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Berlin: Vertrödelte Zeiten

Auf Berlins Floh- und Antikmärkten ist das Angebot riesig. Das Vergnügen ebenso – wenn man ein paar Grundregeln beachtet

Warum nicht einen Hornhautentferner. Für einen Euro, na sagen wir fünfzig Cent. Ist auch noch eingeschweißt. Nie benutzt. Ja eben. Die meisten Flohmarkteinkäufe sind überflüssig. Deswegen machen sie ja auch so viel Spaß.

In Berlin hat man die Auswahl: 35 Trödelmärkte gibt es, und die von jeglicher Art. Große wie den auf der Straße des 17. Juni, gegründet 1973 als erster Berlins. Oder kleine, feine Flohmärkte wie den auf dem Arkonaplatz, gleich nach der Wende entstanden und inzwischen Treffpunkt der Berliner Mitte. Jetzt, wo es draußen nicht mehr knallheiß, sondern angenehm warm ist, kann man mit wenig Geld stundenlang Spaß haben. Vorausgesetzt, man ist vorbereitet und vermeidet Anfängerfehler. Na dann mal los. Alles, was man für einen guten Flohmarkttag braucht:

Freier Sonntag. Der Kaffee ist ausgetrunken, und da liegt er vor uns: der Sonntag. Blank und leer, ein Tag zum Nichtstun. Trödeln, so steht es im Wörterbuch, heißt „langsam tun“, und das ist auch auf dem Flohmarkt oberstes Gesetz. Nicht schnell shoppen, sondern flanieren. Dafür haben damals, Ende des 18. Jahrhunderts, die Besucher der allerersten Märkte in Paris demonstrativ Schildkröten an der Leine herumgeführt. Kein Witz.

Händler. Irgendjemand muss den ganzen Krempel natürlich anschleppen. Professionelle mit Laden oder Lager sind die einen, die Ausmister nach dem letzten Hausputz die anderen. Verkaufen darf jeder, ein Standplatz kostet meist um die 30 Euro. Und außer den Picknickkörben und Thermosflaschen auf der Verkäuferseite gilt: Hinter dem Stand ist vor dem Stand. Es gibt weder Hierarchie noch Service. Passt doch gut nach Berlin.

Kleingeld . Mehr als ein Euro pro Teil wird nicht bezahlt. Diese Taktik klappt leider schon lange nicht mehr, aber man braucht ja Visionen (zur Not kann man am Ende immer noch den Schein aus der Tasche ziehen). Das hat nichts mit Geiz zu tun, sondern mit dem Spiel: Ich kaufe Dinge, die ich nie kaufen wollte – und bilde mir ein, sie einfach nur so mitgenommen zu haben.

Große Taschen. Wer schon mal versucht hat, einen Lampenschirm in eine Plastiktüte zu quetschen, weiß, wieso man auf Flohmärkten Beutel trägt. Auch die in drei Lagen Zeitungspapier eingewickelten Teetassen brauchen Platz.

Flache Schuhe. Die roten Lederpumps für fünf Euro sollte man sich natürlich unbedingt kaufen, nur tragen sollte man sie nicht. Jedenfalls nicht auf dem Flohmarkt. Trödeln auf Absätzen ist ein Widerspruch in sich.

Feilschen. Geht in der Regel ziemlich schnell. Käufer: „Für einen Euro nehm ich’s mit.“ Händler: „Ey komm nee, das geht jetzt echt nicht, 1,50 will ich schon dafür haben.“ Käufer: „Na gut.“

Fantasie. Dieses Parfümprobenset könnte was für die Gästetoilette sein, und der Schaufensterpuppenkopf ist sicher eine super Hutablage. Soll heißen: Man muss die Dinge im Kontext sehen. Alles ist für irgendwas nützlich – oder zumindest hübsch anzuschauen. Meistens.

Nostal gie. Das Retro-Prinzip funktioniert immer. Ach, das hatte meine Oma (oder Mutter oder Nachbarin oder ich selbst) als Kind auch. Überraschend ist das nicht, aber der Wert liegt hier in der Wiedererkennung.

Trinkpause. So ein Flohmarkttag kann lang werden und das Stöbern anstrengend. Aus dem Getümmel treten ist trotzdem tabu. Echte Trödelbummler haben stets eine Wasserflasche dabei, Anfänger kaufen sie sich am Imbissstand.

Gute Begleitung. Ja, gut muss sie sein. Lieber allein als in schlechter Begleitung. Das gilt eigentlich immer, aber in diesem Fall ist es besonders wichtig. Schlechte Flohmarktbegleiter sind ungeduldig, pragmatisch und effizient. Solche Leute können einem den schönsten Trödeltag vermiesen.

Mehrzimmerwohnung. Die Gefahr des Vertüdelns steigt mit jedem Flohmarktbesuch. Also gilt: je größer die Wohnung, desto besser. Erstens passt mehr hinein und zweitens fällt es gar nicht auf. Gut ist auch ein Keller oder eine Rumpelkammer. Da kann man dann all das hineinstopfen, was man irgendwann wieder auf dem Flohmarkt verkaufen wird.

Gute Laune. Wesentlich, wenn nicht gar Voraussetzung für einen angenehmen Flohmarkttag. Wer einen zu vollen Kopf hat, wird in dem Krempel und Gedrängel ersticken. Und selbst über Angebote wie den Hornhautentferner nicht lachen können.

Johanna Lühr

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