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Und dreht sich und dreht sich und dreht sich ... das deutsch-amerikanische Volksfest gibt es schon länger als 50 Jahre in Berlin.

© dpa

Volksfest nahe dem Hauptbahnhof: Die Amerikaner feiern im Berliner Nirgendwo

Französische Crêpes, Wiener Mandeln, mexikanisches Bier. Wo sind wie hier? Auf dem deutsch-amerikanischen Volksfest! Gäste suchen altes Flair, Macher einen neuen Ort. Ein Rummel-Bummel.

Zumindest die Blumenkübel sind mit US-Flaggen dekoriert. Ansonsten lockt links ein Stand mit französischen Crêpes, rechts gibt’s Wiener Mandeln, im Festzelt mexikanisches Bier, dahinter will die Geisterbahn „Tal der Könige“ auf ägyptisch gruseln und der britische Volksheld Robin Hood lädt zum Bogenschießen. Es erschließt sich nicht auf Anhieb, warum diese Veranstaltung hier im Nirgendwo am Hauptbahnhof ausgerechnet ein deutsch-amerikanisches Volksfest sein soll.

Erst wer an Kettenkarussells und Achterbahnen, Schießständen und Losbuden, Bratwurstständen und Zuckerwatteverkäufern vorbeigezogen ist, gelangt ins Herz der US-Klischees: Meterhohe Kulissen zeigen Straßenschilder von New York und die steinernen Köpfe der US-Präsidenten am Mount Rushmore.

Der süßliche Geruch von Spareribs hängt in der Luft, Kinder schlecken Softeis, Erwachsene trinken Bier mit klangvollen Namen wie „Big Moose“ (großer Elch) oder „Wild Bison“; dass es nicht in den USA, sondern im Harz gebraut wurde, mag mancher Bierkenner sogar als Gewinn verbuchen.

Will jemand Freikarten für American Football?

Im Festzelt sitzen den ganzen Tag über bis in den Abend etwa 20 bis 30 Leute und spielen Bingo, draußen am aufgeschütteten „Florida Beach“ lümmeln Jugendliche in Liegestühlen. „Freikarten für die American-Football-Bundesliga morgen Nachmittag in Berlin?“

Heissa, ist das kess hier! Bekanntes Bauwerk mit offener Hose.
Heissa, ist das kess hier! Bekanntes Bauwerk mit offener Hose.

© Bodo Straub

Ein breitschultriger Mann im weißen Trikot schiebt sich durch die Menge. Auf der Bühne kündigt ein mit bunten Federn behängter Indianerhäuptling an, gleich „zu Ehren von Mutter Erde demütig auf ihr zu tanzen“.

Er heißt Tony Duncan, ist zweimaliger Weltmeister im ur-amerikanischen Reifentanz und eine der Attraktionen, auf die Thilo-Harry Wollenschlaeger so stolz ist. „Das Kulturprogramm ist wirklich sehr wichtig für uns“, sagt Wollenschlaeger. Er veranstaltet die 54. Auflage des deutsch-amerikanischen Volksfestes. Sein Vater hatte die Veranstaltung 1961 gemeinsam mit der US-Botschaft ins Leben gerufen, der letzte Tag des damaligen Festes fiel auf den 13. August, an dem der Mauerbau begann.

Indianer, dicke Autos, US-Flagge. Und hinten die Neubauten. Willkommen auf dem Rummel!
Indianer, dicke Autos, US-Flagge. Und hinten die Neubauten. Willkommen auf dem Rummel!

© Bodo Straub

Als die USA noch Besatzungsmacht waren, meint Wollenschlaeger, sei das deutsch-amerikanische Verhältnis selbst in West-Berlin wesentlich angespannter gewesen als angesichts der aktuellen Debatten um den NSA-Abhörskandal. „Aus Feinden wurden Freunde, dieses Vermächtnis liegt mir am Herzen“, sagt Wollenschlaeger. Politisches habe deshalb nichts zu suchen bei der Veranstaltung, findet er – auch wenn sie unter Schirmherrschaft der US-Botschaft steht: Vielmehr sollen die Menschen hier für ein paar Stunden ihren Alltag vergessen.

Bis 17. August läuft das Volksfest

Vom 25. Juli bis zum 17. August läuft das Fest, und bisher sind Wollenschlaeger und viele der Schausteller zufrieden: Das Wetter sei oft nicht ideal, aber die Besucherzahlen gingen in Ordnung. Dunkle Wolken türmen sich allerdings über dem Fest, und damit ist nicht nur das Wetter an den Abenden diese Wochenendes gemeint: Am aktuellen Ort am Hauptbahnhof kann es nicht bleiben, da hier die Europacity entsteht. Schon jetzt ragt das Riesenrad umringt von Baukränen in den Gewitterhimmel.

Die ideale Alternative für Wollenschlaeger wäre das Tempelhofer Feld. Allerdings ist Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) wie berichtet strikt gegen diese Idee – das Tempelhof-Gesetz garantiere die uneingeschränkte Zugänglichkeit des Feldes, und das deutsch-amerikanische Volksfest kostet Eintritt. Außerdem werden zu viel Lärm und Verkehr befürchtet.

Nun sollen die Schausteller-Amerikaner auf den auch nicht gerade zentral gelegenen Zentralen Festplatz am Kurt-Schumacher-Damm ausweichen, wo auch das deutsch-französische Volksfest stattfindet. Doch der Platz ist Wollenschlaeger zu klein.

Immerhin ist der Rummel erst vor drei Jahren umgezogen, was ihm nach Ansicht vieler Besucher nicht gutgetan hat: „Ich finde, es ist jetzt wie jedes beliebige Volksfest“, sagt etwa die 28-jährige Maria aus Charlottenburg, die mit ihrer Freundin gerade vor den ersten Regentropfen des Abends flüchtet. „Früher war die Stimmung ganz anders, viel amerikanischer.“ Direkt hinter ihr strebt ein riesiger weißer Plüschbär dem Ausgang zu – fast erkennt man nicht Paul Godau, der ihn in der Lotterie gewonnen hat und jetzt vor sich herträgt. Sein Vater Olaf meint: „Sie haben sich Mühe gegeben, aber das amerikanische Flair ist weg. Früher in Zehlendorf liefen noch die GIs herum und die Männer mit der Military-Police-Armbinde.“ Aber vielleicht käme das heute auch gar nicht mehr so gut an.

"In Zehlendorf war das Fest verwurzelt"

„In Zehlendorf war das Fest verwurzelt, hier wirkt alles ein bisschen traurig“, sagt auch Andreas aus Kreuzberg. Er zieht abends mit Freunden über den Rummel und hat gerade noch Schwierigkeiten, geradeaus zu schauen, weil er frisch aus einem der vielen wilden Fahrgeschäfte gestiegen ist. Angenehm findet er jedenfalls, „dass nicht so viele Hipster und Touristen unterwegs sind. Es sind wirklich nur Insider hier.“ Die deutsch-amerikanische Freundschaft – an diesem Platz, in dieser Zeit wirkt sie tatsächlich wie eine Insiderveranstaltung.

Tatsächlich ist auf dem Volksfest seltener Englisch zu hören als in mancher Straße in Andreas’ Heimatbezirk – nur die Ansagen auf der Hauptbühne sind oft auf Englisch, etwa die von Clan Destine, einer Band aus Phoenix. Ein junger Mann auf der Bierbank sagt zu seiner Begleiterin: „Alter, wenn die auf Englisch labern, verstehen 90 Prozent im Publikum nichts.“

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