zum Hauptinhalt
Karsten Rodemann: Enthusiast und Filmfreak mit Passion

© Kitty Kleist-Heinrich

Videodrom in Berlin-Kreuzberg: Deutschlands größte Videothek steckt in der Krise

Das Videodrom im Bergmannkiez ist eine der letzten Programmvideotheken: viel Expertise, großes Archiv – und immer weniger Kunden. Nun geht es um die Existenz.

Es ist ja nicht so, dass nicht damit zu rechnen gewesen wäre, aber viele, denen die Kreuzberger Off-Videothek Videodrom einmal etwas bedeutet hat oder dies gar immer noch tut, schmerzen die Worte, mit denen die Berliner Institution vor ein paar Tagen eine Art Hilferuf via Facebook lancierte, dann doch. „Dem Videodrom steht das Wasser bis zum Hals“, ist da zu lesen und: „Dieser Aufruf ist für uns ein letzter Strohhalm.“

Über die vergangenen Jahre haben sich für das Videodrom, mit einem Bestand von 35.000 Filmen größte Videothek Deutschlands und Filmarchiv, mehr als 20.000 Euro Schulden angehäuft. Und jetzt kommt der Sommer, eine Zeit, in der das Geschäft ohnehin schlecht laufe, sagt Videodrom-Betreiber Karsten Rodemann. Er selbst nennt sich Graf Haufen und lässt sich auch von vielen seiner Kunden so nennen. Wenn sich nicht ganz schnell etwas ändert, sagt er, drohen die Verbindlichkeiten weiter anzuwachsen. Die Lage sei existenzbedrohend.

Zeit für ein paar Kompromisse

Es sind kaum noch Videotheken übrig in der Stadt, bis auf einige Ableger größerer Ketten. Der Laden an der Ecke ist so gut wie ausgestorben, Programmvideotheken gibt es gerade noch eine Hand voll. Manche fragen in den Kommentaren unter dem Facebook-Post, wie es eigentlich sein könne, dass das Videodrom auf der sozialen Plattform gerade mal ein paar Dutzend sogenannter Freunde habe – und decken damit eines der Probleme auf, mit denen das Videodrom zu kämpfen hat.

Die Facebook-Seite gibt es tatsächlich erst seit einer Woche, mehr oder weniger seit der Hilferuf lanciert wurde. Aber ein Geschäft führen ohne einen Auftritt in einem sozialen Netzwerk: Geht das überhaupt noch? Genauso werden sich viele fragen: Wie kann man heutzutage überhaupt noch eine Videothek betreiben, in Zeiten von Internetstreaming und Netflix, in denen junge Filminteressierte vielleicht gar nicht mehr wissen, was eine DVD überhaupt ist?

Filme und besondere Tipps – doch das reicht offenbar nicht mehr.
Filme und besondere Tipps – doch das reicht offenbar nicht mehr.

© Mike Wolff

Doch Rodemann, 52 Jahre alt, der seine Kunden stets in bunten Hawaii-Hemden bedient, ist weder naiv noch doof. Er ist ein Enthusiast, ein Filmfreak mit einer Passion, der bloß vielleicht ein wenig zu lange immer noch daran glaubte, dass er einfach mit seiner Filmbegeisterung und seiner Fachkenntnis immer weiter seine Kunden dazu bringen könne, gute Filme bei ihm auszuleihen. Auf seinen guten Rat hin, anstatt motiviert von irgendwelchen Algorithmen. Und der eben nicht auf Facebook sein wollte, weil er, wie er sagt, mit der Datenkrake schlichtweg nichts zu tun haben wollte.

Doch er weiß auch, dass es jetzt Zeit für ein paar Kompromisse ist, wenn er überleben möchte. „Derzeit würde ich mehr Geld bekommen, wenn ich auf Hartz IV ginge“, sagt er. Deswegen ruft er Menschen auf, denen etwas an der Erhaltung des Videodroms liegt, Geld zu spenden oder Clubmitglieder zu werden.

Älteste Programmvideothek Deutschlands

Das Videodrom gibt es seit 1984, es ist damit nicht nur die größte, sondern auch älteste Programmvideothek Deutschlands. Seit 33 Jahren ist Rodemann mit dabei, seit fast 30 Jahren gehört ihm der Laden. Vor acht Jahren ist er von der Mittenwalder Straße in die Friesenstraße im Bergmannkiez gezogen – „auch an den Kosten des Umzugs knabbere ich immer noch“, sagt er. Damals galt das Videodrom noch als typische Videotheken-Höhle, spezialisiert auf Trash, Horror und eher nebenbei auch Arthouse aller Art. Rauchen war natürlich erlaubt.

Das neue Videodrom ist dagegen viel familienfreundlicher, Rauchen ist verboten und im vorderen Teil des Ladens werden eher Kinderfilme präsentiert als irgendwelcher B-Movie-Schund. Ganz hat sich Rodemann in den vergangenen Jahren dann doch nicht den wandelnden Bedürfnissen verweigert.

Das Videodrom in der Friesenstraße
Das Videodrom in der Friesenstraße

© Kitty Kleist-Heinrich

Er glaubt auch nicht, dass sich das Konzept einer ambitionierten Programmvideothek überholt hat. Streamingplattformen hätten Spezialitäten und Raritäten, wie er sie führt, gar nicht im Programm, sagt er und nennt zum Beispiel „The Room“, den Film, von dessen Entstehung der eben groß in den Kinos gelaufene Film „The Disaster Artist“ von James Franco erzählt. „The Room“ gilt als Trash-Perle, die jedoch kaum jemand gesehen hat. Der Film sei so gut wie unauffindbar, dabei sei er, sagt Rodemann, der ihn sich schon mehr als zehn Mal angeschaut habe, ein herrliches Vergnügen. Im Videodrom gibt es das Kuriosum auf DVD und als Blue Ray: „Die Blue Ray sogar mit deutschen Untertiteln.“ Oder Alfred Hitchcock: Wer es sich zur Aufgabe machen wollte, sich sämtliche Hitchcock-Filme am Stück anzusehen, sei arg beschäftigt damit, sich über diverse Streaming-Portale alle Filme des Meisters zusammenzuklauben. Im Videodrom dagegen gibt es natürlich das Gesamtpaket Hitchcock.

Doch von Leuten, die sich am Wochenende durch das Gesamtwerk eines Regisseurs arbeiten wollen, gebe es eben immer weniger, sagt Rodemann. Auch solche, die für einen Film extra aus Spandau oder Charlottenburg angereist kämen, tauchten in den vergangenen Jahren seltener auf. Und dann gebe es noch Kandidaten, die im Videodrom anriefen, sich Auskünfte über bestimmte Filme geben ließen – nur, um dann eiskalt am Telefon eiskalt mitzuteilen: „Danke, habe ich gerade auf Youtube gefunden.“

Zur Startseite