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Niemand weiß, wie die Wahl am Sonntag ausgeht: Wird die Randbebauung verhindert?

© dpa

Volksentscheid zum Tempelhofer Feld: Was Randberliner über die Bebauung denken

Die Zukunft von Tempelhof erregt die ganze Stadt. Oder etwa nicht? Unsere Autorin war unterwegs mit Wahlhelfern fernab des Flughafens.

Rund 625 000 Berliner müssten beim Volksentscheid am Sonntag mit „Ja“ stimmen (bei der ersten Frage), damit das Tempelhofer Feld bleibt, wie es ist. Die Anwohner des ehemaligen Flughafens sind leicht zu begeistern für die Freifläche. Aber was ist mit den Bewohnern der anderen Bezirke? Wir waren mit Aktivisten der Initiative „100% Tempelhofer Feld“ unterwegs, weit weg vom ehemaligen Flughafen.

Wilmersdorf, Rüdesheimer Platz

Kaum steht der Stand – zwei Tapeziertische vollgepackt mit Infozetteln, grünen Jutebeuteln und gelb-grünen Warnwesten – da nähert sich auch schon der erste Passant, ein grauhaariger Herr in braunem Jackett. „Finde ich super, was ihr macht!“, sagt er, ein geborener Wilmersdorfer. „Welche Großstadt kann sich schon so eine freie Fläche wie das Tempelhofer Feld leisten? Dafür muss man kämpfen!“ Und dann zetert er gegen die Politiker: „Man muss denen zeigen, dass sie nicht alles mit uns machen können.“ Bevor er geht, lässt er sich – „für alle Fälle“ – die Reihenfolge auf dem Stimmzettel erklären – „aha“ -, dann klopft er dem Tempelhofer-Feld-Aktivisten auf die Schulter und sagt: „Ich werde meine Nachbarn bearbeiten.“

Frank Angermüller, der Aktivist, schaut dem Grauhaarigen baff hinterher. „So müsste es immer sein.“ Angermüller trägt Grasgrün – die Farbe der Initiative. Am Vortag hat er seinen Infostand in der Greifswalder Straße in Prenzlauer Berg aufgestellt. „Kaum jemand ist bei uns stehen geblieben.“ Zum Rüdesheimer Platz nach Wilmersdorf ist Angermüller mit drei Mitstreitern gekommen, sie sind auf dem Platz unterwegs, er steht hinter den Tapeziertischen.

Seit Dezember 2012 widmet Angermüller seine freie Zeit der Erhaltung des Tempelhofer Feldes, „weil es mein Refugium ist“. Nachdem die Unterschriftenlisten Mitte Januar abgegeben worden sind, hat er sich ein paar Wochen Pause gegönnt. Seit Februar ist er wieder im Einsatz, zwei Mal in der Woche, je acht Stunden, sonntags immer am Tempelhofer Feld, Eingang Tempelhofer Damm, sonnabends meistens in anderen Bezirken, während des Endspurts auch unter der Woche, nach der Arbeit.

Je weiter weg vom ehemaligen Flugfeld, desto schwerer ist es, die Menschen zu erreichen, so Angermüllers Erfahrung. „In Spandau und Marzahn war es bisher am schwierigsten, mit Passanten ins Gespräch zu kommen“, erklärt er. „Viele wussten nicht mal, um was es geht!.“ In Wilmersdorf ist er das erste Mal – und bisher positiv überrascht.

Ein Paar nähert sich, um die 50, auch sie wohnen am Rüdesheimer Platz. „Wir sind gegen die Bebauung“, erklärt die Frau aufgeregt. „Wir spielen schon seit fünf Jahren Softball auf dem Feld. Wenn Wowereit gewinnt, müssen die Plätze verschwinden.“ Der Mann sagt, „und es geht ja nicht nur um unsere Freizeit. Auch der positive Effekt des Feldes aufs Klima ist schließlich nachgewiesen.“ Angermüller nickt heftig.

„Blöde Frage: Um was geht’s eigentlich?“, fragt eine junge Mutter mit Kinderwagen. Angermüller öffnet dann eine Mappe voller Zeitungsartikel. Die Frau bleibt in Wilmersdorf die Einzige, die nichts vom Volksentscheid weiß.

Nachgefragt am S-Bahnhof Marzahn.

Der Balanceakt von Tempelhof. Befürworter und Gegner einer Bebauung erwarten einen knappen Ausgang am Sonntag.
Der Balanceakt von Tempelhof. Befürworter und Gegner einer Bebauung erwarten einen knappen Ausgang am Sonntag.

© Claudio Winter

„Ich habe schon abgestimmt – für die Bebauung“, erklärt dann ein älterer Mann. „Wir brauchen doch Wohnraum in Berlin!“ Die Aktivisten treffen an diesem Nachmittag mehrere Menschen, die für neue Bauten sind. Zwei Wilmersdorfer werfen ihnen vor, sie seien nicht seriös, würden Zahlen und Informationen erfinden, um die Menschen zu manipulieren. Viele Versuche, Passanten auf dem Platz anzusprechen, scheitern. „Hab’ schon“, „Hab’ keine Zeit“ sind oft die Antworten. Oder einfach ein leerer Blick.

Kurz bevor die Truppe den Platz verlässt, kommt ein Mann zum Infostand, auch er ist in Wilmersdorf zu Hause. „Wie viel kostet die grüne Weste?“, fragt er, zieht einen Schein aus dem Portemonnaie, schlüpft in die Weste, steigt aufs Rad und fährt davon, grasgrün auf dem Rücken. Angermüller schüttelt den Kopf. „Besser ist es bisher nur auf dem Tempelhofer Feld gelaufen.“

Marzahn, S-Bahnhof

„Ihr seid viel zu spät dran! Hierher hättet ihr mal früher kommen müssen“, ruft ein langhaariger Mann, Ende 30, als er Iris Bührmann, 71, und ihren jungen Mitstreiter von der Tempelhofer Initiative am Aufgang vom S-Bahnhof Marzahn sieht. Die beiden verteilen Faltblätter mit Informationen zum Volksentscheid, in Form von Zeitungen. Die grasgrünen Fleecejacken, das Erkennungszeichen der Tempelhofer-Feld-Aktivisten, haben sie ausgezogen, schon um sieben Uhr morgens ist es zu warm, dafür haben sie ein Transparent dabei, auf dem in großen Lettern steht „Volksentscheid am Sonntag“.

Iris Bührmann lächelt den langhaarigen Mann an, drückt ihm ein paar Zeitungen in die Hand, „für Bekannte und Arbeitskollegen“, der Mann packt sie ein, bittet um mehr. Seinen Vorwurf ignoriert sie, obwohl ein bisschen was dran ist. Die Tempelhof-Aktivisten waren bisher ein paar Mal in den Gärten der Welt und ein Mal am S-Bahnhof Marzahn.

Als der Mann gegangen ist, sagt Bührmann, „läuft besser als gedacht“. Die Mitstreiter, die schon mal im Bezirk für das Volksbegehren geworben haben, hatten ihr gesagt, das Interesse im Osten der Stadt sei eher gering. Hier war schließlich schon der Entscheid zum Erhalt des Flughafens in Tempelhof an der Beteiligung gescheitert.

In den nächsten eineinhalb Stunden zeigt sich, dass die Mitstreiter recht hatten. Nur jeder Fünfte nimmt eine Zeitung, höchstens. Fast jeder winkt ab, dem Bührmann und der Kollege eine Zeitung entgegenstrecken und lächelnd erklären, „Informationen zum Volksentscheid zum Tempelhofer Feld“. Viele antworten gar nicht, schauen auf den Boden oder an ihr vorbei, andere sagen, „Nein“, ein paar nuscheln „Danke“. Fragt man nach, wieso die Passanten die Zeitung nicht mitnehmen, sagen viele, sie seien noch zu müde für Informationen. Zwei Frauen um die 50 erklären, sie wüssten nicht, um was es bei dem Volksentscheid gehe, „und wir wollen es auch gar nicht wissen“. Ein Arbeiter im Blaumann meint: „Ich weiß schon Bescheid. Sollte ich am Sonntag wählen gehen, dann stimme ich in jedem Fall gegen den Senat.“

Nach knapp zwei Stunden, es ist 8.30 Uhr, haben Iris Bührmann und ihr Kollege hundert Zeitungen verteilt. Und es ist ruhig geworden am S-Bahnhof, der Berufsverkehr ist vorüber. Die beiden wollen schon zusammenpacken, da kommt ein junger Mann, Mitte 20, auf sie zu. „Kann ich gleich ein paar Zeitungen mitnehmen? Vielleicht zehn Stück?“, fragt er. „Ich würde sie gern bei mir im Büro verteilen." Er wolle vor allem verhindern, dass der Senat gewinnt, sagt er. „Die Politiker verkaufen uns für blöd. Sie machen, was sie wollen, ohne Rücksicht auf die Bürger. Dagegen müssen wir uns wehren.“ Auf dem Tempelhofer Feld war er noch nie, „ist zu weit weg von Marzahn“. Aber ein paar Freunde haben ihm erklärt, es sei „ein toller, kreativer Ort“, der unbedingt so bleiben müsse, wie er ist. Dann sei das wohl so.

Um kurz vor neun ist wirklich nichts mehr los am Marzahner S-Bahnhof. Bührmann nimmt einen Stapel Zeitungen und steigt in die Bahn Richtung Innenstadt. Jetzt streckt sie den Fahrgästen eine Zeitung entgegen.

Iris Bührmann kämpft seit zwei Jahren für die Erhaltung des Tempelhofer Feldes, egal, wo sie hingeht, immer hat sie Informationsmaterial im Gepäck. Sie wohnt im Rollbergkiez und hat ein Beet auf dem Tempelhofer Feld. Sie findet, mit Häusern am Rand gehe die Schönheit des Feldes verloren.

Auch in der S-Bahn ist das Interesse gering. Ein grauhaariger Herr nimmt schließlich eine Zeitung. Er fährt mit seiner Frau von Marzahn nach Lichtenberg. „Wieso sind Sie gegen die Bebauung?“, fragt er Iris Bührmann. „Die Reichen sollen doch schöne Wohnungen haben! Wer Geld hat, ist wichtig für unsere Gesellschaft, ohne die Reichen wären wir doch alle ärmer.“ Seine Frau fasst ihn am Arm, „lass doch“. Bührmann lächelt. Endlich will jemand diskutieren. Sie sagt, „die Randbebauung wird den Charakter des Feldes verändern“. Der Grauhaarige erwidert: „Wenn auf dem Flughafengelände gebaut wird, bleibt doch immer noch ein riesiger Park zurück, größer als der Tiergarten!“ Und die Sache mit den teuren Wohnungen stimmt ja auch nicht so ganz.

Ein junger Mann, ebenfalls aus Marzahn, der die Diskussion beobachtet, blickt Iris Bührmann aufmunternd an. Als er aussteigt, sagt er: „Lassen Sie sich nicht entmutigen.“

Lesen Sie hier noch einmal alle vier Wahlszenarien und was sie bedeuten.

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