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Wohnungsnot und stetig steigende Mietpreise bringen Mieter auf die Straße.

© Florian Schuh/picture alliance/dpa

Volksbegehren: Enteignen kommt Berlin billiger als kaufen

Was würde es kosten, Wohnungsbestände zu verstaatlichen? Maximal 40 Milliarden Euro, schätzt der Senat. Es könnte auch deutlich weniger sein.

Eine Enteignung der zehn größten Immobilienunternehmen der Stadt könnte Berlin etwa 40 Milliarden Euro kosten. Das steht in der amtlichen Kostenschätzung für das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, die dem Tagesspiegel vorliegt. Vielleicht könnte die Summe aber auch um rund 20 Prozent niedriger liegen, bei 32 Milliarden Euro, schreiben die Beamten der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Man müsse nicht zwingend den aktuellen Marktwert der Wohnungen ansetzen.

Die Rechtsprechung erlaube auch einen „Paketabschlag“, eine Art Rabatt, weil man ja en bloc entschädigt. Es sei auch denkbar, einen Bodenrichtwert von beispielsweise 2013 anzusetzen statt von 2019, bereinigt um einen Inflationsausgleich. So lassen sich die spekulativen Wertsteigerungen herausrechnen. Auch die Mietpreiszuwächse der vergangenen Jahre könnten mit Abschlägen von bis zu fünf Prozent veranlagt werden, weil sie dem Eigentümer größtenteils „ohne Eigenleistung“ zugefallen sind.

Es geht um 243.000 Wohnungen

Wie viel Berlin am Ende zahlen müsste, entscheiden wahrscheinlich die Gerichte, denn große Entschädigungsverfahren werden in den seltensten Fällen gütlich geregelt. Für die Eigentümer sind Enteignungen bei guter Konjunktur immer ein schlechtes Geschäft. Entschädigt wird allenfalls der aktuelle Verkehrswert des Grundstücks, nicht der Gewinn, der mit Vermietung oder Verpachtung erzielt wird.

Ein Manöver dieser Größenordnung – laut Senat würden 243.000 Wohnungen verstaatlicht – würde mit ziemlicher Sicherheit vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Denn die gesetzliche Grundlage wäre nicht – wie bei der Enteignung einzelner Grundstücke für den Bau von Straßen – das Baugesetzbuch.

Für die Enteignung ganzer Unternehmen müsste erst noch ein Gesetz geschaffen werden. Grundlage dafür wäre der Artikel 15 im Grundgesetz, zur „Vergesellschaftung“ von „Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln“, doch dieser Artikel gilt als ein „Verfassungsfossil“, wurde noch nie angewendet und geriet in Vergessenheit. Keine Regierung wollte sich vorwerfen lassen, den DDR-Sozialismus einzuführen.

Der FU-Professor Christian Pestalozza würde es begrüßen, wenn der Volksentscheid zustande käme.
Der FU-Professor Christian Pestalozza würde es begrüßen, wenn der Volksentscheid zustande käme.

© privat

Der Volksentscheid würde ein Tabu brechen

Berlin würde also per Volksentscheid mit diesem Tabu brechen. Der Verfassungsrechtler Christian Pestalozza von der Freien Universität fände das auch in Ordnung. „Die bisherigen Instrumente, die Mieten zu begrenzen, reichen offenbar nicht aus“, sagt er. In einer akuten „Wohnungsnot“ könne man auch mal neue Wege beschreiten. Dass der Senat sehr hohe Kosten ansetzt, sei nicht weiter dramatisch. Damit sei das Volksbegehren weiter zulässig. Der Immobilienrechtler Karlheinz Knauthe hält es dagegen für verfassungswidrig.

Die Macher des Volksbegehrens glauben, dass die Enteignung mit rund 7,3 Milliarden Euro deutlich günstiger zu haben ist. Allerdings setzen sie deutlich geringere Kredit- und Bewirtschaftungskosten an und rechnen mit rund 40.000 Wohnungen weniger als der Senat. Gleicht man diese Parameter an, stiegen die Kosten von 7,3 auf rund zehn Milliarden Euro, sagt Sprecher Rouzbeh Taheri. „Beim letzten Volksbegehren, dem Mieten-Volksentscheid, war die Differenz der Kostenschätzungen ähnlich. Letztlich haben wir Recht behalten.“

Die Initiative orientiert ihre Schätzung nicht am Verkehrswert der Wohnungen, sondern einer fiktiven „Zielmiete“ von 229,61 Euro kalt pro Wohnung. Diese geringe Miete kommt zustande, weil vor allem kleine Wohnungen für bedürftige Mieter kalkuliert werden. Daraus wird der entsprechend niedrige Wert der Häuser ermittelt. Vorgeschlagen werden noch zwei weitere Modellrechnungen, die zu höheren Entschädigungen führen.

Statt Milliarden für den Kauf bestehender Wohnungen, sollte der Senat Milliarden für Bauland und schnelle, einfache Baugenehmigungen ausgeben und Eigentumswohnungen fördern.

schreibt NutzerIn B.Buettner

Der Berliner Anwalt Peter Durinke von der Kanzlei Wolter Hoppenberg, der sich mit Entschädigungen für enteignete Hausbesitzer im Braunkohletagebau auseinandergesetzt hat, hält eine fiktive Mietenberechnung für „untauglich“. Der Senat könne ja auch das Ziel vorgeben, dass keine Mieten mehr gezahlt werden.

Schuldenbremse ab 2020? Kein Problem für den Senat

Kosten von 32 bis 40 Milliarden Euro, wie vom Senat unterstellt, würden das Haushaltsbudget eines Jahres deutlich überschreiten, das könne sich Berlin auf keinen Fall leisten, wettert die Vorsitzende des Verbandes der Wohnungsunternehmen, Maren Kern. Damit würde Berlin auch die Schuldenbremse ab 2020 missachten, also das Verbot neue Schulden aufzunehmen. Die Verwaltung argumentiert dagegen, die Transaktion sei mit dem „Erwerb von Beteiligungen“ vergleichbar und damit weiter zulässig. Zudem rechnen die Beamten damit, dass Berlin nur sechs bis acht Milliarden Euro aufbringen müsse.

Das liegt daran, dass die Wohnungen einer Anstalt des öffentlichen Rechts übertragen werden sollen, die eigenständig Kredite aufnehmen kann. 80 Prozent der Entschädigungskosten könnten so auf den Kapitalmarkt abgewälzt werden. Weil die Mieteinnahmen aber nicht ausreichten, die Bewirtschaftung der Wohnungen und die Kreditkosten zu finanzieren, müsse Berlin seinem Wohnungsanteil jedes Jahr noch zusätzlich 100 bis 340 Millionen Euro zuschießen.

Einzelpersonen werden großzügiger entschädigt

Entschädigungsleistungen hängen auch davon ab, ob Privatpersonen oder Unternehmen betroffen sind. Im Braunkohletagebau werden verdrängte Hausbesitzer relativ großzügig bedacht, weit über den Zeitwert ihrer Immobilien, die meist in strukturschwachen Gegenden liegen. Die großen Energieunternehmen sollten bei der Stilllegung ihrer Atommeiler dagegen leer ausgehen. Erst durch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht konnten die Unternehmen die Bundesregierung zwingen, eine Entschädigungsregelung zu finden.

Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält die Vergesellschaftung von 240.000 Wohnungen für einen schweren Eingriff in den Immobilienmarkt. „Für Investoren ist das kein gutes Signal. Vielleicht ist genau dies aber gewollt.“ Möchte man das Signal senden, dass nicht jedes Treiben toleriert wird, würde es aber reichen, punktuell das kommunale Vorkaufsrecht auszuüben. „Der Rest des Geldes wäre dann besser in landeseigene Neubauvorhaben investiert.“

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