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Neue Seiten. Schriftsteller Wladimir Kaminer meldet sich mit dem Buch „Onkel Wanja kommt“ zurück. Foto: dpa/Jörg Carstensen

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Berlin: Verschmelzen mit dem Kapital

Vom Club-Helden zum Lobby-Literaten: Wladimir Kaminer stellt sein neues Buch bei einer Hoteleröffnung vor.

In Mitte hat eine würfelförmige Bettenburg aufgemacht. Nicht weiter spektakulär, kommt alle Tage vor. Nur dass sich das neben dem alten Haus des Reisens am Alexanderplatz hochgezogene Hotel „Indigo“ zur Einweihungsparty mit einem populären Literaten schmückt. Wladimir Kaminer, der gute Russe von Prenzlauer Berg, stellt in der auf Lounge getrimmten Bar vor lauter fein gemachten Eröffnungsgästen sein neues Buch „Onkel Wanja kommt“ (Manhattan-Verlag, 18 Euro) vor. Damit würde man den Erfinder der Russendisko ja viel eher in seiner angestammten Tanzwirtschaft, dem szenigen Kaffee Burger, erwarten.

Hoteldirektor Dirk Dreyer jedenfalls fühlt sich mit dem 1990 aus der Sowjetunion in die noch existente DDR rübergemachten Kaminer, der auf dem Polizeipräsidium am Alex seinen Antrag auf humanitäres Asyl stellte, verbunden. Weil er auch mal ein DJ war und 1989 als Schüler aus Frankfurt am Main schwer beeindruckt auf dem Alexanderplatz stand. Dessen Geschichte zitiere der handelsübliche mit Glas, Metall, Holz, Stein und Stoff aufgewertete Betonbau, sagt der Direktor und meint damit Deko-Chichi wie die in Vitrinen ausgestellten Ostprodukte.

Da eignet sich der quicklebendige Kaminer doch bedeutend besser als Ost- West-Mystifizierer. Er sieht gut aus, kommt lustig rüber und spricht – wie es sich als Berufsrusse gehört – auch nach mehr als 20 Jahren in Berlin und fast ebenso vielen auf Deutsch geschriebenen Büchern weiter seinen harten Akzent. Der kommt beim Publikum prima an. Und als er davon erzählt, dass er bald in die USA reist, wo ihn fünf germanistische Fakultäten zu Universitätsvorträgen eingeladen haben, weiß man endgültig, dass der im Jahr 2008 verblichene Sänger Ivan Rebroff in ihm seinen Nachfolger als Deutsch-Russen von Weltruf gefunden hat.

Das Botschaftertum bringe ihn aber auch in so manche Bredouille, seufzt Kaminer hinterher bei einer Zigarette. „Es ist eine große Verantwortung.“ Ständig werde er von Deutschen angerufen, um was über Russland zu sagen. Oder umgekehrt. „Die Russen fragen sich: Ist er unser Vertreter oder ein Verräter? Warum schreibt er Deutsch, verheimlicht er was?“ In Russland pflege der Staat bekanntlich ein bedeutend härteres Image als in Deutschland. „Ein Staat, der von einer Frau, einem Schwulen und einem Rollstuhlfahrer regiert wird, ist für Russen kein Staat.“ Da halte er dann als Kronzeuge immer dagegen.

Anteile am neuen Hotel hält er übrigens keine. „Nur welche an der Kulturlandschaft Brandenburg“, flachst er in Anspielung auf seine öffentlich zelebrierte Hobbygärtnerei. Warum er sonst hier liest? Kaminer grübelt und holt aus: „Das Kapital kann für die Bewohner einer Stadt gefährlicher sein als die Politik. Und gegen die Rastlosigkeit des Kapitals können Künstler mehr erreichen, wenn sie ihre Kreativität mit dem System verschmelzen.“ So wie er das hier tut? Er lacht. „Die Verschmelzung mit Hotelketten will ich nicht übertreiben.“ Aber dass sich Geld mit Kunst schmückt, findet er gut. „So wird das Kapital kultureller und die Künstler werden reicher.“

Dazu trägt auch sein neues Buch ein Scherflein bei. Diesmal ist es keine reine Sammlung typischer Kaminer-Kurzgeschichten, sondern ein Nachtspaziergang, den er mit seinem zu Besuch aus Russland eingetroffenen Onkel vom Hauptbahnhof Richtung Mauerpark unternimmt. „Mein ganz eigener Berlin- Cocktail.“ Und der schmeckt? „Nach etwas, was ich neulich in Serbien getrunken habe: Wodka, zerstoßenes Eis, Himbeersirup und ein Stück Salzgurke.“ Klingt ja schaurig und hieß? „Stalingrad.“

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