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The End. Negativeland in der Danziger Straße ist eine Institution für Arthouse-Filme. Jetzt hat es zugemacht.

© Lars von Törne

Videotheken in Berlin kämpfen ums Überleben: Im falschen Film

Schon der Name ist veraltet: Videothek. Und eine nach der anderen schließt, bald auch Negativeland in Prenzlauer Berg. Die Lösung? Ein Café! Zumindest klappt es so an anderen Standorten. Aber es gibt auch noch reine Filmverleihfirmen.

Jörg Ganzer hat offenbar keine Lust, jetzt gefühlsduselig zu werden. Grund genug gäbe es, denn es ist beschlossene Sache: Seine Videothek Negativeland, eine Berliner Institution in Sachen Arthouse- Filme, macht dicht. Am 18. Februar soll der Laden in der Danziger Straße in Prenzlauer Berg nach 25 Jahren zum letzten Mal geöffnet sein. Die Ankündigung auf der Facebook-Seite hat bestürzte Kommentare nach sich gezogen – „ihr ward einzigartig“, „dann wird die Danziger ja noch armseliger“, „der beste Nachbar hier im Kiez geht“.

Das zeichnet sich schon seit zwölf Jahren ab“, sagt Ganzer. Scheinbar ungerührt macht er sich wieder an die Arbeit. Er hat begonnen, erste Regale abzubauen und zersägt das Holz auf dem Boden in kleine Teile. Eine Frau betritt den Laden – sie hat den Facebook-Eintrag gelesen und fragt nach Filmplakaten. Ganzer deutet auf einen Stapel am Fenster. Die Frau packt ihn komplett in ihren Rucksack und verschwindet wieder.

Der Trend zum Streaming im Internet ist nicht aufzuhalten

Alles muss raus. Auch die Regisseur-Abteilung wird irgendwann dran glauben müssen. Sie ist das Herzstück im Negativeland, von A wie Percy Adlon bis Z wie Andrzej Zulawski. Die VHS-Kassetten und DVDs gehen an Liebhaber und Mitarbeiter. Es mag auch ein Stück Befreiung für Jörg Ganzer dabei sein. Schließlich ist der Trend zum Film-Streaming im Internet, der gleichzeitig ein Trend gegen die Videotheken ist, nicht aufzuhalten. Die Betreiber der Läden, die noch die Stellung halten, müssen entweder sparen, wo es geht, oder die Videothek mit anderen Geschäftsmodellen paaren.

Dabei verschwinden sie nach und nach, die – gerne auch mal schrulligen – Filmnerds hinter dem Tresen. Ihre Gabe, auch für den abseitigsten Geschmack noch eine Empfehlung zu finden, wird ebenfalls durch das Internet ersetzt, mit Kaufempfehlungen, Listen, in Foren. „Wer bringt den Leuten jetzt guten Filmgeschmack bei?“, fragt ein Facebook-Nutzer auf der Seite von Negativeland, der offenbar nicht an die Ersetzbarkeit der Videothekare glaubt. Jedenfalls dürfte man im Internet nicht so schnell bei Filmen landen, wie sie etwa im „Berlin“-Regal in Ganzers Videothek ausgestellt sind: „Der Himmel über Marzahn“, „Berlin Super 80“, „Linie 1“ – das Musical als Film von Reinhard Hauff.

24.000 Filme auf 70 Quadratmeter - dafür kaum noch Personal

Auch für Silvio Neubauer ging es vor eineinhalb Jahren um die Zukunft seiner Videothek Filmgalerie, damals noch Filmgalerie 451. Einige Leute hätten ihm damals geraten: „Mach doch einfach ein Café dazu.“ Doch er wollte das nicht und hat sich fürs Sparen entschieden. Die mehr als 24 000 Filmtitel beherbergt er jetzt auf 70 Quadratmetern in der Invalidenstraße in Mitte. „Wir nutzen halt jeden Quadratmeter“, sagt er. Die Miete beträgt weniger als ein Drittel des ehemaligen Standorts in der Torstraße. Und auch das Personal hat sich ausgedünnt – keine leichte Entscheidung, viele waren schon seit Jahren dabei. „Wie eine Familie“, sagt Neubauer.

Mit den ergriffenen Maßnahmen kann er weiter vom Filmverleih leben. Auch das Videodrom in Kreuzberg wird nach wie vor als reine Videothek betrieben. Doch eins ist klar für Neubauer: „In zehn Jahren wird es ganz sicher keinen Laden mehr geben, der so ist wie dieser hier.“

Fitzcarraldo-Besitzer: "Wir leben von der Bar"

Martin Schuffenhauer, Inhaber der Filmkunstbar Fitzcarraldo in Kreuzberg, hat sich für eine Mischform entschieden. Schon als seine Videothek noch Roderich hieß und an einem anderen Standort war, gab es einen angeschlossenen Café-Betrieb. Jetzt sind Schuffenhauers Videothekare, Herren über rund 13 000 ausgesuchte Filmtitel, gleichzeitig Thekenkräfte und Cocktailmixer. „Wir leben von der Bar“, sagt Schuffenhauer. Das gibt ihm die Freiheit, sich in Sachen DVD-Verleih weiter von seiner Filmleidenschaft treiben zu lassen. „Ich gebe ganz viel Geld für neue Filme aus“, sagt er und lacht. „Mehr als früher.“ Dabei mache er mit der Videothek vielleicht noch zehn Prozent im Vergleich zu den besten Zeiten. Dafür gebe der Filmverleih seiner Bar aber auch ein Gesicht, sagt Schuffenhauer.

Ähnlich macht es auch Paulo da Senhora, Betreiber des Filmkunst Friedrichshain. In der Gärtnerstraße hat er um die 16 000 Filmtitel im Angebot – außerdem ein Café und Filmvorführungen. Anne Petersdorff ist sogar noch weiter gegangen, was die Kombination betrifft. In ihrer Videothek „Madeleine und der Seemann“ in Lichtenberg verkauft sie Second-Hand- Klamotten und im Sommer Softeis. Auch sie hat jetzt begonnen, Filme zu zeigen. Im Filmverleih hat sie sich auf Kinderfilme und besondere Filme aus dem Ausland spezialisiert. So trage sich der Laden „gerade so“, sagt Petersdorff. Aber auch sie hat zuletzt zwei Mitarbeiter entlassen.

Für Jörg Ganzer wird jetzt etwas ganz Neues kommen. „Auf jeden Fall nichts mit Film“, sagt er. Dann denkt er kurz nach und verbessert sich. „Nichts mit Filmverleih.“ Er packt die zersägten Holzteile in einen Sack, unter den Augen von Klaus Kinski, Audrey Hepburn und Herman Munster, die der Berliner Künstler Alexander Maier mit schwarzer Farbe an die Wände gemalt hat. Ganzer weiß, dass als Nächstes ein Café in die Räume ziehen wird. Er hofft, dass die Betreiber die Bilder an der Wand behalten wollen.

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