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Auch Turmfalken finden im Biesdorfer Forsthaus eine Unterkunft. Zuletzt wurde dieser verletzter Falke aus Köpenick aufgepeppelt.

© Kai-Uwe Heinrich

Vögel in Berlin: Naturschutzbund sorgt sich um seine Wildvogelstation

Im alten Biesdorfer Forsthaus betreibt der Naturschutzbund Nabu Berlins einzige Wildvogelstation. Doch das marode Gebäudesoll abgerissen werden.

Die Ringeltauben brauchen ihre Ruhe. Vor ihren Käfigen hängt ein riesiges Bettlaken, damit sie nicht gestört werden. Man hatte sie verletzt aufgelesen, jetzt werden sie in der Biesdorfer Wildvogelstation gesundgepflegt. Am Rand des Lakens kann man durch einen schmalen Spalt eine Taube sehen: Mit großen Augen reckt sie ihren zerzausten Hals. So sieht Panik bei Tauben aus. Die Tiere stören sich nicht nur an den Geräuschen der Besucher, sondern auch am Licht, das jetzt den kleinen Raum erhellt. Normalerweise bekommen sie ihr Futter im Dunkeln, um sie nicht aufzuregen.

Man kann sich gut vorstellen, dass ein Umzug das Letzte ist, was so eine Ringeltaube jetzt braucht. Trotzdem wird es wohl bald so weit sein. Ihr neues Heim wird ein 6 mal 2,5 Meter großer Container sein. Denn ihre jetzige Wohnstätte, das alte Forsthaus in Biesdorf, ist so kaputt, dass sie wahrscheinlich abgerissen werden muss.

Betreiber der Wildvogelstation ist der Naturschutzbund (Nabu), das Forsthaus selbst gehört dem Bezirk Marzahn-Hellersdorf. 1950 gebaut, wurde es jahrzehntelang nicht saniert, obwohl Schäden äußerlich schon lange sichtbar waren. Im Oktober gab der Bezirk nun ein Gutachten in Auftrag – mit katastrophalem Ergebnis: Das Gebäude ist nur teilweise unterkellert, das hat zu Sackungen des Fundaments geführt, zu Verkippung und Rissbildung. Wer vor dem Forsthaus steht, weiß auch ohne Gutachter, dass man hier nicht mehr arbeiten sollte. Ein breiter Riss zieht sich über die gesamte Vorderseite des Hauses. Durch ihn dringt sogar Licht in die Räume dahinter.

„Am 7. November haben wir vom Bezirksamt eine Räumungsaufforderung bekommen“, sagt die Berliner Nabu-Geschäftsführerin Jutta Sandkühler. Der Bezirk habe ihr vorher schon angedeutet, dass das Gutachten wahrscheinlich so ausfallen werde. Als Sofortmaßnahme habe der Gutachter ein stählernes Stützkorsett vorgeschlagen, um das Haus zu stabilisieren. „Gleichzeitig hat uns der Bezirk aber mitgeteilt, dass er weder Mittel für diese Maßnahme noch für eine Sanierung habe“, sagt Sandkühler.

André Hallau, Chef der Nabu-Station, sorgt sich um den Fortbestand der Einrichtung.
André Hallau, Chef der Nabu-Station, sorgt sich um den Fortbestand der Einrichtung.

© Kai-Uwe Heinrich

Laut Baustadträtin Juliane Witt (Linke) sei diese Option inzwischen sowieso vom Tisch. Eine Sanierung des Forsthauses selbst sowie des Flachbaus nebenan, in dem das Straßen- und Grünflächenamt des Bezirks einen Standort unterhält, sei wirtschaftlich nicht machbar. „Unser Ziel ist ein Neubau, in dem die Nabu-Mitarbeiter ebenso Platz finden wie die Kollegen des Grünflächenamts“, sagt Witt. Die Kosten für Abriss, Altlastensanierung und Neubau beziffert sie auf 1,3 Millionen Euro. Der Bezirk wolle laut Witt beantragen, dass das Land Berlin über das Sondervermögen Infrastruktur der wachsenden Stadt und Nachhaltigkeitsfonds für die Kosten aufkommt. Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz habe dem Bezirk am Donnerstag schriftlich mitgeteilt, dass man zu Gesprächen bereit sei und hoffe, gemeinsam eine Lösung zu finden. Seit Jahren unterstütze das Land die Wildvogelstation jährlich mit 93 000 Euro. Das werde man beibehalten. „Allerdings gibt es keine gesetzliche Verpflichtung, eine Wildvogelstation zu unterhalten“, so Sprecher Derk Ehlert. Ob man sich im Falle eines Neubaus an den Kosten beteiligen werde, müsse man erst klären.

Im Moment arbeiten der Biologe André Hallau, Leiter der Wildvogelstation, und zwei Tierpfleger noch immer in dem maroden Gebäude. Weil sie dort nicht bleiben können, will das Land 15 000 Euro für vier Container bereitstellen, die in den nächsten Wochen auf dem Hof neben dem Forsthaus aufgestellt werden sollen. Hallau kann sich noch nicht vorstellen, wie es ist, in einem Container zu arbeiten. „Außerdem fehlt uns dort neben den Käfigen mit den Ringeltauben der Vogelraum im ersten Stock“, sagt Hallau. Auch die Zimmervoliere im Keller, in der sensible Arten wie Sperber, Habichte und Eulen versorgt werden, geht verloren, wenn das Gebäude bald gesperrt wird. „Wir können in dem Container weniger Vögel unterbringen“, sagt Hallau. Es müsse möglichst schnell eine dauerhafte Lösung her, damit die Arbeit der Station nicht zu sehr leide.

Die Hauptaufgaben der einzigen Wildvogelstation in Berlin sind die Bürgerberatung und die Tierpflege. Wer einen verletzten oder hilflosen Wildvogel im Stadtgebiet findet, kann Hallau und seine Kollegen anrufen. „Wenn es uns nicht gäbe, hätten die Leute keinen Ansprechpartner mehr. Das wäre fatal.“ Viele schicken ihm Fotos von den Vögeln via Smartphone. Dann kann er entscheiden, was zu tun ist. „Einen Mauersegler oder eine Schwalbe kann man nicht auf dem Boden sitzen lassen. Eine junge Amsel hingegen schon. Die verlassen flugunfähig das Nest, werden aber weiterhin versorgt“, sagt Hallau. Woher aber würden die Bürger das erfahren, wenn die Wildvogelstation schließen müsste?

In einer hölzernen Außenvoliere sitzt ein Turmfalke auf einem langen Ast. Der Greifvogel wurde im Oktober in Köpenick gefunden. Sein Gefieder war so stark beschädigt, dass er nicht mehr fliegen konnte. „Könnte ein Stromschlag gewesen sein“, vermutet der Biologe. Das Tier muss voraussichtlich ein ganzes Jahr in der Wildvogelstation bleiben. Jeden Tag, auch an Wochenenden, müssen ihn Hallau und seine Kollegen füttern und umsorgen. Erst dann wird sein Federkleid so weit nachgewachsen sein, dass er draußen überleben kann. André Hallau hofft, dass es die Wildvogelstation dann noch gibt.

Die Wildvogelstation in Biesdorf

Egal ob Singvogel, Stockente oder Seeadler – in der Wildvogelstation in Biesdorf bekommt jeder einen Platz. Findet man einen verletzten Vogel, ist die Tierklinik der FU Berlin in Zehlendorf die erste Adresse. Sind die Tiere medizinisch versorgt, holt sie ein Mitarbeiter der Wildvogelstation ab. Im Vorjahr wurden fast 800 Vögel in der Station gepflegt, 84 Prozent konnten in die Freiheit entlassen werden. Beim Auswildern kommt es auf den besten Zeitpunkt an: Die Entwicklungsphase des Tieres, Wetter und Jahreszeit spielen eine Rolle – bei 43 verschiedenen Arten im letzten Jahr keine leichte Aufgabe. Die häufigsten sind Stockenten, Mauersegler und Ringeltauben, jeder zehnte Vogel war ein Greifvogel oder eine Eule. Diese verletzen sich durch Kollisionen oft besonders schwer. Aber nicht bei jedem hilflos scheinenden Vogel sollten Menschen sich einmischen. Um das zu beurteilen, führen die Mitarbeiter der Wildvogelstation pro Jahr etwa 3000 Beratungsgespräche am Telefon, zur Hauptsaison von April bis August gar 600 pro Monat. Diese Mammutaufgabe ist nur mit viel Herzblut und der Unterstützung von Ehrenamtlichen zu leisten.

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