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Berlin will sich wieder selbst versorgen.

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Versorgungsnetze in Berlin: Der Senat auf Einkaufstour

Stromnetz, Gaskonzession, Wasserbetriebe - Berlin will seine Energieversorgung der Privatwirtschaft weitgehend entziehen. Wie wirkt sich das aus?

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Mit der Rekommunalisierung von Versorgungsunternehmen und Energienetzen liegt das Land Berlin voll im Trend. Wasser, Gas und Strom sollen, wie in vielen anderen deutschen Kommunen, der privatwirtschaftlichen Verfügungsgewalt weitgehend entzogen werden. Um damit Geld für den Landeshaushalt einzunehmen und eine klimaschonende Energiepolitik zu betreiben. Ob das wirklich so funktioniert, ist strittig und muss sich in der Praxis erst noch beweisen. Vor allem die Übernahme des Gasnetzes, das noch vom Berliner Traditionsunternehmen Gasag betrieben wird, sehen die mitregierende CDU, die Wirtschaftsverbände, aber auch Grüne und Linke skeptisch.

Welche Konzerne betreibt die Stadt Berlin?

Berlin ist jetzt schon an 47 Unternehmen und acht Anstalten des öffentlichen Rechts unmittelbar beteiligt. Insgesamt erwirtschafteten diese Gesellschaften 2012 einen Überschuss von 257 Millionen Euro und investierten fast zwei Milliarden Euro. Zu den 15 größten Unternehmen gehören die Wasserbetriebe, die Verkehrsbetriebe und die Stadtreinigung, die Flughafengesellschaft, die Vivantes-Krankenhäuser, sechs Wohnungsunternehmen und eine Immobiliengesellschaft, die Messe, die Investitionsbank Berlin und die Deutsche Klassenlotterie. Die Bilanzsumme liegt bei 51,6 Milliarden Euro und in den öffentlichen Unternehmen des Landes Berlin arbeiten fast 48 000 Beschäftigte.

Welchem Trend folgen die Entscheidungen?

Nachdem die CDU/SPD-Koalition in den neunziger Jahren teilweise die Wasserbetriebe und komplett die Strom- und Gasversorger Bewag und Gasag verkauft hatten, schlägt das Pendel nun wieder in die andere Richtung aus. Damals gab es angesichts des dramatischen Haushaltsnotstands zum Verkauf des Berliner Tafelsilbers kaum eine Alternative. Einige Milliarden Euro wurden so in die leere Kasse gespült. Außerdem wurde privaten Investoren zugetraut, große Versorgungsunternehmen wirtschaftlich besser zu führen als die öffentliche Hand.

In Berlin änderte sich diese Sichtweise, als SPD und Linke an die Regierung kamen. In der Koalitionsvereinbarung für die zweite rot-rote Wahlperiode (2006-2011) stand: „Die Koalition setzt sich für starke öffentliche Unternehmen im Bereich der Daseinsvorsorge ein“. Konkret angekündigt wurde die Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe, also der Rückkauf von 49 Prozent der Gesellschafteranteile von den privaten Miteigentümern RWE und Veolia. Beide Regierungsparteien diskutierten in jenen Jahren intensiv über die Frage, welche Bereiche der öffentlichen Versorgung der privaten Verfügungsgewalt wieder entrissen werden sollten. „Rekommunalisierung ist Mittel zum Zweck, die demokratische Verfügung über grundlegende Lebensfunktionen der Stadt wiederzuerlangen“, stand im Wahlprogramm der Linkspartei für 2011. Dies war das Ergebnis einer mehrjährigen Debatte. Die Leistungsbereitschaft des öffentlichen Sektors dürfe nicht der „Profitmaximierung untergeordnet“ werden.

Die SPD beschloss auf einem Landesparteitag im November 2010 die Rekommunalisierung der Energienetze (Strom, Gas, Wärme), die Gründung eines Stadtwerks und schlug sogar vor, die Berliner S-Bahn in kommunales Eigentum zu überführen. Ausgangspunkt war übrigens ein Strategiepapier des damaligen SPD-Landes- und Fraktionschefs Michael Müller. Bei den Linken waren der damalige Wirtschaftssenator Harald Wolf und Landeschef Klaus Lederer treibende Kräfte der Rekommunalisierung.

Dien Berliner Vorhaben im Überblick

Berliner Wasserbetriebe

Das ehemals landeseigene Unternehmen wurde 1999 auf Betreiben der großen Koalition teilprivatisiert. Der Verkaufserlös: 1,7 Milliarden Euro. Von Anfang an sehr umstritten waren vertraglich garantierte, hohe Renditen für die privaten Investoren. Bis 2004 stiegen die Wasserpreise in Berlin um 23 Prozent. Der rot-rote Senat entschied sich daraufhin, die Anteile zurückzukaufen. Dies gelang allerdings erst dem rot-schwarzen Senat, der nach der Abgeordnetenhauswahl 2011 gebildet wurde.

Ein erfolgreicher Volksentscheid zur Offenlegung der strittigen Privatisierungsverträge hatte im Februar 2011 ordentlich Druck gemacht. Im Mai 2012 verkaufte RWE sein Paket von 24,95 Prozent für 654 Millionen Euro (inklusive Nebenkosten). Das französische Unternehmen Veolia zog Ende 2013 nach und verkaufte seine Anteile von 24,95 Prozent für 618 Millionen Euro. Die teure Rekommunalisierung der Wasserbetriebe wird mit Hilfe der ehemaligen Gewinnanteile von RWE und Veolia über 30 Jahre abgestottert.

Strom

Ende 2014 läuft die Konzession der öffentlichen Hand für das von Vattenfall betriebene Stromnetz aus. Zur Erinnerung: Vattenfall ging aus der landeseigenen Bewag hervor, die 1997 für 1,7 Milliarden Euro an den schwedischen Mutterkonzern veräußert wurde. Das Land Berlin bewirbt sich für die Konzession mit dem landeseigenen Unternehmen „Berlin Energie“, das Vergabeverfahren läuft noch. Großen Druck auf die Entscheidung der SPD/CDU-Koalition, sich für das Stromnetz zu bewerben und ein Öko-Stadtwerk zu gründen, übte ein Volksentscheid aus, der zwar im November 2013 scheiterte. Aber die Regierungsfraktionen einigten sich, trotz großer Skepsis der CDU, auf die Gründung eines Stadtwerks. In der Hoffnung, dass das Stromnetz im streng regulierten Vergabeverfahren an „Berlin Energie“ geht.

Die Entscheidung darüber steht noch aus. Sollte die Rekommunalisierung gelingen, dürfte der Kauf des Stromnetzes von Vattenfall über eine Milliarde Euro kosten. Das noch in Gründung befindliche Stadtwerk hat allerdings das Problem, dass es nur selbst produzierten Strom aus erneuerbaren Energien verkaufen darf. Diesen Strom wird es aber auch mittelfristig nicht im erwünschten Umfang geben, der Aufbau eines größeren Kundenstamms für einen wirtschaftlichen Betrieb ist demnach nicht möglich.

Gas

Schon 2008 gab es im rot-roten Senat Überlegungen, Teile der 1993 bis 1998 schrittweise privatisierten Gasag (für 1,4 Milliarden Euro) zurückzukaufen. Dazu kam es allerdings nicht. Doch weil die Konzession für das Berliner Gasnetz Ende 2013 ausgelaufen ist, entschloss sich der Senat, das öffentliche Unternehmen „Berlin Energie“ auch ins Rennen um das Gasnetz zu schicken. Vor zweieinhalb Wochen gab die Finanzverwaltung des Senats in ihrer Eigenschaft als Vergabestelle den Zuschlag an „Berlin Energie“, das führte zu einem Koalitionskrach zwischen CDU und SPD. Die bei der Vergabe unterlegene Gasag klagt nun in erster Instanz vor dem Landgericht gegen die Entscheidung, auch das Bundeskartellamt hat sich eingeschaltet. Sollte die strittige Vergabe doch Bestand haben, muss das Land Berlin für die Übernahme des Gasnetzes voraussichtlich eine Milliarde Euro zahlen.

Städte und Gemeinden bundesweit zunehmend unternehmerisch tätig

Wie ist der Trend deutschlandweit?

Städte und Gemeinden werden zunehmend unternehmerisch tätig. Vor allem im Energiebereich. Mehr als 110 neue Energieversorgungsunternehmen wurden seit 2005 gegründet und mehr als 200 Konzessionen für den Betrieb von Strom- oder Gasnetzen durch kommunale Unternehmen übernommen. Und der Trend sich fort: Die meisten Konzessionen für den Betrieb der Netze laufen bis 2016 aus. „Mit eigenen Stadtwerken gewinnen Kommunen energie- und kommunalpolitische Handlungsspielräume, können Wertschöpfungseffekte generieren sowie Identifikation und Akzeptanz der Bürger fördern“, heißt es einer Broschüre des Verbandes kommunaler Unternehmen und von Städtetag und Gemeindebund. Die drei Organisationen haben eine Art Ratgeber herausgegeben, der den Kommunen das Geschäft erleichtern soll. Nachdem in den 90er Jahren eine Privatisierungswelle durchs Land schwappte, geht es nun in die andere Richtung. Aus Sicht mancher Ökonomen ein Irrweg. „Ein wirtschaftliches Engagement des Staates bedarf in einer Marktwirtschaft immer einer besonderen Begründung und sollte nur in engen Grenzen stattfinden“, meint das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). Das kümmert die Städte wenig, sie sehen in der Energieversorgung ein lukratives Geschäft. Aber ist es das wirklich? „Die Netzentgelte sind staatlich reguliert“, sagt IW-Wissenschaftlerin Esther Chrischilles. „Darüber hinaus sind kurz- und langfristig Investitionen notwendig, die ein kaum zu rechtfertigendes Risiko für kommunale Haushalte darstellen.“

Wenn etwa Berlin zusätzlich zum Gasnetz auch noch das Stromnetz (von Vattenfall) übernehmen würde – hier steht die Vergabe der Konzession im nächsten Frühjahr an – wäre mindestens eine Milliarde fällig. Hinzu kommen erhebliche Mittel für die Modernisierung der regionalen Verteilnetze, damit die nicht die Energiewende blockieren. Die Energieversorgung wird hierzulande deutlich dezentraler, aber das funktioniert eben nur mit leistungsfähigen Netzen.

Die geschäftstüchtigen Kommunen kümmert das wenig. Sie argumentieren sogar mit der Energiewende und möchten selbst beeinflussen, wie Strom erzeugt und zu welchen Preisen transportiert und verkauft wird: „Wir wollen unsere lokale Verantwortung für Investitionen und Versorgungssicherheit wahrnehmen“, heißt es beim Verband der kommunalen Unternehmen. Geld verdient wird tatsächlich vor allem im Energiesektor, wie das IW ermittelt hat. Verluste machen die Kommunen in den Bereichen Verkehr, Kultur und Sport. Aber die Verluste können ja, so kalkulieren viele Städte, mit den Gewinnen aus dem Netzbetrieb gedeckt werden.

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