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Der Regen-Juli: Vom Wetter schwärmen nur die Schädlinge

Alle fluchen über den Zickzack-Sommer. Insekten und Schnecken jedenfalls gedeihen besser denn je. Experten warnen vor einer Wespenplage. Und selbst Mückenstiche sind gefährlicher als sonst.

Der Sommer spielt Herbst. Im Juli gab es gleich mehrere Kälterekorde, dazu kam dann der Regen – und in den kommenden Tagen wird sich an dem Trauerspiel wenig ändern. Was die Berliner verzweifeln lässt, erfreut tierische Plagegeister, die in Massen über die Stadt herfallen. Wespen gibt es so viele wie selten, und auch die Mücken vermehren sich stark und scheinen gefährlicher als sonst.

Viele Berliner klagen derzeit über ungewöhnlich schmerzhafte Stiche. Ärzte müssen auffällig viele Arme und Beine mit dicken, bläulich verfärbten Stellen behandeln. Oft handelt es sich um eine Lymphbahnentzündung, die mit Antibiotika bekämpft werden muss. Sonst droht eine Blutvergiftung. „15 Patienten hatten die Entzündung allein in den letzten zwei Wochen“, sagt der Allgemeinmediziner Dieter Schwochow aus Mahlsdorf. Sonst seien es etwa drei pro Sommer. Schuld sind Stechmücken, die in schmutzigem Wasser geschlüpft sind und die winzig kleinen, aber giftigen Kriebelmücken, sagt Zoologe Burkhard Schricker von der TU Berlin. Warum in dieser Saison so viele Stiche infiziert sind, ist den Experten ein Rätsel.

Sicher ist, dass mehr Insekten umherfliegen als sonst. Sie entwickelten sich durch den Wechsel von Wärme und Feuchtigkeit früher, sagt Barbara Jäckel vom Pflanzenschutzamt. Deswegen könne es mehr Generationen geben. Dabei stehe dass Schlimmste erst noch bevor, sagt Zoologe Burkhard Schricker von der TU Berlin. „Die meisten Mücken schlüpfen erst im August.“

Wer im Biergarten sitzt oder auf dem Balkon frühstückt, wird außerdem von ungewöhnlich vielen Wespen gepiesackt. In früheren Jahren dezimierten Hornissen deren Bestand. Sie schnappen sich die Wespen im Flug und fressen die Flügelmuskulatur auf, mit dem Rest füttern sie den Nachwuchs. Weil es aber in diesem Frühjahr einen extremen Kälteeinbruch gegeben hat, sind viele Hornissen gestorben. So konnten sich jetzt die Wespen ungehemmt ausbreiten, sagt Schricker. „Jetzt schlüpfen sie und haben Hunger.“ Was das Ganze noch schwieriger macht: Der ständige Wind und Regen der letzten Wochen hat die Blattläuse von den Blättern gefegt. So gibt es weniger Nahrung für die Wespen und die Tiere werden immer aggressiver.

Gartenbesitzer Michael Schrandt kämpft in seinen Lichtenberger Beeten gerade vor allem gegen Schnecken. Die fallen über Salat, Bohnen, Petersilie und Dill her. „Sie fressen alles weg, die sind super lebendig bei der feuchten Witterung“, sagt Schrandt. Auch Raupen plagen ihn. Apfelwickler würden außerdem 80 Prozent seiner Äpfel fressen, über die Pflaumen machen sich Pflaumenwickler her. Stärker als in den Vorjahren sei dieser Befall aber nicht.

Damit nicht genug: Bei so viel Regen gedeiht auch gefährliches Unkraut üppig. Die schwere Allergien auslösende Pflanze Ambrosia wachse in allen Bezirken, sagt Jäckel vom Pflanzenschutzamt. Während der giftige Bärenklau, der Hautverbrennungen verursachen kann, in Brandenburg örtlich zu einer Plage zu werden scheint, gebe es in Berlin „keine großflächige Belästigung“. Er wachse vor allem an Gewässern wie der Wuhle und dem Tegeler See. Um die Verbreitung zu verhindern, sollten die Blüten abgeschnitten werden. Probleme mit den Pflanzen gebe es aber kaum. „Die Leute sind gut aufgeklärt“, sagt Jäckel.

Nicht nur für Pflanzen sei derart viel Feuchtigkeit gut, auch Pilzerkankungen nehmen zu, sagt Jäckel. Viele Buchsbäume fielen einem aus den USA über England eingewanderten Pilz zum Opfer, der Nässe liebe und die Bäume austrockne. Braunfäule zerstöre die Tomaten. Zwei Wochen früher als üblich kam in diesem Jahr der Eichenprozessionsspinner, und das so häufig, dass man kaum handeln könne, sagt Jäckel. Die Schmetterlinge befallen als Raupen die Eichenstämme und können bei Menschen Juckreiz und Asthmaanfälle auslösen. Vor allem die Ausflugsgebiete an der Havel und das Wannseebad seien betroffen, aber auch die Wuhlheide oder die Clayallee in Zehlendorf. Bei Kindergärten und Schulen habe man die Tiere entfernt und mancherorts Warnschilder aufgestellt. An 30 Orten sollen Fallen den Flugverlauf beobachten. Die Eichen im Wald hat der Prozessionsspinner nur an einigen Stellen abgefressen, sagt Förster Lutz Wittig, und bisher nur im Grunewald.

Regen und Wind haben aber auch etwas Gutes: Sie fegen beispielsweise die Eier der aus Südosteuropa eingewanderten Miniermotte von den Blättern der Kastanien, bevor sie schlüpfen können. Dem miesen Wetter entsprechend sehen hingegen die Blätter mancher Ahornbäume bereits braun wie im Herbst aus. Ihnen macht ein ganz anderer Schädling zu schaffen: das im Winter gestreute Salz. Christoph Spangenberg

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