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Vier Tage bis zur Berlin-Wahl: Berlin entscheidet in letzter Minute

Beinahe jeder zweite Wähler in Berlin ist noch nicht sicher, für wen er am Sonntag stimmen wird. Kleine Parteien bekommen Zuwachs. Warum das vor allem für SPD, Grüne und Linke ein Risiko ist.

Für 55 Prozent der Berliner ist die Wahl bereits gelaufen. Das ist der Anteil an Wahlberechtigten, die nach Angaben des Wahlforschers Richard Hilmer von Infratest dimap für sich bereits festgelegt haben, welcher Partei sie am Sonntag bei der Abgeordnetenhauswahl ihre Stimme geben wollen. Bleiben 45 Prozent, die sich noch nicht festgelegt haben – und um diese Unentschiedenen kämpfen die Parteien nun bis zum Wahltag mit besonderem Einsatz.

Wer diese Wackelkandidaten sind und welche Parteien sich besondere Hoffnungen machen dürfen, von kurzfristig getroffenen Entscheidungen zu profitieren? Es deutet einiges darauf hin, dass in diesem Jahr besonders SPD, Linke und Grüne zittern müssen, ob sie im Endspurt genügend Anhänger mobilisieren können, zum Wahllokal zu gehen und ihr Kreuz an der erhofften Stelle zu machen. Wahlforschern wie Hilmer zufolge sind im rot-grünen Lager die Parteipräferenzen besonders unbeständig.

Neben der Affinität für eine Partei im rot-grünen Lager zeichnet sich der unentschlossene Wähler in Berlin auch dadurch aus, dass er – oder sie – besonders offen für neue Parteien ist. Davon könnte am Sonntag besonders die Piratenpartei profitieren, sagen die Wahlforscher. Sie spricht gezielt Menschen an, die so empfinden wie Manuela Karnetzki, 50, Hausfrau und Mutter aus Zehlendorf. „Ich denke, wir Bürger sollten den etablierten Parteien zeigen, dass sie sich nicht über unsere Köpfe hinwegsetzen dürfen“, sagte sie bei einer Straßenumfrage des Tagesspiegels am Dienstag. „Wir sollten neuen Parteien eine Chance einräumen.“ Karnetzki findet aber auch: „Das Angebot an Alternativen ist ziemlich groß und verwirrend. Ich werde mich erst noch einmal gründlich schlau machen.“

Was den Parteien des linken Lagers ebenfalls zu schaffen macht, ist, dass schon jetzt klar scheint, wie die Wahl ausgehen wird. Oskar Niedermayer, Politikprofessor an der Freien Universität, sagt: „Nach der Absage von Künast an ein Bündnis mit der CDU scheint eine rot-grüne Koalition klar. Das könnte vor allem für SPD-Anhänger, aber auch für die der Grünen demobilisierend wirken, weil sie denken, die Wahl sei schon gelaufen.“ Und manche Linken-Anhänger könnten für ihre Partei nach den aktuellen Umfragen keine Regierungsperspektive mehr sehen – und sich fragen, ob sie nicht lieber für die aus ihrer Sicht zweitbeste Wahl stimmen, also die SPD.

„Es scheint alles schon entschieden, das macht die Wahl schwer“, klagt zum Beispiel Andreas Kramp, 33, Projektleiter für politische Bildung. „Was kann ich mit meiner Stimme denn da noch bewegen?“

Lesen Sie auf Seite zwei, wie Politikwissenschaftler die Lage bewerten.

Politikwissenschaftler Niedermayer hat beobachtet, dass in Berlin im Vergleich zu früheren Jahren der Anteil der sogenannten Spätentscheider zugenommen habe. Das erklärt er mit der allgemein gesunkenen Bindung an Parteien. Er schätzt, dass wenige Tage vor der Wahl etwa jeder fünfte Berliner noch gar nicht weiß, für wen er stimmen wird. Die 45 Prozent, die sich nach Angaben von Wahlforscher Hilmer noch nicht festgelegt haben, sind nach Niedermayers Einschätzung aber nicht komplett unentschlossen. Er glaubt, sie seien nur noch nicht völlig überzeugt, dass sie ihre Stimme auch tatsächlich der präferierten Partei geben werden.

Laut Umfragedaten des Politbarometers aus der vergangenen Woche ist diese Unsicherheit unter Grünen-Anhängern am Weitesten verbreitet. Von ihnen stellen wie berichtet noch 30 Prozent ihre derzeitige Vorliebe infrage. Bei den SPD-Anhängern sind es 27 Prozent, bei denen der CDU 19 und bei denen der Linkspartei 18.

Manche Unentschlossene wissen zwar noch nicht, für welche Kandidaten sie stimmen werden, aber sie wollen am Sonntag auf jeden Fall mitmachen – und sei es, um hinterher wenigstens auf die Politik schimpfen zu dürfen. So ist es zum Beispiel bei Dietmar Bentz, 54, Selbstständiger aus Spandau. „Ich habe meinen Wahlzettel gestern wieder aus dem Altpapier geholt“, sagt er. „Als Nichtwähler dürfte ich mich ja nicht einmal mehr drüber aufregen, was die da oben so veranstalten.“

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