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Alles ist erleuchtet. Am 3. November stimmen die Berliner ab, beim wem künftig die Verantwortung für den Strom liegt. Beim Volksentscheid geht es um den Aufbau eines städtischen Energieerzeugers und den Rückkauf des Stromnetzes.

© dpa

Volksentscheid Berliner Stromnetz: Der stille Kampf von Vattenfall

Das Berliner Stromnetz ist eine leuchtende Perle im Portfolio von Vattenfall. Der Konzern versucht, diskret seine Interessen durchzusetzen. Vor dem Volksentscheid tobt ein Wettstreit um die Öffentlichkeit und die Zukunft des Unternehmens.

Eigentlich ist er nur ein stiller Beobachter. Hannes Stefan Hönemann sitzt mit unter den Journalisten, als der Energietisch am Donnerstag die Kampagne zum Volksentscheid vorstellt. „Vattenfall den Stecker zieh’n!“, steht auf den Flyern. Hönemann macht sich Notizen, schweigt. Er passt nicht in diese Runde. Weil er Unternehmenssprecher für Vattenfall Berlin ist. Weil es sein Job ist, eben diesen Volksentscheid zum Scheitern zu bringen. Möglichst lautlos, ohne Imageverlust. Hönemann kommt häufig in Erklärungsnöte dieser Tage. In seiner Person spiegelt sich das Dilemma des Konzerns.

Denn eigentlich ist auch der Konzern nur stiller Beobachter bei diesem Volksentscheid, bei dem es um die Rekommunalisierung des Stromnetzes geht und die Gründung eines Ökostadtwerks, das längst auch in Senat und Abgeordnetenhaus gewünscht wird. Vattenfall, sagt Hönemann bei jeder Gelegenheit, ist nicht Gegenstand des Volksentscheids. Alles richtig. Es stimmt, dass Vattenfall das Stromnetz bisher über die Tochter Stromnetz Berlin betreibt. Korrekt ist auch, dass der Energietisch das Netz lieber in kommunaler Hand sähe. Und richtig bleibt, dass der Volksentscheid das nicht beeinflussen kann, weil die Konzession nach europäischen Recht vergeben wird. Trotzdem sitzt Hönemann nun bei einer Pressekonferenz der Organisatoren eines Volksentscheids, von dem sein Unternehmen angeblich gar nicht betroffen ist.

Vattenfall setzt auf Braunkohle

Tatsächlich geht es für Vattenfall derzeit um alles. Das Stromnetz in Berlin ist einer der letzten sicheren Geschäftsbereiche. Der deutsche Ableger des Konzerns bekommt zurzeit heftigen Gegenwind von Verbrauchern, Bürgern und selbst eigenen Leuten. Der schwedische Mutterkonzern hat sich die CO2-Reduktion vorgenommen und setzt dafür voll auf Atomkraft. Doch nach Fukushima, nach der Kehrtwende von CDU und FDP in der Energiepolitik, braucht es mehr als einen guten Unternehmenssprecher, um das in Deutschland für salonfähig zu erklären. Stattdessen betreibt Vattenfall Braunkohlekraftwerke. Rund 80 Prozent der Energie gewinnt das Unternehmen in Deutschland so. Vor allem in Brandenburg sind die Klimakiller sehr rentabel und gleichzeitig ein dunkler Fleck im Klimaschutz-Portfolio des Mutterkonzerns. Dazu kommen Negativschlagzeilen. Gleich fünf Tagebaue will Vattenfall für die Kraftwerke ausbauen lassen. Allein in Welzow müssten 800 Menschen umgesiedelt werden. Selbst schwedische Greenpeace-Aktivisten haben schon in der Lausitz demonstriert und die Kunde vom dreckigen Braunkohlegeschäft nach Schweden getragen. Für den Mutterkonzern wird das zum Problem, die Gerüchte um einen Rückzug aus Deutschland halten sich hartnäckig. Vattenfall Deutschland als Schmuddelkind? Ausgerechnet.

Schließlich ist Vattenfall selbst ein landeseigenes Unternehmen, wie vom Energietisch gefordert. Nur eben nicht des Landes Berlin, sondern des Königreichs Schweden. Immerhin staatlich. Hönemann erwähnt das gerne, weil auch er sich nicht in der Rolle des Handlangers der Heuschrecken gefallen würde, weil doch auch er einer von den Guten ist. Tilmann Heuser begrüßt er mit Handschlag, man duzt sich. Heuser, Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz, setzt sich für den Volksentscheid ein.

Hönemann und Heuser kennen sich noch von früher. Als sie 2008 gemeinsam beim Volksentscheid gegen den Weiterbetrieb von Tempelhof eine Kampagne fuhren. Hönemann war damals noch Sprecher der Landes-SPD. Die Zeiten können sich ändern.

Vattenfall steht in Zahlen gut da

Hönemann weiß, was Heuser auf die Beine stellen kann bis zum 3. November, dem Tag des Entscheids. Ein „echter Campagnero“ sei der, bemerkt Hönemann ohne Ironie. Erst mit dem Energietisch hätten sich die Volksentscheide in Berlin professionalisiert. 180 000 Euro will der Energietisch für seine Kampagne ausgeben. Vattenfall könnte dem Millionen entgegensetzen und am Ende als der böse Bube dastehen, der den Volksentscheid verhindert hat. Es muss deshalb vieles lautlos passieren.

Helmar Rendez macht nicht viel Lärm. Der Geschäftsführer der Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin spricht ruhig und besonnen vor ein paar Journalisten in der Dependance an der Chausseestraße. Rendez mag Zahlen – und Hönemann, der neben ihm sitzt, mag es, wenn er Zahlen sagt wie diese: Nur durchschnittlich 12,25 Minuten pro Jahr ist jeder Netzanschluss in Berlin ohne Strom, nach München ist es also das versorgungssicherste Netz bundesweit. Und das bei 37 500 Kilometern verlegter Kabel. Wenn das jemand besser machen wolle, sagt Rendez, dann müsse er erst einmal sagen, wie. Selbst von dem Grünen-Energieexperten im Abgeordnetenhaus Michael Schäfer kommt verhaltenes Lob. Es gebe keine Beschwerden über Vattenfall, dass sie das Netz nicht diskriminierungsfrei zur Verfügung gestellt hätten. Also gerade für Privatpersonen, die über Solaranlagen oder Blockheizkraftwerke Strom einspeisen wollten. Die Netze in Hamburg und Berlin sind die einzig verbliebenen Perlen Vattenfalls. Frei von Kritik und dazu äußerst profitabel.

Vattenfall kann beim Volksentscheid nur verlieren

Der Konzern beobachtet deshalb die politische Diskussion über einen Rückkauf durch die Stadt mit Sorge. Am Ende entscheidet Finanzsenator Ulrich Nußbaum, wer die Konzession bekommt. Europäisches Recht lässt ihm kaum Spielraum und der Senat achtet penibel darauf, dass nicht der Eindruck entsteht, jemand werde politisch übervorteilt. Früh hat Nußbaum die Konzeption des geplanten Öko-Stadtwerks in die Hände von Stadtentwicklungssenator Michael Müller gegeben. Denn neben Vattenfall, der Genossenschaft Bürgerenergie Berlin, dem Stadtwerkeverbund Thüga, einem chinesischen und einem holländischen Unternehmen sowie der Mitteldeutschen Energie AG bewirbt sich auch die landeseigene Gesellschaft Berlin Energie für die Konzession. Der Eindruck von einer politisch motivierten Vergabe soll um jeden Preis vermieden werden.

Eine Zusage, auf die sich Vattenfall offenbar nicht verlassen will. 150 000 Euro wollte der Konzern bis zu den Herbstferien für Anzeigen in Zeitungen ausgeben, die die Vorzüge eines von Vattenfall betriebenen Netzes anpreisen. Ab zwei Wochen vor dem Volksentscheid soll es aber still werden um Vattenfall, sagt Hönemann. Der Konzern wolle den Eindruck vermeiden, den Volksentscheid direkt beeinflussen zu wollen. Volksentscheid hin oder her, Vattenfall wird sich bewerben und hat gute Chancen darauf, das beste Angebot abzuliefern. Rechtlich, den Zahlen nach. Für den Imageberater Hönemann wäre es ein Desaster. Denn was, wenn der Volksentscheid angenommen wird und die Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin die Konzession trotzdem erhält? Wie erklärt er dann den Stromkunden der anderen Tochter, Vattenfall-Sales, dass der Konzern sich gefühlt über Volkes Stimme hinwegsetzt? Wer kauft dann da noch seinen Strom? Am Ende wäre er doch wieder der Böse.

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