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Kinder mit Mundschutzmasken sitzen im Unterricht.

© Boris Roessler/dpa

Exklusiv

Viren, Hygiene, Quarantäne nach den Ferien: Wie gefährlich ist der Unterricht in Pandemiezeiten für Berliner Schüler?

Am Montag fängt im Corona-Hotspot Berlin die Schule wieder an – mit einer Maskenpflicht im Unterricht für ältere Schüler.

Die Schulen bleiben so lange wie möglich offen – das wiederholen Kultusminister und auch die Kanzlerin seit Wochen immer wieder. Alles andere wäre berufstätigen Eltern, die während des Lockdowns im Frühjahr schon stark belastet wurden, auch kaum zu vermitteln. Doch mit den steigenden Infektionszahlen und den Schulschließungen im Berchtesgadener Land, schließen die Verantwortlichen auch in anderen Hotspots nichts mehr aus. Unter Berlins Eltern und Lehrern wächst kurz vorm Ferienende die Sorge.

Wie gefährlich ist Schule?
So richtig lässt sich das immer noch nicht beantworten. Das liegt auch daran, dass bisherige Studien aus Deutschland zu dem Thema aus den Monaten stammen, in denen das Infektionsgeschehen in der Bevölkerung insgesamt gering war. Einige Untersuchungen aus dem Ausland unterstützen die These, dass Schulen kein großer Infektionstreiber sind, andere könnten diesen Schluss durchaus zulassen.

Was man weiß: Kinder und Jugendliche erkranken meist weniger schwer nach einer Infektion, und kleinere Kinder erkranken zudem tendenziell seltener. Doch wie sehr sich Ansteckungsketten in Schulen bilden können, wie oft Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte das Virus in ihre Familien tragen, bleibt offen.

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Wenig hilfreich in dem Zusammenhang ist, dass die Bundesländer offenbar nur unzureichende Statistiken über das Infektionsgeschehen an den Schulen seit den Sommerferien führen – also seitdem der Regelbetrieb ohne Mindestabstand wieder aufgenommen wurde. Das lässt sich aus eine Umfrage des Tagesspiegels in Berlin, Bremen, Hamburg, NRW und Hessen schließen, den Ländern mit der höchsten Infektionsinzidenz.

Nur Bremen kann überhaupt die Frage beantworten, ob es Erkenntnisse über Fälle gibt, bei denen das Virus in der Schule weitergegeben wurde: „Zunehmend kommt es in Schulen zu Ausbrüchen“, heißt es dort. Aktuell gehe das Gesundheitsamt von 14 Schulen aus, in denen es Ansteckungsketten innerhalb der Einrichtung gibt – wobei als „Kette“ bereits gilt, wenn eine Person eine zweite ansteckt.

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Insgesamt sind derzeit 55 der 211 Bremer Schulen vom Infektionsgeschehen betroffen. Seit den Sommerferien infizierten sich 219 Schülerinnen und Schüler sowie 31 Lehrkräfte, als genesen gelten 42 beziehungsweise vier.

Die anderen Länder, auch Berlin, nennen keine Gesamtzahlen und wissen nicht über Ansteckungsketten Bescheid. Schule bleibt somit in Sachen Pandemie eine Black Box – und so ist auch unklar, welche Maßnahmen wirksam sind.

Wie entwickeln sich die Infektionszahlen an Berlins Schulen?
Seitdem die Infektionszahlen in Berlin rapide zunehmen, sind auch mehr Schulen von Teilschließungen betroffen. In den öffentlichen Schulen hatte sich in der Woche vor den Herbstferien die Zahl der Lerngruppen in Quarantäne von 74 auf 186 mehr als verdoppelt, weil die Zahl der nachweislich infizierten Schüler von 90 auf über 200 gestiegen war (Personal: von 27 auf 48).

Neukölln, besonders schwer von der Pandemie betroffen, ist der einzige Bezirk, der seine Schuldaten von sich aus veröffentlicht: Daher ist nur für Neukölln bekannt, dass die positive Testung von zuletzt knapp 80 Schülern und 13 Schulmitarbeitern die Quarantäne von rund 1850 Schülern nach sich zog. Berlinweit dürften geschätzt über 4000 in Quarantäne gewesen sein, von denen nach den Ferien allerdings die meisten wieder in die Schule dürfen.

Unbekannt ist, wie viele neue Infektionen während der Ferien hinzukamen. „Schulen sind nicht Infektionsherde, Infektionen werden vielmehr in die Schulen hineingetragen“, betont Iris Brennberger, Sprecherin der Senatsverwaltung für Bildung. Dies bestätige bisher auch die Schulstudie der Charité.

Wie will Berlin die Lage an den Schulen im Griff behalten?
Berlin hat einen Corona-Stufenplan entwickelt, der bei steigenden Infektionszahlen verschiedene Maßnahmen wie Kohortenbildung und eine erweiterte Maskenpflicht vorsieht. Erst bei der letzten von vier Gefahrenstufen soll ein Teil der Schüler zu Hause unterrichtet werden.
Da sich die Infektionszahlen auch innerhalb eines Bezirks stark unterscheiden, soll es keine Stufe für alle Schulen eines Bezirks geben. Vielmehr soll ab kommenden Donnerstag wöchentlich das jeweilige Gesundheitsamt mit der Schulaufsicht je nach Infektionsgeschehen im direkten städtischen Umfeld und an der Schule selbst für jede einzelne Schulen festlegen, welche Gefahrenstufe mit welchen Vorsichtsmaßnahmen laut Stufenplan gilt: „Am Ende steht die Entscheidung des jeweiligen Gesundheitsamtes“, erläutert die Senatsverwaltung für Bildung das Prozedere.

Einzelne Bezirke wie etwa Marzahn-Hellersdorf wollen schon an diesem Donnerstag mit der Besprechungsrunde der Schulaufsicht und des Gesundheitsamtes beginnen, um gegebenenfalls schon vor dem ersten Schultag am Montag strengere Vorkehrungen zu treffen, berichtet Bildungsstadrat Gordon Lemm (SPD). Auch Pankows Bildungs- und Gesundheitsstadtrat Torsten Kühne (CDU) betont: „Wir warten nicht bis zum 29. Oktober“.

Das fordern inzwischen immer mehr Lehrer- und Elternvertreter: „Mein Appell lautet, dass alle Ämter vor Ferienende die Lage besprechen“, sagte Landeselternsprecher Norman Heise auf Anfrage. Er kritisiert auch, dass die Schulen nach den ursprünglichen Vorstellungen der Bildungsverwaltung nach den Ferien mit den niedrigsten Sicherheitsvorkehrungen („Stufe grün“) starten sollten – so als gäbe es in Berlin nur ein niedriges Infektionsgeschehen.

An diesem Punkt wird allerdings nachgebessert: „Am diesem Donnerstag werden die Schulleiter informiert, dass für die weiterführenden Schulen Maßnahmen aus der gelben Stufe gelten sollen“, sagte am Mittwochabend Iris Brennberger, die Sprecherin der Bildungsverwaltung mit Verweis auf Staatssekretärin Beate Stoffers (SPD) dem Tagesspiegel. Das bedeute konkret, dass in den gymnasialen Oberstufen und Berufsschulen Maskenpflicht auch im Unterricht herrschen werde. Hierzu habe Stoffers „intensive Gespräche mit den Bezirken geführt“, am Mittwoch noch mit Neuköllns Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU).

Was empfehlen das Robert Koch-Institut und die Kultusministerkonferenz?
Der Berliner Stufenplan orientiert sich grob am entsprechenden Stufenplan der Kultusministerkonferenz (KMK) – wobei die KMK als allerletzte Maßnahme jedoch eine vollständige Umstellung auf Distanzunterricht vorsieht. KMK-Präsidentin Stefanie Hubig hatte allerdings unlängst nochmal klargemacht, dass die jeweiligen Maßnahmen vor Ort entschieden werden müssen und die KMK aktuell keinen Anlass für einen bundesweit eingeschränkten Regelbetrieb sieht.

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Nicht nur in Berlin, sondern auch bundesweit halten Lehrer- und Elternverbände die Pläne in einem entscheidenden Punkt für zu vage: Sie sehen keine festen Inzidenzwerte vor, ab denen die Maßnahmen verschärft werden müssen. „Das Ganze läuft nach dem Motto ‚Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen‘: Viele können damit gut umgehen, wenige sind übervorsichtig und manche kacheln mit 250 km/h in den Stau“, kritisieren die Lehrergewerkschaften GEW und VBE sowie der Bundeselternrat.

Sie verweisen auf eine detaillierte Handreichung des Robert Koch-Instituts (RKI) zum Infektionsschutz in Schulen. Das RKI empfiehlt ab einer Inzidenz von 50 Infektionen pro 100.000 Einwohnern in einem Landkreis, eine Maskenpflicht im Unterricht für alle Klassenstufen, eine Teilung von Klassen und kurzzeitige lokale Schulschließungen zu „prüfen“.

Was würden Luftfilter bringen und wie schnell könnten sie eingebaut werden?
Bei geringer Luftfeuchtigkeit überleben die Viren besonders lange. Für Schulen wird daher empfohlen, in den Klassenräumen alle 20 Minuten die Fenster zu öffnen, um zu lüften. Luftfilter könnten dagegen zwei bis sieben Mal pro Stunde die Luft auswechseln.

Viele Hersteller haben seit Beginn der Coronakrise spezielle, mobile Filterapparate für öffentliche Gebäude wie Schulen, Kindergärten, Behörden und Großraumbüros entwickelt. Das Unternehmen „Berliner Luft“ bietet ein zwei Meter breites, 80 Zentimeter hohes und 250 Kilogramm schweres Gerät an. Ganze Klimaanlage in Berliner Schulen zu installieren, wäre kurzfristig viel zu aufwändig.

Made in Berlin. Der mobile Reiniger Pure wird in Lichtenberg produziert. Er wiegt 250 Kilogramm.
Made in Berlin. Der mobile Reiniger Pure wird in Lichtenberg produziert. Er wiegt 250 Kilogramm.

© promo

Die auf dem Markt erhältlichen mobilen Reiniger entkeimen die Luft, ohne die Räume auszukühlen. In den Geräten sind zwei Hochleistungsfilter hintereinander angebracht, die 99,95 Prozent aller Coronaviren aus der Luft herausfiltern. Die Lieferzeit liegt bei mindestens drei Wochen, die Kosten pro Gerät betragen 3500 bis 4000 Euro.

Welche Rechte haben Arbeitnehmer, wenn ihr Kind in Quarantäne geschickt wird?
Grundsätzlich können berufstätige Eltern Kinderkrankheitstage in Anspruch nehmen, um den Nachwuchs zu Hause zu betreuen – sofern das Kind unter zwölf Jahre alt ist. Der Anspruch darauf wurde wegen der Corona-Pandemie im August noch einmal ausgeweitet. Standen gesetzlich versicherten Eltern bislang im Jahr zehn dieser Tage zu, sind es nun 15. Bei Alleinerziehenden sind es 30 statt 20 Tage.

Allerdings greift diese Möglichkeit nur dann, wenn das Kind tatsächlich krank ist. Es muss eine Bestätigung des Arztes vorliegen. Fällt die Betreuung aus anderen Gründen weg – wie einer Quarantäne-Maßnahme – können keine Kinderkrankheitstage genommen werden.

Die Regierung hat Eltern für den Fall aber auch mehr bezahlte Ausfalltage zugebilligt. Jedes Elternteil hat nach dem Infektionsschutzgesetz einen Anspruch auf bis zu zehn Wochen, Alleinerziehende auf bis zu 20 Wochen. Müssen Eltern zu Hause bleiben, weil Kita oder Schule wegen eines Covid-Falls geschlossen sind, bekommen sie 67 Prozent ihres Nettoeinkommens vom Staat, aber höchstens 2016 Euro. Der Anspruch besteht nur, solange das Kind jünger als zwölf ist.

Um weiterhin das volle Gehalt zu bekommen, können Eltern für die Betreuung auch Überstunden abbauen, Urlaub nehmen oder ins Homeoffice wechseln. Die Auszahlung der Entschädigung übernimmt für bis zu sechs Wochen der Arbeitgeber. Dieser kann bei der zuständigen Behörde einen Erstattungsantrag stellen. Die Regelung gilt bis zum Jahresende.

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