zum Hauptinhalt
Schon 2006 wurde ein Teil der als East Side Gallery berühmt gewordenen Mauer herausgetrennt und versetzt.

©  Doris Spiekermann-Klaas;

Versetzung der East Side Gallery: Berlin verschiebt die Geschichte

Die East Side Gallery ist weltberühmt, doch sie wird immer löchriger. Nun wollen die Planer erneut einen Teil der Mauer versetzen - angeblich für einen Fluchtweg. Gegner vermuten allerdings einen ganz anderen Grund.

Es ist schon lange nicht mehr vorgekommen, dass Teile der Berliner Mauer per Kran von ihrem jahrzehntelangen Stammplatz weggehoben wurden. Viel ist ja ohnehin nicht mehr übrig, mit dem dies möglich wäre, aber bald ist es offenbar wieder soweit: Wie der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne), auf Anfrage mitteilte, soll aus der sogenannten Hinterlandmauer an der Spree, als East Side Gallery weltberühmt, ein Teil herausgetrennt und auf der Spreeseite dieses Mauerrests, parallel zu dem von den DDR-Grenztruppen zugewiesenen Ort, wiederaufgebaut werden.

Damit wolle man einen zweiten, südöstlichen Zugang und Fluchtweg aus dem Parkgelände zwischen Mauer und Spree schaffen, zudem solle die geplante Brommybrücke, der neben der Oberbaumbrücke zweite, nur für Fußgänger und Radfahrer gedachte Übergang zwischen Kreuzberg und Friedrichshain, an die Mühlenstraße angeschlossen werden. Die Landesdenkmalbehörde hat laut Schulz zugestimmt.

Das Aktionsbündnis „Mediaspree versenken“ vermutet allerdings einen ganz anderen Grund für die geplante Mauerlücke. Sie sieht das Vorhaben im Zusammenhang mit dem geplanten Bau des umstrittenen Wohnturms „Living Levels“, der wie berichtet 63 Meter hoch auf dem ehemaligen Todesstreifen entstehen soll, ein Projekt, das von einer Mauerlücke zweifelsohne profitiert.

Schulz hatte vergeblich versucht, dem Entwickler des Turms und den Bauherren Ersatzflächen zu vermitteln, versichert aber, dass der Mauerdurchbruch auch ohne das Hausprojekt geplant sei.

Die Brommybrücke, Verlängerung der Kreuzberger Brommystraße über die Spree hinweg, war eine Zeitlang Gegenstand heftigen Streits zwischen Bezirk und Senat. Letzterer wollte sie auch für den Autoverkehr zulassen, gab dann aber doch nach. Von der alten Brommybrücke, die 1945 gesprengt wurde, existiert noch ein Betonpfeiler im Fluss. Laut Schulz soll in diesem Jahr die Vorplanung erfolgen, 2014 die konkrete Planung, im Jahr darauf der Bau der etwa 3,5 Millionen Euro teuren Stegs.

Kritiker einer Bebauung des Spreeufers sehen den geplanten Wohnturm nahe der künftigen Brommybrücke als tatsächlichen Grund für die Lückenpläne an.
Kritiker einer Bebauung des Spreeufers sehen den geplanten Wohnturm nahe der künftigen Brommybrücke als tatsächlichen Grund für die Lückenpläne an.

© Simulation: Promo

Gegen den Mauerdurchbruch macht jetzt eine ganze Reihe von Initiativen, Institutionen und Unternehmen mobil, die für Dienstag zur Pressekonferenz laden. Motto: „East Side Gallery retten! Keine Luxuswohnbebauung auf dem ehemaligen Todesstreifen an der Spree!“ Die Liste der Protestler reicht von „Mediaspree versenken!“ über Vergnügungsstätten wie Sage Club, Kater Holzig, Tresor und Lido und die Eisenbahnmarkthalle bis zur Clubcommission. Das Projekt sei ein „skandalöses Vorhaben“, das längste noch existierende Mauerstück am ehemaligen Todesstreifen sowie die freie Uferlinie wären endgültig und unwiderruflich zerstört, meint etwa Clubcommission-Sprecher Lutz Leichsenring.

Schon früher wurde Berlins historische Bausubstanz einfach verschoben

Immerhin wird der geplante, baurechtlich nicht mehr zu stoppende Wohnturm einem Spaziergang an der Spree nicht im Wege stehen: Zwischen Haus und Spree wird es einen zwischen fünf und acht Meter breiten, öffentlich zugänglichen Uferstreifen geben, der die Grünflächen östlich und westlich der Brommybrücke verbindet.

Es ist nicht die erste Lücke in der sich an der Mühlenstraße entlangziehenden Mauer. Im Sommer 2006 wurden 34 Segmente herausgehoben und um etwa 50 Meter nach Nordwesten versetzt, ebenfalls parallel zur Originalmauer in die dortige Grünfläche. Hintergrund war der Neubau der O2-World, deren Investoren auf einer freien Sicht bestanden hatten.

Ein anderes Beispiel dafür, wie in Berlin historische Bausubstanz als Verschiebemasse behandelt wird, hatte es erst Anfang Februar vor dem Roten Rathaus gegeben: 20 Meter der Kellerwand des alten Berliner Rathauses, „die älteste Mauer Berlins“, wie es hieß, mussten dem neuen U-Bahnhof „Berliner Rathaus“ weichen, sollen nach Abschluss der Bauarbeiten aber wieder zurückkehren.

Ebenfalls aufgrund des U-Bahn-Baus wurde die Doppelskulptur von Marx und Engels vorerst umgesetzt. Auch der Neptunbrunnen steht nicht am originalen Ort, sondern stammt vom Schlossplatz, seine eventuelle Rückkehr wird derzeit diskutiert. Und 1996 musste der Kaisersaal des ehemaligen Grand Hotels Esplanade am Potsdamer Platz 75 Meter weit umziehen, um in das neue Sony-Center zu passen. Der alte Frühstückssaal wurde sogar zerlegt und an neuer Stelle als Café Josty wieder zusammengebaut. Ähnlich erging es der Siegessäule und dem Charlottenburger Tor.

Als Teil der Umbaupläne Hitlers und Speers für Berlin zu Germania wurde die Säule 1938/39 vom Reichstag zum Großen Stern umgesetzt und aufgestockt, das Tor hingegen verbreitert. Auch der Alte Fritz stand nicht immer am selben Platz, sondern rutsche Unter den Linden hin und her, wobei es ihm besser erging als dem Großen Kurfürsten. Auf seine Rückkehr vom Schloss Charlottenburg zur Rathausbrücke in Mitte darf er kaum hoffen.

Zur Startseite