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Berlin: Vernäht und zugeklebt

Grit und Jerszy Seymour machen Mode mit Tape – und sind dabei durchaus erfolgreich

Tape – das ist der Stoff, mit dem sich Sportler so gern umwickeln. Um ihre Fingerknöchel zu schützen, ihre Brustwarzen und Ohrringe. Tape ist aber auch der Stoff, mit dem Grit und Jerszy Seymour Mode machen. Und das durchaus erfolgreich. Jetzt, fast zwei Jahre nachdem sie ihre erste Kollektion in Paris im Palais de Tokyo als Installation präsentierten, müsste auch dem letzten Skeptiker klar sein, dass Tape kein saisonaler Witz war – „Tape ist unser tödlicher Ernst“, sagt der 36-jährige Designer.

Die Umzugskartons sind immer noch da – seit einem Jahr leben und arbeiten Grit und Jerszy Seymour nun schon in Mitte. Doch immer wieder stößt man in Berichten über das Designer-Ehepaar auf die Beschreibung unausgepackter Kisten. Es ist einfach soviel zu tun: Grit Seymour entwirft für verschiedene Modefirmen Kollektionen, Jerszy, Ingenieur und Industriedesigner, entwickelt aus neuen Materialien Möbel und Objekte für Ausstellungen auf der ganzen Welt. Gerade ist sein „Easy Chair“ auf den Markt gekommen, ein knallbunter, stapelbarer Kunststoffstuhl, der 250 Kilo aushält und extrem pflegeleicht ist.

Und zusammen machen sie Kleidung unter dem Namen Tape. Was Tape besonders und in jeder Saison unverkennbar macht, ist die bestechend einfache Fertigungstechnik. Die T-Shirts, Kleider und Anzüge werden nicht durch Nähte zusammengefügt, sondern mit einem speziell entwickelten Klebeband.

Das Band erfüllt mehrere Funktionen: Es hält zusammen, ist grafisches Schmuckelement und dient als Erkennungszeichen, das jedes Logo ersetzt. Die Technik hat sich im Alltag und in der Waschmaschine bewährt – inzwischen gibt es Bikinis, Jeans und Kaschmirpullover von Tape.

Die Produkte zu modischen Artikeln zu machen, gehört zu Grit Seymours Aufgaben. Für die aktuelle Frühjahr/Sommer-Kollektion benutzte sie das Klebeband, um T-Shirts und Tops zu drapieren – im Schneiderhandwerk eine zeitaufwändige Technik, hier eine kurze Aktion. So entstand auch „Tape Couture“: Ein schwarzer, sackförmiger Overall wird direkt am Körper mit kreuz und quer um den Stoff gewickeltem lilafarbenem Klebeband in Form gebracht.

Dass das alles in Berlin passiert, findet das Ehepaar, das schon in Mailand, London, New York und Paris gearbeitet hat, schlicht entspannend. „Lost city for lost people“, kommentiert Jerszy Seymour sein Berlin-Gefühl. Außerdem, fügt er hinzu, wollte er immer mal da leben, wo seine Frau herkommt. Was ein wenig komisch klingt – schließlich wurde Grit in Halle an der Saale geboren, Jerszy aber in Berlin-Spandau, auch wenn er bald darauf mit seiner Mutter, einer Primaballerina, nach London zog.

Grit Seymour begann ihre Karriere als Schneiderin beim VEB Exquisit-Moden, der so etwas wie die Prêt-à-Porter-Mode der DDR produzierte. So nähte die damals 18-Jährige schon mal ein Abendkleid für Margot Honecker. Deshalb ist es für Grit Seymour auch so, dass das Westliche und Östliche in ihren Biografien in Berlin zueinander findet. Jerszy fühlt sich mit einem deutschen Vater, der kanadischen Staatsbürgerschaft und mit einem südenglischen Akzent nirgendwo wirklich beheimatet.

In Grit Seymours Biografie lassen sich die Bezugspunkte leichter verorten: 1966 in Halle geboren, stand sie schon mit 15 für Modezeitschriften wie „Sybille“ Model. Ihr Modedesignstudium in Weißensee musste sie allerdings abbrechen, weil sie mit unerlaubter Lektüre, unter anderem Erich Fromm und dem „Spiegel“, erwischt wurde. Nach ihrer Ausreise studierte sie am Londoner St. Martins College Mode, wurde danach Modedesignerin unter anderem bei Donna Karan und Daniel Hechter. Von 1999 bis 2001 verantwortete sie als Chefdesignerin die Damenkollektion für den Modekonzern Hugo Boss. Nun entwirft sie für Tape nicht mehr 650 Kleidungsstücke pro Saison, sondern eine überschaubare Anzahl – keine Modenschauen mehr als Großereignis, sondern Ausstellungen und Installationen – die erste wurde komplett vom Musée d’Art Modern in Luxemburg aufgekauft.

Es sieht nicht so aus, als würden in nächster Zeit die Kisten aus ihrem Atelier verschwinden – Grit Seymour hat in dieser Woche eine Kollektionspräsentation in Dänemark und ihr Mann fliegt nach Lausanne, um Designstudenten zu unterrichten. Und in einem Monat beginnt ja schon die nächste Modesaison. Da muss das Auspacken warten.

Vom 2. bis 4. Juni verkaufen die Seymours ihre Kollektion in einem Sommersale in der Chausseestraße 123, Mitte, von 12 bis 20 Uhr. Infos: www.t-a-p-e.com

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