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Sein Revier. Vize-Generalstaatsanwalt Manfred Schweitzer im Kammergericht, wo auch die Generalstaatsanwaltschaft sitzt. Seit 1979 war er für die Anklagebehörde tätig.

© Mike Wolff

Vize-Generalstaatsanwalt Manfred Schweitzer: Der Mann mit Kante

Korrupte Politiker, Neonazis, Intensivtäter: Vize-Generalstaatsanwalt Manfred Schweitzer hatte sie alle. Jetzt geht er in den Ruhestand.

Von Fatina Keilani

Einmal klopfte es an der Tür, eine junge Frau stand da, mit einer Plastiktüte in der Hand, die sie Manfred Schweitzer übergab. „Sagen will ich nichts, aber ich kann Ihnen etwas geben“, murmelte sie. In der Tüte befanden sich rund 30 000 D-Mark. Sie waren das „Lösegeld“ aus einem Kunstraub. Das Bild „Schiffe auf der Reede“ von Caspar David Friedrich war gestohlen worden und sollte für diese Summe zurückgegeben werden, was auch geschah. Der Täter fühlte sich offenbar unsicher und deponierte die Beute bei seiner Freundin auf der Arbeit. Die Frau war Kassiererin in einem Supermarkt und hätte nach dem Plan des Freundes nicht in die Tüte schauen sollen, tat es dann aber doch. Schweitzer war damals noch ganz frisch als Staatsanwalt dabei.

Das ist lange her. Jetzt geht Manfred Schweitzer in den Ruhestand, nach 37 Jahren als Ankläger auf verschiedenen Hierarchiestufen, zuletzt als stellvertretender Generalstaatsanwalt. Der 64-Jährige kann viele Geschichten erzählen; er hat eine Menge erlebt in den 37 Jahren, allein 14 Justizsenatoren kamen und gingen. Am 10. Mai war sein letzter Tag, zurzeit nimmt er den restlichen Urlaub, Ende Mai ist seine aktive Zeit offiziell vorbei – ein guter Grund, den „Vizegeneral“ noch einmal zu besuchen.

Die Generalstaatsanwaltschaft sitzt nicht in Moabit, sondern am Kleistpark, im Kammergericht. Schweitzer hat ein schönes Büro, groß, mit Fenstern über Eck, in der freien Wirtschaft ein untrügliches Karrierezeichen: ein „corner office“. Genau hier enden aber auch die Parallelen. Statussymbole gibt es hier nicht. Schweitzer trägt kein teures Schuhwerk, keine edle Uhr, kein Hemd mit Manschettenknöpfen, keinen Anzug, seine Möbel in Eiche massiv hatte zuvor eine Kollegin rausgeworfen; sie wollte sie auf den Speicher stellen, doch dort wären sie nach kurzer Zeit durch Feuchtigkeit hinüber gewesen, befürchtete Schweitzer, also nahm er sie. Der wuchtige Schreibtisch steht schräg auf einem Teppich, mit Blick zur Tür, typisch Kriminalist, an der Wand hängen gerahmte Poster, Edward Hopper, keine Originale, keine edlen Rahmen. Demnach: kein Hang zur Prasserei, dafür zur Beständigkeit.

Erster Arbeitstag: 29. März 1979

Wofür geben Sie Geld aus, Herr Schweitzer? „Wenn mal welches übrig war, habe ich es für Tasteninstrumente wie Klavier, Orgel, Synthesizer ausgegeben“, sagt Schweitzer. Damit habe er dann aber auch wieder Geld verdient – seit der Schulzeit spielt er in derselben Band, sie heißt „Hedgehog“ und trat schon mehrfach im Fernsehen auf. Jeden Montag probt die Truppe in Schweitzers Keller.

Schweitzers erster Arbeitstag war der 29. März 1979. Sein Vorgesetzter habe ihn begrüßt mit den Worten: „Und zwei vor Ihnen habe ich auch schon rausgeschmissen.“ Es folgte eine schwere Zeit. „Ich bin durch ein Stahlbad gegangen“, erinnert sich Schweitzer. Irgendwann sei er erlöst und in eine andere Abteilung versetzt worden.

Bewegte Zeiten folgten ab 1983, als Schweitzer in der P-Abteilung war, er klagte Hausbesetzer und Steineschmeißer an, unterbrochen durch den Antes-Skandal, in dem er ebenfalls anklagte. Prominenz brachte das aber nicht – in der Öffentlichkeit kennt ihn bis heute kaum jemand. Er hat sich meist im Hintergrund gehalten. Auch im Tagesspiegel-Archiv kommt Schweitzer kaum vor. Über die Affäre um den korrupten Charlottenburger Baustadtrat Wolfgang Antes wurde breit berichtet, aber ohne dass Schweitzers Name dabei auftauchte.

Meist schadet es einer Sache, wenn sich ständig Personen ins Bild schieben. „Das war nie mein Ding“, sagt Schweitzer. Und wird gleich wieder sachlich. Es sei von der P-Abteilung übrigens nie nur nach links ausgeteilt worden, sondern sehr wohl auch nach rechts, aber seltsamerweise habe das die Presse nie interessiert. „Wir haben nach rechts richtig reingekloppt, wir haben zur Auflösung der FAP (die rechtsextremistische „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei, d. Red.) beigetragen, wir wussten auch, das sind 80 Prozent Debile, aber auf die anderen 20 Prozent muss man aufpassen. Wir kannten die alle und hatten die auch im Griff. Aber das fand in der Öffentlichkeit nicht statt.“

Gründung der Intensivtäterabteilung

Etwas bekannter wurde Schweitzer mit Gründung der Intensivtäterabteilung, doch selbst das brachte dem Kollegen Roman Reusch wesentlich mehr Prominenz. „Unter Rot-Rot eine Intensivtäterabteilung zu gründen, war nicht ohne“, erinnert sich Schweitzer. Er habe Rückendeckung der Senatorin gehabt, damals Karin Schubert (SPD), „und ich war ja auch P-gestählt“. Aber die Jugendrichter hätten lange Zeit nicht mitgemacht.

„Mahmoud kam mit der Zahnbürste zur Verhandlung und dachte, er fährt jetzt ein, doch dann kam nur eine Ermahnung“, erzählt Schweitzer. „Der Richter sagte: ,Lass Dich nicht noch mal erwischen‘, das werde ich nie vergessen – wenn er wenigstens gesagt hätte: ,Mach es nicht wieder!‘“ Es gehe schon damit los, wie man die Dinge nenne: „Ich rede nicht von Abziehdelikten. Ich rede von Raub.“ Mit „Mahmoud“ ist Nidal R. gemeint, der es schon in jungem Alter auf 90 Ermittlungsverfahren und 54 polizeiliche Sachbearbeiter brachte und zeitweise täglich die Zeitungen füllte.

Täter hätten sich totgelacht über die lasche Justiz

Ermahnungen bringen nichts, das ist Schweitzers Erfahrung. Die jugendlichen Täter hätten sich totgelacht über die lasche Justiz. Die Intensivtäterabteilung führte dazu, dass Wiederholungstäter immer auf denselben Sachbearbeiter trafen – bei der Polizei und bei der Staatsanwaltschaft. Schweitzer wollte härtere Strafen erreichen und legte gegen die Ermahnungen Berufung um Berufung ein. Es dauerte, bis die Gerichte langsam umschwenkten und mitmachten. Es wurden jetzt auch mal welche eingesperrt, und das hatte Wirkung. Sie waren von der Straße weg, kamen zum Nachdenken.

„Die Täter fühlten sich überhaupt erst wertgeschätzt von uns, wenn wir klare Kante gezeigt haben“, sagt Schweitzer. „Es war dann bei manchen eine Art Gütesiegel, auf der Intensivtäterliste zu sein. Das wollten wir natürlich auch nicht.“

Auch in dieser Zeit klopfte es an Schweitzers Tür. Frühere Intensivtäter standen da. „Die sagten zu mir: Schweitzer, Sie sind zwar ein harter Hund, und ich mag Sie nicht, aber das war richtig, was Sie gemacht haben“, erinnert sich der Ermittler. „Das war ein Highlight, so etwas zu erleben. Mit einigen von denen hat wirklich was stattgefunden.“ Wer Schweitzers Nachfolger wird, steht noch nicht fest.

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