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Berlin: Volle Gefängnisse und lange Haftzeiten

Nur wenige Verurteilte werden in Berlin vorzeitig entlassen. Die Vollzugsanstalten stehen in der Kritik

Von Sabine Beikler

Zwei Tische, zwei Stühle, ein Doppel-Etagenbett – das alles auf zehn Quadratmetern für zwei Häftlinge. Normalerweise ist eine Zelle für einen Gefangenen vorgesehen, doch durch die chronische Überbelegung in den Berliner Haftanstalten werden wie im Haus 6 der Justizvollzugsanstalt Tegel zurzeit sogar noch Hafträume für Doppelbelegungen umgebaut. Doch trotz der überfüllten Knäste sitzen Gefangene in Berlin länger ein als in anderen Bundesländern. Nur rund neun Prozent der Berliner Gefangenen werden vorzeitig aus der Haft entlassen. Damit liegt Berlin im Bundesdurchschnitt von rund 19 Prozent auf dem letzten Platz.

In der Hauptstadt gibt es 4966 Haftplätze im offenen und geschlossenen Vollzug. Belegt sind die Anstalten aber derzeit mit 5286 Gefangenen – eine Quote von 108 Prozent. Jeder Gefangene kann die Prüfung einer vorzeitigen Entlassung beantragen. Dafür müssen die Gruppenleiter, in der Regel Sozialarbeiter, in den Anstalten einen Bericht schreiben. Die Richter der fünf Strafvollstreckungskammern in Berlin entscheiden dann über eine Entlassung.

Warum dennoch im vergangenen Jahr nur 33 Gefangenen die Möglichkeit gegeben wurde, nach Verbüßung von zwei Dritteln ihrer Strafe entlassen zu werden, ist offenbar auch für die Justizverwaltung nicht nachvollziehbar. „Es ist richtig, dass wir unterdurchschnittliche Zahlen haben“, sagte Sprecherin Barbara Helten. Sie vermutet, dass viele Gefangene lieber den offenen Vollzug wählen als die vorzeitige Entlassung zu beantragen, da in diesen Fällen die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt wird: Entlassene Häftlinge müssen sich deshalb auch noch längere Zeit an Bewährungsauflagen halten. Die Justizverwaltung führt zurzeit Gespräche „auf der Fachebene“ darüber, warum so wenig Häftlinge vorzeitig entlassen werden. Gefangene erklären sich das mit „großem Desinteresse“ der Gruppenleiter. Bei einigen der 231 Sozialarbeiter, Psychologen und Pädagogen gebe es „wenig Motivation, Berichte zu schreiben“, behaupten Häftlinge. Andere wiederum seien „restlos überfordert“. Im geschlossenen Regelvollzug müsse ein Sozialarbeiter bis zu 100 Gefangene betreuen. „Die können gar nicht über uns eine vernünftige Einschätzung schreiben“, sagen Häftlinge. Grünen-Politiker Benedikt Lux macht dafür die „massive Überlastung“ der Bediensteten verantwortlich. „Deshalb werden Haftprüfungen verzögert“, sagt Lux. Er fordert mehr Personal und eine Weisung für alle Haftanstalten, dass Stellungnahmen nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe geschrieben werden müssen. „Dass Stellungnahmen wenig positiv ausfallen, ist Tradition bei den Haftanstalten.

Die strengen sich nicht an“, sagt Rechtsanwalt Olaf Heischel, Vorsitzender des Vollzugsbeirats. Auch die Richter würden nach anderen Kriterien als in anderen Bundesländern verfahren. Es sei wenig praktikabel, eine „nach außen erkennbare Charakteränderung“ zu prüfen. „Was heißt schon nach außen erkennbar, wenn die Häftlinge im Knast sind?, fragt sich Heischel.

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