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In den meisten Fällen sterben Babys, weil sie extreme Frühchen sind. (Symbolbild)

© Kitty Kleist-Heinrich

Virchow-Klinikum: Baby von Influencerin wird obduziert

Diane June wirft dem Klinikpersonal vor, sie nicht ernst genommen zu haben. Die Charité kann sich wegen der Schweigepflicht nicht zum Fall äußern.

Von Fatina Keilani

Der Fall ist rätselhaft und tragisch: Ein Junge ist in der Charité nur zwei Tage nach seiner Geburt gestorben. Die Todesursache soll eine Blutvergiftung nach fortgeschrittener Lungenentzündung sein. Die Charité konnte zu dem Fall am Freitag wenig sagen, weil die Inhalte der gesetzlichen Schweigepflicht unterliegen. Umso stärker trat die Mutter des Babys an die Öffentlichkeit – sie erhob schwere Vorwürfe gegen die Charité und ihr Personal. Die Eltern seien mit ihren Sorgen von Ärzten und Schwestern ignoriert worden; als man sich dann doch endlich um das Baby gekümmert habe, sei es zu spät gewesen.

Die Mutter des Kindes ist Influencerin, sie tritt auf Youtube, Facebook, Twitter und Instagram als Diana June auf. Ihr Leben und ihre Schwangerschaft hat sie auf Instagram und Youtube inszeniert, wo 188 000 Follower ihre Schritte verfolgen und ihren Lifestyle betrachten können. Auf Instagram postete June ihre Schilderung der Vorgänge. Die Ärzte hätten ihr nicht geglaubt, dass es ihrem Kind schlecht gehe, und ihre Sorgen abgetan, obwohl der Junge Symptome gehabt habe. Das am 5. Dezember nach Aussage der Mutter gesund geborene Kind starb am 7. Dezember.

Elter müssen Charité von Schweigepflicht entbinden

Die Mutter berichtet, das Kind habe Fieber und einen Herzschlag von 240 gehabt, zudem sei es sehr blass gewesen. Dennoch habe niemand ihre Sorgen ernst genommen. „Nach Stunden entschied sich der Arzt dann doch, seine Blutwerte zu untersuchen. Die Oberärztin davor hatte nämlich gesagt, er sei kerngesund“, schildert die Mutter des Kleinen online. Auf mehrfache Nachfrage des Tagesspiegels war sie nicht persönlich zu erreichen. Auf ihrer Instagram-Seite fanden sich am Freitag zahlreiche Beileidsbekundungen. Das Baby wird obduziert; ein Ergebnis liegt noch nicht vor.

Die Charité würde zwar gerne ihre Sicht der Dinge darstellen, ist nach eigenen Angaben jedoch nicht befugt, sich zu äußern. Eine Sprecherin teilte mit: „Wir bedauern den Tod des Kindes, und unser volles Mitgefühl gilt den Eltern. Die von den Eltern vorgebrachten Vorwürfe sind in Anbetracht der Situation menschlich nachvollziehbar. Da der Charité bisher keine Entbindung von der Schweigepflicht durch die Eltern vorliegt, können wir uns derzeit nicht detailliert äußern.“ So lässt sich öffentlich nur eine Seite der Geschichte nachvollziehen.

Zahlen zu gestorbenen Neugeborenen in Berlin

Tragische Fälle gestorbener Neugeborener sind selten, kommen aber immer wieder vor. Im Oktober 2012 starb in derselben Klinik ein Neugeborenes an einer Blutvergiftung; damals waren es Serratien-Keime. Insgesamt waren sieben Babys von den Keimen befallen. Die sechs anderen überlebten. In einem später vorgestellten Bericht hieß es, dass 2012 sogar 25 Kinder von Keimen besiedelt waren, elf davon infiziert. Auch im Jahr 2015 hatte das Virchow-Klinikum mit Serratien auf der Neugeborenenstation zu kämpfen; im Frühjahr 2018 kam es zu einem Befall mit dem antibiotikaresistenten MRSA-Keim. Dass die Todesursache im aktuellen Fall Krankenhauskeime sein könnten, schloss die Charité jedoch aus.

Von 2008 bis 2016 ist die Zahl gestorbener Säuglinge in Berlin von 108 auf 135 gestiegen; allerdings gab es auch wesentlich mehr Geburten, nämlich mehr als 37 000 im Vergleich zu knapp 32 000. Je 1000 Geburten ist die Zahl von 3,4 auf 3,6 gestiegen, nur in Neukölln liegt sie doppelt so hoch. Das geht aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des CDU-Abgeordneten Heiko Melzer vom Juli 2018 hervor.

In den meisten Fällen sterben die Babys, weil sie extreme Frühchen sind; an zweiter Stelle stehen angeborene Missbildungen. Der plötzliche Kindstod wird immer seltener – die Zahl sank von elf Fällen 2008 auf drei Fälle 2015. Stirbt ein Säugling, so passiert dies am wahrscheinlichsten in den ersten sechs Lebenstagen. So wie im aktuellen Fall. Allerdings war das Baby der Bloggerin den Bildern im Internet zufolge kein Frühchen – die Frau meldete Mitte November die 36. Schwangerschaftswoche und präsentierte einen kugelrunden Bauch.

Zusammenhang mit Lebenssituation der Eltern

Wissenschaftlich belegt ist, dass Frühgeburtlichkeit und Säuglingssterblichkeit in engem Zusammenhang mit der Lebenssituation der Eltern stehen. Dementsprechend liegt die Säuglingssterblichkeit in den Bezirken Neukölln, Mitte und Spandau mit der ungünstigsten Sozialstruktur höher als im Berliner Durchschnitt, und in den Bezirken Steglitz-Zehlendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und Pankow mit der günstigsten Sozialstruktur liegt sie unter dem Berliner Durchschnitt.

Für betroffene Eltern gibt es Hilfsangebote. Unter dem Suchwort Sternenkinder sind im Internet verschiedene Angebote zu finden. Es gibt Fotografen, die das tote Baby mit seinen Eltern fotografieren, um ein Erinnerungsstück zu schaffen, es gibt psychologische Hilfe und Seelsorge.

Früher konnten die sogenannten Sternenkinder nicht einmal bestattet werden, weil das Personenstandsrecht sie nicht als Personen anerkannte. Die Rechtslage hat sich aber vor einigen Jahren geändert. Das tote Baby bekommt nun auch einen Totenschein und kann bestattet werden.

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