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Berlin: Verrückt nach Charlottenburg

D ie fast schnurgerade Hardenbergstraße wird an ihren Enden – von gleichsam zwei Knöpfen – dem Hardenberg- und Ernst-Reuter-Platz gehalten. Sie bietet unter der Woche ein jugendlich belaufenes Bild.

D ie fast schnurgerade Hardenbergstraße wird an ihren Enden – von gleichsam zwei Knöpfen – dem Hardenberg- und Ernst-Reuter-Platz gehalten. Sie bietet unter der Woche ein jugendlich belaufenes Bild. Das liegt daran, dass an ihr zwei Universitäten liegen: die Technische und die für die Künste. Alles Charlottenburg.

Universitäten geben ihrer Umgebung immer ein junges Gesicht. Das bekommt einer Innenstadt. Die Hardenberg ist – wenn mir da nichts entgangen ist – bislang nie schriftlich abflaniert worden. Das ist ein Versäumnis. Sie hat es nämlich an und für und in sich. Einerseits die Bankhäuser, die ihr an der Fasanenstraße nahe gelegene Börse wie die IHK. Andrerseits die TU und die Künste-Uni mit ihrem Konzertsaal, das zuverlässig gute Renaissance-Theater, die mehreren Generationen bedeutsame Filmbühne am Steinplatz, in der zum Beispiel über gut anderthalb Jahrzehnte neben einem wechselnden, stets guten Programm der herrliche Cocteau-Film Orphée gegeben wurde. Auch heute steht die Filmbühne samt ihrem Restaurant auch abends im Einklang mit dem studentisch geprägten Straßenbild. Und eine höchst bemerkenswerte Adresse findet sich an der Hardenbergstraße, nämlich jene einer auf alle Wissenschaften bezogenen Buchhandlung. Für mich besonders bemerkenswert deshalb, weil sie – welch beglückender Einzelfall! – nicht befallen ist von der grässlich grassierenden Apostrophitis: Lehmanns Fachbuchhandlung. Hier gilt noch die korrekte, besitzanzeigende Genitivendung, der genitivus possessivus, den nicht einmal die neue Rechtschreibung abzuschaffen geschafft hat.

Eine andere Zueignung findet sich lateinisch überm Portal der Hochschule für die Bildenden Künste (HFBK), als welche sie ja vor nunmehr genau hundert Jahren hier gebaut worden war: ERUDIENDAE ARTIBUS IUVENTUTI – Der in den Künsten zu unterweisenden Jugend. Das liest sich wie die Aufmotzung der bewährten Lehrlinge zu Auszubildenden und ihrer verniedlichenden Stutzung zu Azubis. Universitäten sind öffentliche Anstalten, und es lohnt, auch als Passant hineinzuschauen. Die Kunst-Uni umschließt mehrere schöne Höfe, der erste ist ein geradezu klösterlich beschauliches Refugium. Es stehen Bänke dort, und Ginkgo-Bäume geben geheimen Sinn zu kosten. Die Stadt bleibt draußen.

Die Hardenbergstraße ist mit zwei verrückten Dingen bestückt. Dingen, die von ganz anderem Ort hierher gebracht wurden. Da ist der hohe Staketenzaun ums Bundesverwaltungsgericht. Er umfriedete ursprünglich das große Grundstück eines der Grunewalder Koloniegründer, des Bankiers und Kunstmäzenen Felix Koenigs (1846-1900). Sein S am nsende ist keine Genitivendung. Und mit einem König hat die nach Koenigs benannte Allee auch nichts zu tun. Die andere Verrücktheit findet sich hinterm Hotel Excelsior. Dort stehen vier übermannsgroße Kupfermänner, Sinnbilder für Handel, Wissenschaft, Kunst und das Handwerk: mit Schurzfell, Schriftrolle und Siegel, mit Globus, Kelch und Geldbörse. Sie waren mal Schöneberger, dort zierten sie die Fassade vom Rolandhaus in der Potsdamer Straße 127, das übrigens im gleichen Jahr wie die Hochschule für Bildende Künste gebaut und 1959 abgerissen wurde. Die vier Kupferknaben gerieten in finstre Ecken. Man entdeckte sie 1975: drei von ihnen in einem Hinterhof der Hardenbergstraße, den vierten mit der Geldbörse – ich erinnere mich – in einer Treppenhausnische. Alle tragen sie an Brust, Bauch oder Beinen Kriegsblessuren. Zur 750-Jahrfeier Berlins, kamen sie in die Preußen-Ausstellung. Danach stellte sie das Hotel auf Sockel.

Jede Verrücktheit gehört auf einen Sockel, sofern hinter ihr eine Geschichte steht, die in Berlin spielt; denn das ist die einzige Stadt, in der Verrücktheit zur Geschichte gehört.

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