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Berlin: Viele Entschuldigungen nach Sürücü-Mahnwache

Türkische Vereine bedauern ihr Fehlen. Am Tatort soll es bald eine Gedenktafel geben.

Beim Türkischen Bund war die Betroffenheit am Tag nach der Gedenkfeier für Hatun Sürücü groß. „Wir bedauern sehr, dass niemand von uns bei der Mahnwache am Tatort vertreten war“, sagte Vorstandssprecherin Eren Ünsal auf Anfrage. Dies dürfe aber keinesfalls als absichtliches Fernbleiben interpretiert werden, sagte Ünsal. Es habe offenbar eine organisatorische Panne gegeben. Die türkischstämmige Frauenrechtlerin Seyran Ates hingegen kritisierte die Abwesenheit der türkischen Verbände aufs Schärfste: „Die Vereine hätten das Gedenken zu ihrer Sache machen und mit Vertretern der Moscheen dazu aufrufen müssen.“ Wie berichtet, waren dem Aufruf der Grünen, sich am Mittwochvormittag an der Stelle zu versammeln, wo Hatun Sürücü vor zwei Jahren von ihrem Bruder erschossen wurde, zahlreiche Berliner gefolgt – offizielle Vertreter der türkischen Community sah man jedoch nicht.

Am Ort des sogenannten Ehrenmordes soll nun bald eine Gedenktafel errichtet werden – dazu gibt es einen einstimmigen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg. Um die Umsetzung kümmert sich die Frauenbeauftragte Ursula Hasecke in Abstimmung mit dem Verein „Hatun und Can e.V“. Derzeit wird diskutiert, ob die Tafel zweisprachig oder nur auf Deutsch sein wird. Das Material soll möglichst resistent gegen Vandalismus sein.

Die Gedenktafel ist aber nur ein Bestandteil eines Gesamtkonzepts, sagte Hasecke. So will sich der Bezirk künftig bei der Hilfe für unterdrückte Frauen aus Einwandererfamilien engagieren, ein Förderprojekt soll entwickelt werden. Zudem ist eine Veranstaltungsreihe von und für Migranten geplant. Der aus dem Freundeskreis des Opfers entstandene Hilfsverein „Hatun und Can“ wünscht, dass eine Straße nach der Frau benannt wird, die ermordet wurde, weil sie selbstbestimmt leben wollte.

Türkische Zeitungen in Berlin berichteten gestern relativ kurz, aber mit Bild von der Mahnwache. Die Milliyet schrieb, Sürücü stelle ein „Symbol der Freiheit“ dar. Das Blatt zitierte aus der Rede der Abgeordneten Özcan Mutlu (Grüne) und Giyasettin Sayan (Linke) bei der Mahnwache: „Es ist sehr schmerzlich, dass Sürücü für ihre Lebensweise sterben musste. Dieser Mord darf nicht Teil der türkischen Gemeinschaft werden.“ In der Hürriyet wird die umstrittene liberale Autorin Necla Kelek zitiert: „Hatun Sürücü hat ihre Lebensweise selbst bestimmt und dafür wurde sie ermordet.“ Ihr Tod bringe das Thema Frauenrechte erneut ans Tageslicht. Und weiter: „Hoffentlich war ihr Tod nicht umsonst.“

Auch Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, bedauert seine Abwesenheit – und betonte, dass er noch im vergangenen Jahr selbst mit zum Gedenken aufgerufen hatte. Taciddin Yatkin, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde zu Berlin, sagte, er sei am Jahrestag bei einer anderen Gedenkveranstaltung für Sürücü gewesen – nachmittags am Kottbusser Tor. Auch er sagte, das Fernbleiben beim Gedenken am Tatort dürfe nicht „als Symbol dafür missverstanden werden, dass wir die Tat nicht als furchtbares Verbrechen verurteilen“.

Türkischer Bund und Türkische Gemeinde betonten gestern, dass sie seit der Tat zahlreiche Projekte, Infoabende und Trainings für Eltern und Jugendliche gegen Gewalt in der Familie und bei der Erziehung angeboten haben und weiter ausbauen werden – auch in Kooperation mit türkischen Medien. Kenan Kolat sagte, die Türkische Gemeinde habe der Anfrage des Bundeskriminalamtes, in Kürze als Kooperationspartner bei einer Kampagne gegen Gewalt mitzuwirken, gern zugestimmt.

Annettte Kögel, Hatice Kilicer

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