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Spielstätte. David Garrett vor der Berliner Philharmonie.  

© Thilo Rückeis

Vom Wunderkind zur Marke: Mit David Garrett durch den Tiergarten

Er mag Berlins Bodenständigkeit, galt einst als begabtester Violinist seiner Generation und interpretiert jetzt Popsongs auf der Geige. Ein Spaziergang mit Crossover-Star David Garrett.

Es ist einer jener Tage, an denen die Fassaden am Boulevard Unter den Linden wie blankgewienert strahlen und die Konturen aller Dinge so scharf gezogen sind, dass es schmerzt. Ins Blau des Himmels mengt sich ein Stich ins Weißliche, so als läge die Wüste gleich um die Ecke – dabei ist es nur der Tiergarten.

Das Brandenburger Tor leuchtet an diesem Apriltag in der Mittagssonne, die so tut, als sei es schon Juni. Man muss die Augen zusammenkneifen, will man überhaupt etwas vom Attikarelief und den Friesen erkennen. David Garrett schlendert ganz entspannt mit Sonnenbrille durch den mittleren Torbogen.

Wir sind hier verabredet für einen Stadtspaziergang durch den Tiergarten. In diesem Park erholt sich der Stargeiger gerne beim Joggen. „Meine Wohnung liegt in der Nähe vom Checkpoint Charlie, dort starte ich und laufe meistens bis zur Siegessäule, die ich dann mehrmals umrunde“, erzählt er beim Laufen, „zwei Stunden dauert das schon“.

Jetzt nehmen wir aber einen anderen Weg, biegen vom Tor aus nach Süden ab. Wir sind nicht allein, der Manager von David Garrett begleitet uns – und sein Stylist, doch dessen Einsatz ist kaum nötig. Die Frisur sitzt, es ist fast windstill, ein guter Tag für Fotos. Die Sonne liegt vor uns, Strahlen flackern im Gebüsch. Im März hat es reichlich geregnet. Nicht genug, um einen weiteren Dürresommer zu überstehen, aber immerhin so viel, dass sich jetzt zartes Frühlingsgrün durch den Park zieht.

David Garrett geht meist alleine joggen. Da kann er am besten entspannen, den Kopf frei kriegen, Energie tanken. Was in seinem Job auch nötig ist: Die nächste Tournee mit dem Album „Unlimited“ steht an, sie dauert acht Monate. Am 4. Mai ist Auftakt in Chemnitz, am 7. Mai tritt er in Berlin in der Arena am Ostbahnhof auf, begleitet von der Neuen Philharmonie Frankfurt.

Mehr als Klassik 

Einst galt der heute 38-Jährige als Wunderkind, hat mit acht Jahren Claudio Abbado vorgespielt, war mit 13 bei der Deutschen Grammophon unter Vertrag. Später studierte er bei Itzhak Perlman an der Juilliard School in New York, Yehudi Menuhin nannte ihn den „größten Geiger seiner Generation“. Nach dem Studium entstand dann die Marke „David Garrett“, wie man sie heute kennt: der Crossover-Rebell mit Sexappeal, der ähnlich wie einst Nigel Kennedy (ebenfalls ein Juilliard-Absolvent) Popsongs mit Band auf der Geige interpretiert – und Klassikhits.

Das jüngste Album „Unlimited“ mixt zum Beispiel Nirvana und The Verve mit dem Titelthema aus „Pirates of the Caribbean“, mit Brahms fünftem Ungarischen Tanz und den beiden größten Krachern von Beethoven: dem Beginn der 5. Symphonie und der „Ode an die Freude“ aus der Neunten. Das finden nicht alle toll, aber David Garrett erreicht damit Fanschichten, für die der Klang der Geige ansonsten so ziemlich das Gegenteil von cool sein dürfte. Hunderttausende von Platten hat er verkauft, sein Album „Rock Symphonies“ von 2010 stand auf Platz 1 der deutschen Charts.

Wir schlendern zwischen Bäumen und Büschen den Ahornsteig entlang, Manager und Stylist immer ein paar Schritte hinter uns, und lassen das Denkmal für die ermordeten Juden Europas sowie das Goethe-Denkmal links liegen. Die Pole der deutschen Geschichte, komprimiert auf wenigen Metern.

David Garrett bleibt gar nicht so viel Zeit zum Joggen im Tiergarten, denn er verbringt nur knapp zwei Monate im Jahr in Berlin. Der als David Christian Bongartz in Aachen geborene Musiker, der den Nachnamen seiner amerikanischen Mutter annahm, besitzt noch zwei weitere Wohnungen: auf Mallorca, wo er sich der Natur nahe fühlen kann, und in der Stadt, der spätestens seit dem Studium sein Herz gehört: New York.

„Warum ich trotzdem in Berlin wohne? Ich mag das reiche kulturelle Angebot und die Bodenständigkeit, die Kieze“, sagt der hochgewachsene Schlaks. Bodenständig und gelassen, so wirkt er auch selbst an diesem Nachmittag. Doch schon in einer Stunde muss er in Tegel sein, um nach Frankfurt zu fliegen, natürlich mit Manager und Stylist.

Der Anspruch ist Zufriedenheit

Wann war ihm klar, dass sein beruflicher Weg anders aussehen, dass er keine Karriere als klassischer Musiker einschlagen würde? „Diesen Punkt hat es nie gegeben“, erzählt er. David Garrett hat einfach immer das gemacht, was sich für ihn gut anfühlte. Körper und Leben in Einklang, das ist ihm wichtig. „Mein Anspruch ist, dass ich zufrieden bin. Und dann ist es auch egal, ob ich vor 20000 Leuten spiele oder vor 20.“

Was er sogar manchmal tut, in privatem Kreis, wenn ihn Freunde bitten. Erschließt er also tatsächlich neue, junge Zuhörerschichten für die klassische Musik? Menschen, die nach einem Konzert von ihm auch mal den Weg in die Philharmonie finden? Da macht er sich wenig Illusionen: „Die meisten Fans kommen wohl wegen mir.“

Keine Seltenheit im Pop: Die Persönlichkeit des Stars spielt die entscheidende Rolle, anders als in der klassischen Musik, wo die Werke im Vordergrund stehen – sofern es nicht gerade Anna Netrebko ist, die singt. Ohne David Garrett sind eben auch Brahms’ Ungarische Tänze schlicht Klassik, und da dürften bei den meisten seiner Fans die Ohren schnell wieder zugehen.

Da schimmert auch schon das kuriose Fabrikgebäude des Musikinstrumentenmuseum durchs Astwerk. David Garrett hat ihm mal einen Besuch abgestattet, kein Wunder: Er spielt eine Stradivari, die „Ex A. Busch“ von 1716, die einst im Besitz des Geigers Adolf Busch war. Bis heute kolportiert wird, er hätte sie bei einem Treppensturz 2008 beschädigt, dabei war es nicht die Stradivari, sondern eine Guadagnini – „und es ist auch nicht so, dass das Instrument dabei einen Totalschaden erlitten hätte“, wie er lächelnd betont. Neben diesen beiden spielt er noch eine dritte Geige von Jean Baptiste Vuillaume. Und die ist es, die bei seinen Tourneekonzerten zum Einsatz kommt.

Musikalische Heimat

Schließlich steht unsere kleine Gruppe vor Scharouns Wunderwerk, der Philharmonie. Acht Mal ist David Garrett in den vergangenen Jahren hier aufgetreten, denn er gibt natürlich auch klassische Konzerte, etwa mit den Violinkonzerten von Brahms und Bruch. „Klassik ist meine musikalische Heimat“, erklärt er. Hat ihn ein Ausspruch wie der von Yehudi Menuhin damals nicht enorm belastet? „Man muss damit umgehen können, auch als Wunderkind. Irgendwann ist das Kind weg, und dann ist auch das Wunder weg. Dann musst du einfach Musiker sein.“

Intuition und Instinkt sind unabdingbar, die hat David Garrett schon als Kind besessen. Doch ohne theoretische Grundlagen geht es nicht. Deshalb hat er mit 18 Jahren Familie und Freunde zurückgelassen, ist ausgebrochen, um in New York zu studieren: Harmonielehre, Kontrapunkt, Musikgeschichte. So unterhalten wir uns noch ein Weilchen, über das Berliner Konzert – oder besser: die Show, die als Hommage an die Fans gedacht ist, und die spezielle, „Notch“ genannten Technik, die Livebilder ohne Reibungsverluste und Verzögerung in Animationen übersetzt. Und über die Zukunft der klassischen Musik.

Es gäbe tolle Kollegen wie Renaud Capuçon, Lang Lang oder Gustavo Dudamel, sagt David Garrett, die alle auf ihre Art Begeisterung entfachen können. „Und ich mache es eben auf meine.“ Handshake und ab ins Auto, gemeinsam mit Manager und Stylist. Der Flieger wartet.

Konzert in der Arena am Ostbahnhof, 7. Mai, 20 Uhr, Tickets 74,55 - 127,35 Euro

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