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Der Reichstag: Die Verwaltung befürchtet das Gebäude könnte durch den Tunnelausbau beschädigt werden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Exklusiv

Verlängerung der S-Bahn-Linie 21: Bundestag blockiert Ausbau von Bahntunnel

Weil der Bundestag den Bau eines Tunnels blockiert, droht ein Bau-Desaster. Die Kosten könnten explodieren und mehrjährige Verkehrssperrungen folgen.

Der Bundestag bremst den Ausbau der Berliner S-Bahn. Seit über zwei Jahren blockiert die Verwaltung des Bundestages die Planungen für die unterirdische Verlängerung der S-Bahn-Linie 21 vom Hauptbahnhof zum Potsdamer Platz – weil man keinen Tunnel nahe dem Reichstagsgebäude will. Dies sagte ein leitender Senatsbeamter dem Tagesspiegel. Sollte sich die Politik durchsetzen, würden die Kosten explodieren, der Zeitplan wäre Makulatur und ein bereits fertiger Tunnel am Potsdamer Platz müsste abgerissen werden.

Die Pressestellen von Bundestagsverwaltung und Bahn bestätigten in dürren Worten diese Information des Tagesspiegels. Man stehe „aktuell in intensivem Austausch mit der Bundestagsverwaltung und dem Ältestenrat des Deutschen Bundestags“, teilte die Bahn mit. Fast wortgleich und ebenso karg die Stellungnahme der Politik, hier ist von „intensiven Gesprächen zur künftigen Streckenführung“ die Rede.

Ursprünglich sollten die Züge 2022 auf dieser zweiten unterirdischen Nord-Süd-Strecke rollen und den Hauptbahnhof anbinden. Dann hieß es 2030, nun nennt die Verkehrsverwaltung sicherheitshalber das Jahr 2035. Viele Jahre zu spät ist auch der nördliche Teil der S21.

Seit 2010 wird am ersten Bauabschnitt nördlich vom Hauptbahnhof gegraben, 2021 – also nach elf Jahren – sollen die Züge in einer Art Spitzkehre vom Nordring zum Hauptbahnhof und zurück fahren. Dieses „Kopf machen“, also umkehren, ist betrieblich schwierig und zeitraubend, für Fahrgäste sinnlos. Sinn macht die S21 nur, wenn die Züge weiterfahren vom Hauptbahnhof zum Potsdamer Platz. Hier hätten die Züge Anschluss an die beiden Strecken nach Süden, also Richtung Wannsee und Südkreuz.

Es droht eine zweijährige Tunnelsperrung

„Die Bundestagsverwaltung befürchtet mögliche Beschädigungen der Regierungsgebäude und Beeinträchtigungen des Sitzungsbetriebes des Deutschen Bundestages durch den Bau“, erklärt Jan Thomsen, Sprecher der Verkehrsverwaltung, die Blockadehaltung.

An der Spitze des Bahnkonzerns wird schärfer formuliert: „Die haben Angst, dass sie wie das Kölner Stadtarchiv vom Untergrund verschluckt werden.“ Im Jahr 2009 war in Köln das Historische Archiv durch einen Wassereinbruch in die Tunnelbaustelle eingestürzt. Zwei Menschen starben, wertvolle Archivalien versanken in Wasser und Schlamm. Zuvor waren durch den Bau des U-Bahn-Tunnels mehrere Gebäude beschädigt worden.

Offenbar hat die Bahn in den bisherigen Verhandlungen den Parlamentariern die Angst vor einem ähnlichen Einsturz nicht nehmen können. Die Bahn würde gerne östlich und westlich des Reichstags für jedes Gleis eine Röhre bohren, das Gebäude also an beiden Seiten umfahren. Sollte sich die Bundestagsverwaltung mit ihrer Forderung nach mehr Abstand durchsetzen, wären die Folgen fatal. Denn dann würde die Strecke nicht da ankommen, wo ein bereits fertiger Tunnel wartet, nämlich der so genannte „Heuboden“.

Bereits Ende der 1930er Jahre war ein Tunnel unterhalb der Ebertstraße vom Potsdamer Platz bis kurz vor das Brandenburger Tor gegraben worden. Es fehlt „nur“ das Stück bis zum Hauptbahnhof. Doch dieser Kilometer bis zum Hauptbahnhof ist extrem kompliziert und eng, wegen der vielen anderen Tunnel und des geplanten unterirdischen Besucherzentrum am Reichstag.

S-Bahn der Linien S1, S2 und S25 fahren derzeit im Nord-Süd Tunnel in Berlin: hier im Bahnhof Potsdamer Platz.
S-Bahn der Linien S1, S2 und S25 fahren derzeit im Nord-Süd Tunnel in Berlin: hier im Bahnhof Potsdamer Platz.

© Thilo Rückeis

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Sollte der Bundestag hart bleiben, müsste die S21 in einer S-Kurve nach Süden geführt werden und dann in den bestehenden Nord-Süd-Tunnel hineingebrochen werden, ohne den „Heuboden“. Für Fahrgäste wäre das eine Katastrophe, denn dann müsste der alte Nord-Süd-Tunnel voraussichtlich zwei Jahre gesperrt werden. Dabei wurde die S21 immer damit begründet, dass der alte Tunnel über die Friedrichstraße mit 120.000 Fahrgästen am Tag „ausgelastet“ sei.

Kosten könnten sich weiter erhöhen

2007 hatte die Verkehrsverwaltung mitgeteilt, dass der 2. Bauabschnitt „ca 110 Millionen Euro“ kosten werde, da es eine „günstige Kostensituation aufgrund der Vorleistungen von 1939“ gebe – den „Heuboden“ Tunnel. Damals hatte der Senat auch mitgeteilt, dass die Trasse für die S21 „gesichert“ sei – was voreilig war.

2017 sind Kosten von 900 Millionen genannt worden für alle drei Abschnitte. Irgendwann soll es nämlich südlich des Potsdamer Platzes weitergehen Richtung Süden. Am Gleisdreieck könnte dann ein großer Umsteigebahnhof zwischen U- und S-Bahn entstehen, wovon Planer seit Jahrzehnten träumen. 2018 hatte die SPD beantragt, die Planung für den 3. Abschnitt der S21 zu beschleunigen. Auch für diesen wurde bereits auf Vorrat gebaut, zum Beispiel ist das Hotel Scandic am Potsdamer Platz um den Tunnel herumgebaut. Für den 3. Bauabschnitt nannte Thomsen als „Grobzeitplan“ das Jahr 2036. Dieser sei wie der für den zweiten Abschnitt „noch sehr vorläufig, sie können sich also noch deutlich ändern.“ Eine neue Kostenschätzung gebe es nicht.

Berlins Bahnchef Alexander Kaczmarek sagte dem Tagesspiegel, er sei zuversichtlich, dass es im ersten Quartal 2020 eine Einigung geben werde, die Gespräche mit der Baukommission des Bundes verliefen „gut“. Etwas anderes sollte ein Bahnchef vermutlich auch nicht sagen, schließlich ist der Bund der Eigentümer der Bahn. Schon vor Jahren hatte der Bundestag bereits einen Halt der S21 am Reichstagsgebäude verhindert. Zwischen Potsdamer Platz und Hauptbahnhof werden die Züge deshalb nicht halten.

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