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Präsenz zeigen. Eine Polizeistreife am Alexanderplatz

© Georg Moritz

Vier Wochen nach dem Tod von Jonny K.: Alexanderplatz: Angst im Nacken

In den Kneipen am Alex wird weitergefeiert, aber nach Hause gehen viele mit einem mulmigen Gefühl. Vier Wochen ist es her, dass hier Jonny K. erschlagen wurde. Immerhin ist die Polizei jetzt häufiger zu sehen.

Der nächtliche Alexanderplatz ist hell erleuchtet, trotzdem hat er etwas Gespenstisches. Das Quietschen der Züge bohrt sich in die Ohren, die feuchte Kälte kriecht durch die Kleidung. Die Menschen eilen über den Platz zum U-Bahn-Schacht, so als wollten sie sich nur nicht zu lange aufhalten auf diesem Platz, an dem vor vier Wochen der junge Jonny K. von Jugendlichen totgeprügelt wurde. „Ich habe mich hier nie sicher gefühlt, aber jetzt ist meine Angst noch größer“, sagt die 25-jährige Anna aus Kreuzberg. Nein, fotografieren lassen wolle sie sich nicht, sie befürchte, hinterher nur als Angsthase abgestempelt zu werden. „Heutzutage muss man stark sein und hoffen, dass man nicht zur falschen Zeit am falschen Ort ist.“

Jonny K. war es in jener Nacht. Nur ein paar Meter weiter entfernt liegen am Tatort noch Blumen und brennen Kerzen. Nebenan im Lokal „Cancun“, aus dem die Täter damals kamen, wird gefeiert. „Das Leben geht weiter. Es kann überall passieren“, sagt Nadja (22), die an diesem Abend mit Freunden zu einer Junggesellenverabschiedung unterwegs ist.

„Nein, vergessen kann man das so schnell nicht“, sagt Hans (24). Er sitzt mit seinem Kumpel Stefan (29) auf einer Bank, genießt das Feierabendbier nach einem anstrengenden Arbeitstag. „Passieren kann überall was. Wenn es so sein soll, dann ist es so“, sagt Stefan und zuckt mit den Schultern. Trotzdem wollen sie sich nicht abschrecken lassen. „Wir arbeiten in der Nähe und kommen jeden Abend hier vorbei. Seit dem Tod von Jonny K. sehen wir hier mehr Polizisten im Einsatz.“

In der Ferne sind die Sirenen eines Polizeiwagens zu sehen. Die Beamten springen aus dem Auto und rennen in den U-Bahn-Schacht. „Ein Mitarbeiter der BVG wurde von einem Mann angegriffen“, erklärt einer der Beamten. Nach der brutalen Tötung des 20-jährigen Jonny K. hatte Innensenator Frank Henkel (CDU) schnell gehandelt. Nur wenige Tage nach der Tat ließ er sich auf dem Polizeiabschnitt blicken, der für den Alexanderplatz zuständig ist, und beschloss mit den leitenden Beamten, ab sofort die Polizeipräsenz durch eine „mobile Wache“ zu erhöhen.

„Alles Augenwischerei“, findet ein Polizist, der mit seinen Kollegen nun häufiger über den Alexanderplatz gehen muss. „Wir werden eingeteilt, ab nachmittags bis 22 Uhr das Gebiet abzulaufen. Im Grunde geht es nur darum, dass die Passanten sich sicherer fühlen und denken, da wurde was gemacht.“ Die häufigsten Aufgaben seien, den Touristen am Alexanderplatz den Weg zu den Sehenswürdigkeiten zu weisen. „Nach 22 Uhr, wenn in den Kneipen und Bars drum herum etwas los ist, gibt es die verstärkten Streifen nicht, da fehlen die Leute“, sagt er.

Polizei mit "verstärkter Kraft"

Im Präsidium sieht man das anders: Es gibt eine „Präsenzstreife“, sagt Polizeisprecher Thomas Neuendorf. Zwei Beamte sind täglich von 14 bis 22 Uhr rund um den Platz unterwegs. Auch eine Einsatzanordnung, „mit verstärkten Kräften“, vorzugehen, sei umgesetzt worden. So seien am Wochenende bis zu 36 Beamte zwischen 18 und 6 Uhr auf dem Alexanderplatz, „um Straftaten zu verhindern und das subjektive Sicherheitsgefühl zu stärken“, sagt er. Allerdings sei richtig, dass dafür keine zusätzlichen Beamten bereitgestellt wurden, sondern die Polizisten, die nun Streife laufen, von anderen Aufgaben abgezogen werden.

„Ein einziger Verschiebebahnhof von Polizeibeamten“, kritisiert der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Dieter Großhans. „Die Kollegen werden aus aktuellen Ermittlungsfällen geholt und fehlen deshalb an anderen Brennpunkten.“ Der Polizist, der nun verstärkt Streife läuft, nimmt die neue Anordnung gelassen: „Das geht jetzt einige Monate so, bis der Tod des Jungen wieder in Vergessenheit geraten ist. Dann wird auch die Präsenz am Alexanderplatz weniger.“

Die Beamten kommen aus dem U-Bahn-Schacht zurück zum Auto. Der Fahrer blickt auf die Uhr. In einer Stunde kommt die Ablösung.

„Es ist unmöglich, die ganze Stadt rund um die Uhr zu bewachen. Wenn hier Polizisten im Einsatz sind, passiert garantiert woanders etwas“, sagt Sabine (48). Die technische Zeichnerin war mit Freunden essen und muss am Alexanderplatz in die U-Bahn umsteigen. „Für eine Frau ist es immer unangenehm, nachts allein unterwegs zu sein. Aber passieren kann auch etwas vor der eigenen Haustür.“ Hinter ihr gehen acht junge Männer und albern herum. Für sie geht das Nachtleben jetzt erst los. „Wir haben bei einem Kumpel ein bisschen vorgeglüht und wollen jetzt in einer Kneipe weiterfeiern“, sagt Tobias (28). Sie wollen Spaß haben und „bloß nicht über so schlimme Sachen nachdenken“. Seine Stimme klingt lallend. Die Gruppe wirkt sorglos. Für einen kurzen Augenblick wirkt der Alexanderplatz gar nicht mehr so beängstigend. Dann ist da auf einmal wieder das unheimliche Quietschen der Züge, auch die Kälte ist wieder spürbar. Und als das Polizeiauto seine nächste Runde dreht, ist es auf einmal wieder der Ort, an dem vor vier Wochen ein Mensch totgeprügelt wurde.

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