellschaftlich hat sich auch hier ein Wandel vollzogen. Tote und Schwerverletzte als Kollateralschäden des aktuellen Mobilitätssystems werden nicht mehr einfach hingenommen. Völlig zu Recht: Unfälle mit rechtsabbiegenden LKW etwa haben sich inzwischen zu einer Standardsituation entwickelt. Dies ist nicht länger hinnehmbar.

Auch deshalb ist der Senat von Berlin dabei, die Infrastruktur systematisch so umzubauen, dass alle Verkehrsteilnehmenden genügend Raum erhalten. Und wir setzen uns auf allen Ebenen dafür ein, dass Abbiegeassistenten für LKW zum Regelfall werden. Meine Senatsverwaltung prüft derzeit, ob ein City-Einfahrverbot für Lkws ohne Abbiegeassistenten möglich wäre. Auch die Berliner Wirtschaft ist hier in der Verantwortung.

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Zu einer neuen Mobilität gehört im digitalen Zeitalter selbstverständlich auch die Vernetzung, mehr als je zuvor: Auto, Fahrrad oder Elektro-Fahrzeuge können über eine App mit den Angeboten von Bahn und Bus so verbunden werden, dass die schnellsten und günstigen Wegekombinationen unproblematisch gefunden werden. In intelligenter, flexibler Vernetzung und dem Teilen der Verkehrsmittel („Sharing“) liegt die Zukunft.

Konkurrenz mit Paris, London, Moskau oder Los Angeles

Von einer solchen Verkehrswende – eigentlich einem neuen Mobilitätssystem, mit dem wir zugleich auch Stadtentwicklung vorantreiben – werden alle profitieren. Weil Beschäftigte entspannter an ihre Arbeitsplätze gelangen, Waren pünktlich geliefert werden, Dienstleister schneller vor Ort sind, weil Flexibilität die Freizeitgestaltung verbessert, die Straßen leerer, leiser und sicherer sind, weil die Luft sauberer ist und wir die knappe Ressource Fläche in unserer Stadt besser nutzen.

Ich bin mir sicher, dass die Leistungsstärke und die Lebensqualität in unserer Stadt untrennbar miteinander verbunden sind. Gerade kreative Köpfe entscheiden sich nicht etwa wegen einer neuen Autobahn für ihren Lebensmittelpunkt. Berlin steht dabei in internationaler Konkurrenz mit Städten wie Paris, London, Moskau oder auch Los Angeles. Alle diese Metropolen setzen auf weniger Autos in Innenstädten, besseren ÖPNV und bessere Infrastruktur für das Fahrrad und die Fußgänger.

Nur wenn wir die alten Mobilitätskonzepte überwinden, werden unsere Städte die Attraktivität erlangen, auf die gerade junge Menschen hoffen. Und wir sollten alle Kraft auf die Zukunft richten, statt Kulturkämpfe von gestern auszutragen.

Regine Günther (parteilos, für Grüne) ist seit 2016 Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. Die 57-Jährige lebt seit den 80ern in Berlin.

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Regine Günther

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