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Im Nordosten der Stadt gibt es noch Baugrund - und die letzten Horste der großen Vögel.

© imago/Manngold

Vertreibung durch Neubauten: Berlins letzte Störche sind in Gefahr

Die größte Bedrohung für die Tiere sind Wohnungsbauprojekte. Aber auch hinter der Landesgrenze, in Brandenburg, ist die Perspektive kaum besser.

Von Christian Hönicke

Bald schon könnten die letzten Störche aus Berlin verschwinden – vertrieben durch Neubauten. Das befürchten Naturschützer wie Beate Kitzmann. Sie ist die Geschäftsführerin des Naturhofs Malchow, dort befinden sich zwei der fünf Berliner Storchennester. Per Videokamera können Besucher in Malchow den beliebten gefiederten Glücksbringern ins Nest schauen. Doch vermutlich nicht mehr lange. Direkt nebenan ist das größte Berliner Bauprojekt „Blankenburger Süden“ geplant, 10 000 Wohnungen sollen im Nordosten Pankows an der Bezirksgrenze zu Lichtenberg entstehen. Eine Horrorvision für Kitzmann: „Dann wird kein Storch mehr nach Malchow kommen.“

Der Nordosten ist Berlins traditionelles Storchenbrutgebiet. Die Dörfer Lichtenbergs und Pankows beherbergen alle fünf verbliebenen Horste der Stadt. Neben den Nestern in Malchow gibt es je eines in Falkenberg, Wartenberg und Blankenfelde. Die Anzahl der Berliner Störche schwankt zwischen zwei und drei Brutpaaren, dieses Jahr wurden ein Paar in Falkenberg und ein Storch in Malchow gesichtet. „Wir warten und hoffen noch“, sagt Kitzmann.

Das Bauprojekt "Blankenburger Süden" bedroht drei Nester akut

Sorgenvolles Hoffen treibt Storchliebhaber allerorten seit längerem um. Die Zerstörung der Nahrungsgebiete hat den Weißstorchbestand in Westeuropa seit 1930 stark dezimiert, in Deutschland um die Hälfte. Zwar gab es zuletzt einen Aufwärtstrend, dennoch wird auch hierzulande der Lebensraum für Störche durch Versiegelung von Flächen stetig kleiner. In Berlin stehen die Störche jetzt vor der endgültigen Vertreibung.

Der Nordosten der Stadt hat großes Potenzial, die Wohnungsnot der Stadt zu lindern. Mit der fortschreitenden Urbanisierung dieser bisher dörflichen Stadtrandgebiete würden nun „grüne Inseln beschnitten, die für den Artenschutz wichtig sind“, sagt Kitzmann. Die Wiesen und Ackerflächen, auch die Kleingartenanlagen und Grünstreifen zwischen Blankenburg, Heinersdorf und Malchow versorgen die Störche mit Mäusen, Fröschen und Insekten. Ein Storchenpaar braucht zwei bis drei Kilometer Nahrungsraum im Radius um das Nest herum für den Bruterfolg. Durch das Bauprojekt „Blankenburger Süden“ sind die drei Nester in Malchow und Blankenfelde akut bedroht.

Storchennester zeigen an, wo die Natur noch intakt ist

Aber ist die Sorge nicht nur ein Vorwand für die Anwohner, die keine Neubauten in der Nachbarschaft wollen? Nein, sagt Kitzmann, das akute europaweite Insektensterben führe allmählich zu der Einsicht, dass Verbrauch und Bewirtschaftung von Flächen schwerwiegende Folgen haben, auch für Menschen. Störche sind ein wichtiger Indikator für ein funktionierendes Ökosystem, sie sind eine sogenannte Leitart. Ihre Raumansprüche decken sich mit denen vieler anderer Arten, wie Insekten. Wo der Storch ist, ist die Natur weitgehend intakt. „Auch Berliner brauchen ein funktionierendes ökologisches Gleichgewicht für ihr Wohlbefinden", sagt Kitzmann. „Berlin sollte Wildnis wagen, statt Ersatznatur zu schaffen.“

Die Storchennester befinden sich zudem meist in den sogenannten Frisch- und Kaltluftentstehungsschneisen am Stadtrand, die das Zentrum belüften. Eine bestimmte Grenze an Grünraum dürfe dabei nicht unterschritten werden, sagt Kitzmann: „Die Innenstadt wird sonst an heißen Sommertagen so aufgeheizt, dass sie auf lange Sicht nicht mehr bewohnbar ist, weil es nachts zu keiner Abkühlung kommt.“ Das zeigten bereits andere Metropolen in Europa und Amerika.

Auch in Brandenburg ist die Lage nicht gut

Kitzmann will deshalb die Habitate der Störche in Berlin unter Schutz stellen. Dazu gehört das kleinere Kerngebiet des „Blankenburger Südens“, die landeseigene Ackerfläche, auf der bis zu 6000 Wohnungen entstehen sollen. Kitzmann fordert, die Fläche freizuhalten und maximal das Gelände der ehemaligen Kasernen am Blankenburger Pflasterweg zu bebauen. „Da passen auch 1000 Wohnungen drauf, aber das wäre storchverträglicher.“

Der Naturhof will auch den Bezirk Lichtenberg gegen das Bauprojekt Blankenburg in Stellung bringen. Eine Analyse solle die Auswirkungen auf den Lebensraum von Störchen und anderen Tieren im Baugebiet ergründen. Demnächst soll ein Antrag dazu in der Bezirksverordnetenversammlung behandelt werden.

Wenn alles nichts hilft, bleibt nur Brandenburg. Doch dort bekommen die Störche seit Jahren zu wenig Nachwuchs. Und 2017 kamen zahlreiche Jungstörche im Dauerregen zu Tode, das Nahrungsangebot schwindet ohnehin – durch Monokulturen und Schädlingsbekämpfungsmittel auf den Äckern. Naturschützer beklagen, dass es immer weniger Brachflächen gibt mit Insekten, Amphibien, Tümpeln. Geeignete Niststandorte werden rarer. Und künftig, sagt Kitzmann, würden dann auch noch die aus Berlin vertriebenen Störche in Konkurrenz zu anderen um die Brutplätze in Brandenburg treten.

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