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Berlin: Von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit

Trotz massiver Werbeaktionen ist das Lehrstellenangebot der Wirtschaft auch in diesem Jahr bei weitem nicht ausreichend. Lediglich 25 Prozent der Berliner Unternehmen bilden aus.

Trotz massiver Werbeaktionen ist das Lehrstellenangebot der Wirtschaft auch in diesem Jahr bei weitem nicht ausreichend. Lediglich 25 Prozent der Berliner Unternehmen bilden aus. Erst kürzlich haben Senat, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften die Situation auf dem Ausbildungsmarkt zum zentralen Anliegen eines regionalen Bündnisses für Arbeit erklärt. Der Präsident des Landesarbeitsamts, Klaus Clausnitzer, rechnet damit, daß 2500 bis 3000 Jugendliche in diesem Jahr keine Lehrstellen finden werden. Um noch möglichst vielen Bewerbern zu einer Lehrstelle zu verhelfen, startet der Tagesspiegel deshalb eine Jobbörse.Wie schon in den vergangenen Jahren werben Politiker und Wirtschaftsverbände seit Monaten um neue Ausbildungsplätze. Am Tag des Ausbildungsplatzes im Juni beispielsweise suchten die Arbeitsämter 2875 Betriebe auf und warben für dieses Jahr 282 Lehrstellen ein. Die IHK etwa besuchte in diesem Jahr rund 6000 Betriebe.Derzeit sind noch 13 000 der 30 000 bei den Arbeitsämtern gemeldeten Bewerber ohne Lehrstelle. Im vergangenen Jahr waren es zu diesem Zeitpunkt knapp 900 Jugendliche mehr gewesen. Das liegt vor allem daran, daß die Nachfrage von Jugendlichen, die ihren Schulabschluß in früheren Jahren gemacht haben, gesunken ist. Durch das von der Bundesregierung gestartete Jugendsofortprogramm "Jump" waren zum Jahresanfang rund 2500 Altbewerber in außerbetriebliche Maßnahmen vermittelt worden, sagt Manfred Roosch von der Berufsberatung des Landesarbeitsamtes. Gleichwohl gehören rund 40 Prozent der Lehrstellensuchenden zu den Altbewerbern, und die Tendenz ist steigend. Jugendliche sollten dennoch nicht den Mut verlieren, "denn gerade jetzt ist noch mal Bewegung drin". Vor allem die kleinen Betriebe suchten nun ihre Auszubildenden aus, sagt Roosch. Wenn dann einer abspringe, gebe es immer wieder eine Chance. Außerdem werde in den kommenden Monaten das Bund-Länder-Sonderprogramm aufgelegt, mit dem rund 2500 Plätze sowohl in der betriebsnahen als auch der außerbetrieblichen Ausbildung öffentlich gefördert werden. Gegen die "schleichende Verstaatlichung in der Ausbildung" sieht Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler die Wirtschaft in der Pflicht. Sie äußerte die Hoffnung, daß die im Bündnis für Arbeit vereinbarte Ausbildungsgarantie der Arbeitgeber "nun rasch mit Leben erfüllt wird".Im Bereich der IHK hat sich die Zahl der ausbildenden Betriebe in den letzten fünf Jahren um 54 Prozent erhöht, vor allem bei den kleineren Unternehmen. Vielversprechend ist nach Angaben von Rainer Schöne, Bereichsleiter Ausbildung bei der IHK, die Ausbildungssituation in den neuen Berufen, vor allem in den Bereichen Informationstechnik und Kommunikation sowie Medien. Rund 900 Lehrstellen stünden schon bereit. Ohnehin gelte das Interesse weniger den klassischen Metall- und Elektroberufen sondern der Dienstleistungsbranche, sagt Schöne. In manchen Branchen gebe es deswegen derzeit noch mehr Stellen als Bewerber, beispielsweise beim Energieelektriker. "Facharbeitermangel in wenigen Jahren" Landesarbeitsamtspräsident Klaus Clausnitzer zur Lehrstellensituation Die Werbung um Ausbildungsplätze hat sich in den letzten Jahren zu einem Ritual entwickelt. Sind nachhaltige Erfolge spürbar? Es wird geworben, weil die Situation, auch von der demographischen Entwicklung her, von Jahr zu Jahr eher schlechter wird. Die Nachfrage steigt, und die Meldung betrieblicher Ausbildungsplätze geht eigentlich zurück. Wenn wir in Berlin etwa eine Beteiligung der Betriebe von 25 Prozent haben, die ausbilden, ist das einfach zuwenig. Da wir immer mehr Schulabgänger haben, wird die Lücke größer. Wie begründen denn Betriebe, warum sie sich nicht an der Ausbildung beteiligen? In Berlin gehen jeden Tag immer noch in großen Blöcken Arbeitsplätze verloren und mit denen natürlich auch die Ausbildungsplätze. Viele Unternehmen sagen auch, daß es schlicht ein Kostenfaktor ist. Das war vor 30 Jahren auch nicht anders, aber damals hat man den jungen Leuten eine Chance gegeben. Wie versuchen Sie, den Unternehmen die Ausbildung schmackhaft zu machen? Ich denke, daß die Unternehmen eigentlich in ihrem eigenen Interesse ausbilden. Sie qualifizieren die Arbeitnehmer der Zukunft nach ihren eigenen Bedürfnissen. In wenigen Jahren wird es einen Facharbeitermangel in der Bundesrepublik geben. Was hat das Sofortprogramm "Jump" der Bundesregierung bewirkt? Eine Menge. In Berlin haben wir 2500 Jugendliche in Ausbildungsplätze vermittelt. Das ist eine phantastische Größenordnung. Denn diese Jugendliche hätten sich sonst in die Schlange eingereiht. Wir haben einfach ein bißchen Druck aus dem Topf herausgelassen. 2500 bis 3000 junge Menschen werden dennoch kein Angebot bekommen. Im nächsten Jahr wird es noch schlimmer sein. So geht es weiter bis 2004, 2005. Die jungen Menschen werden dann zwar in einer besseren Situation sein, aber die Arbeitgeber werden nicht ganz glücklich sein. Wenn nur wenige Prozent mehr der Berliner Unternehmer jetzt ausbilden würden, hätten wir kein Problem. Was passiert mit den nicht versorgten 2500 bis 3000 Jugendlichen? Das wird eine politische Entscheidung sein, wenn am 30. September bilanziert wird, ob man noch in der Lage ist, durch zusätzliche Mittel weitere Ausbildungsplätze zu finanzieren. Man kann aber nicht immer darauf setzen, daß man mit Geld Ausbildungsplätze kaufen kann. Da liegt die Verantwortung wirklich bei der Wirtschaft selber. Mit Klaus Clausnitzer sprach Sigrid Kneist. Freie Lehrstellen noch bei ReicheltAm 1. September beginnt das neue Ausbildungsjahr. Für rund 13 000 Bewerber war die Suche nach einer Lehrstelle bisher nicht erfolgreich. Für sie wird die Zeit knapp. Aber auch manche Betriebe haben vielleicht den zu ihnen passenden Auszubildenden noch nicht gefunden. Wir möchten gern dazu beitragen, Bewerber und Unternehmen zusammenzubringen, und bitten deswegen die Betriebe, der Redaktion noch nicht besetzte Lehrstellen zu melden, die wir dann veröffentlichen werden ( Tagesspiegel, Lokalredaktion, 10876 Berlin, Telefax 26009-415). Zum Auftakt der Job-Börse können wir auf freie Lehrstellen bei Reichelt und im Bezirk Kreuzberg verweisen.Das Tochterunternehmen Otto Reichelt Fleisch- und Wurstwaren GmbH bietet insgesamt 36 neue Stellen. Ausgebildet werden Fleischer, die aber auch für den Verkauf geschult werden. Zudem können junge Leute den Beruf des Fleischfachverkäufers - sie befassen sich etwa mit Aufschnittplatten - erlernen. Nach Auskunft von Ausbildungsleiter Friedrich Tebbe können sich sowohl junge Frauen als auch Männer bewerben, die mindestens den Hauptschulabschluß besitzen: Otto Reichelt Fleisch- und Wurstwaren GmbH, Abteilung Aus- und Weiterbildung, Daimlerstraße 97-111, 12277 Berlin.In Kreuzberg engagiert sich seit langem ein Verbund von Unternehmen und Behörden für zusätzliche Lehrstellen. Für das sogenannte Bürgermeisterprojekt werden jetzt noch Jugendliche aus Kreuzberg oder Friedrichshain gesucht. Wer Maler oder Lackierer werden möchte, hat gleich die Chance, während seiner Ausbildung Kitas und Schulen aufzupolieren. IT-Systemelektroniker/innen können etwa Computeranlagen bei Ärzten einrichten und überprüfen, teilte Vorstandsvorsitzender Ulrich Heuke vom Kreuzberger Kreis mit. Außerdem können sich Kaufleute für Bürokommunikation in spe bewerben beim Kreuzberger Kreis, Prinzenstraße 85, 10969 Berlin. In Ostdeutschland mehr LehrstellenFür eine Entwarnung auf dem bundesdeutschen Lehrstellenmarkt und Berlin ist kein Anlaß. Dennoch zeigen die jüngsten Zahlen der Industrie- und Handelskammern wie auch der Handwerkskammern eine deutlich verbesserte Lage. Die Verbände errechneten im Westen Deutschlands eine Zunahme von 10,7 Prozent - um 13 620 auf 140 400 Ausbildungsstellen. Für Ostdeutschland inklusive Berlin gibt es sogar eine Steigerung von 38 Prozent - das ist ein Plus von 7645 auf 27 830 Lehrstellen. Die Zahlen beinhalten bereits die im Sofortprogramm der Bundesregierung erreichten Ergebnisse. In den neuen Ländern entfallen 8000 Ausbildungsplätze oder 30 Prozent auf diese öffentlich finanzierten Maßnahmen. DIHT-Geschäftsführer Franz Schoser registriert besorgt, daß viele Ausbildungsbetriebe auf diese Maßnahmen verweisen und eigene Aktivitäten zurückstellen. Allerdings seien die Mittel für 1999 bereits erschöpft, so daß sich das Verhältnis bis zum Jahresende verbessern werde. olm

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