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Vom Innenleben des „Salons Kitty“ gibt es keine Fotos. Die Bordellszene wurde für den 2004 entstandenen Dokumentarfilm von Claus Räfle nachgestellt.

© Look! Filmproduktion

Neues Buch über den legendären "Salon Kitty": Wo schöne Frauen auf böse Nazis trafen

Über das 1939 eröffnete Spionagebordell „Salon Kitty“ in Charlottenburg gibt es zahllose Legenden. Ein neues Buch versucht damit aufzuräumen.

Wenn der italienische Außenminister Graf Galeazzo Ciano, Schwiegersohn Mussolinis, in Berlin zu tun hatte, entspannte er sich gerne im Kino. Dabei zog es ihn weder in den Ufa-Palast am Zoo noch in die glamourösen Ku’damm-Kinos. Er bevorzugte die abseits gelegene „Kurbel“, dort wo sich Giesebrecht- und Sybelstraße am Charlottenburger Meyerinckplatz treffen.

Lange hielt es ihn allerdings nicht im Kinosessel. Kurz nach Vorstellungsbeginn ließ er seine Entourage allein, kehrte erst kurz vor Filmende zurück. Sein verschwiegenes Ziel: Salon Kitty, Giesebrechtstraße 11, das Edelbordell der Reichshauptstadt, geduldet, protegiert, wohl sogar erfunden von Reinhard Heydrich, Chef im Reichsicherheitshauptamt – so behauptete es jedenfalls später SD-Auslandschef Walter Schellenberg.

Seit dieser 1959 in seinen Memoiren das Nazi-Bordell erwähnte, hat es eine beeindruckende Karriere als Zeitschriften-, Buch- und sogar Filmstoff hingelegt, als Spielfilm eher reißerisch angelegt 1976 von Tinto Brass oder dokumentarisch für den RBB und die ARD 2004 von Claus Räfle. Böse Nazis, schöne Frauen, Sex, sogar Spionage – eine ideale Melange, um das Publikum anzulocken.

Doch jenseits allem Spektakulären gibt die Geschichte des Salons Kitty, der eigentlich schlicht und unverfänglich Pension Schmidt hieß, einen tiefen Einblick in die eher verborgenen Winkel des NS-Staates.

Um ein neues Buch über den Salon Kitty vorzustellen, ist das Spionagemuseum am Leipziger Platz heute sicher besser geeignet als die dritte Etage des Hauses Giesebrechtstraße 11, wo das Etablissement Anfang 1939 von der im Metier nicht unerfahrenen Kitty Schmidt eröffnet wurde und vor allem bis 1943 florierte, bevor britische Bomben den Ort der Lustbarkeiten zerstörten und in untere Etagen vertrieben.

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Wobei Kittys Damen, allesamt kultiviert, mehrsprachig, gebildet, im Ausspähen von Geheimnissen wohl nicht allzu erfolgreich waren, wie die Autoren Julia Schrammel, Journalistin aus Salzburg, und Urs Brunner, aus der Schweiz stammender, in Thailand tätiger Filmproduzent, bei der Buchpräsentation Ende Oktober betonten (Urs Brunner / Julia Schrammel: Kittys Salon. Legenden, Fakten, Fiktion. Kitty Schmidt und ihr berüchtigtes Nazi-Spionagebordell. Berlin Story Verlag. 298 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 19,95 Euro).

„Heydrich muss sehr dumm sein, wenn er glaubt, dass ich nicht von seinen Herren im Nebenzimmer weiß. Er sollte die Mikrophone nicht gerade unter den Kopfkissen verstecken“, soll Graf Ciano seinem Dolmetscher Eugen Dollmann erklärt haben, womit schon das Hauptproblem jeder historischen Recherche über das Bordell in der Giesebrechtstraße angeschnitten ist.

Die Aufnahme von Kitty Schmidt (re.) ist aus den 30er Jahren.
Die Aufnahme von Kitty Schmidt (re.) ist aus den 30er Jahren.

© Angel & Bear Productions Ltd.

Denn Legenden gibt es darüber genug, von verkabelten Zimmern, Abhör- und Aufzeichnungsvorrichtungen im Keller, aber Hieb- und Stichfestes ist rar.

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Es gebe viele Indizien, aber wenig Beweise, erklärten die Autoren, die fünf Jahre an ihrem Projekt geforscht haben. So gebe es keine bekannten Fotos von der Innenausstattung, auch Gästelisten fehlten, Autobiografisches der wohl ebenfalls sehr kultivierten, freundlichen und hilfsbereiten Puffmutter sowieso. So ist man auf alte Aussagen heute kaum mehr befragbarer Zeitzeugen verwiesen, die mal glaubhaft sind, mal fragwürdig wie die des „Seeteufels“ Graf Luckner, der eine Jüdin bei Kitty Schmidt untergebracht und so gerettet haben will.

Kitty Schmidt genoss höchste Protektion

Unzweifelhaft ist immerhin, dass es den Salon Kitty tatsächlich gegeben hat und er höchste Protektion genoss – schon insofern eine Ausnahme im NS-Staat, in dem Prostituierte sich nach Hitlers Machtergreifung massiven Repressalien gegenübersahen. So zeichnet es das Buch, neben der erfreulich kritischen Haltung gegenüber seinen Quellen, aus, dass nicht allein der Salon beschrieben wird, sondern ebenso die relevanten Ebenen der die ihn umgebenden Gesellschaft, seien es „Prostitution und Sex im Dritten Reich“ oder „Spionage und Misstrauen im Dienste des ,Führers‘“. Trotz aller Fragezeichen, Zweifel, Unwägbarkeiten ein spannendes, gut recherchiertes Stück Zeit- und Berlingeschichte.

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