zum Hauptinhalt

Berlin: Von Hufen und Hüten

Das 109. Traber-Derby in Mariendorf beginnt. Chic auf dem Kopf ist gefragt

Früher, da „fluteten gewaltige Menschenmassen“ zu den Renntagen, da standen die Wetter „Polonaise, um ja nur ein Ticket zu erhalten“, wie es 1920 in einem Zeitungsartikel bejubelt wurde. Aber früher ist lange her. Heute verlieren sich an normalen Renntagen die Besucher in der riesigen Anlage von Mariendorf, und die Wettumsätze sind so lala.

Aber einmal im Jahr, nämlich ab heute, ist schwer was los, dann ist Derbywoche und es wird mit täglich rund 10000 Besuchern und für Sonntag sogar mit 20000 Besuchern gerechnet. Nicht wenige werden sich fein machen, einige sogar Hut tragen. Trotzdem hat der Trabrennsport einen niedrigeren Glamourfaktor als die Galopprennen etwa, deren Bilder es alljährlich in die Hochglanzillustrierten schaffen. Dabei war zur Eröffnung der Rennbahn im Jahr 1913 sogar ein Prinz zugegen, Prinz Oskar von Preußen nämlich, ein Traberpferdbesitzer auch selbst. Für diejenigen, die sich erst während der Renntage einen Hut auf den Kopf wünschen, wird ein kleiner Stand nahe der Ziellinie geöffnet.

Dass der Rennbahn am Mariendorfer Damm 222 – 298 Geld fehlt, merkt man schnell: Im Hauptgebäude sieht’s aus wie in einem Derrick-Film, lauter 70er-Jahre- Möbel und irrwitzige angegilbte Lampenarrangements, auf die jeder Mitte-Club- Macher nur neidisch sein kann – und auf den Treppen Eimer in die das Regenwasser vom Dach tropft. Aber der Rennverein hat sich einiges für die Zuschauer ausgedacht: Neben mobilen Wettschaltern, die draußen herumlaufen und Interessierten Wettscheine verkaufen, gibt es die Aktion „Besitzer für einen Tag“. Am Eingang bekommt jeder Gast eine Losnummer und wenn er Glück hat, wird er für den Tag als Besitzer eines vorher ausgewählten Pferdes ausgelost. Er kann zu den Ställen gehen, Tier, Trainer und Fahrer kennen lernen, er verfolgt die Rennen im VIP-Bereich, und falls das Pferd gewinnt, streicht er den Gewinn ein. Der echte Besitzer wird von der Rennbahn entschädigt.

Wer Pferdewetten für ruchloses Tun hält, kann sich allein daran erfreuen, wie die Tiere im Eilschritt die Sulkys ums Rund ziehen, und wer zwar mal wetten wollte, aber Angst hat um sein Geld, kann es ja mal mit einer kleinen Wette auf den Favoriten versuchen. Gewinnt der tatsächlich (was wahrscheinlich ist), hat man zwar nicht viel raus, aber man hat eine Ahnung davon, was die Leute an die Schalter treibt. Wenn es um das eigene Geld geht, ist das Rennen nicht mehr nur ein Rennen, dann ist es eine ganz persönliche Sache, und dann kann einen die Aufregung ganz schön umhauen.

Siehe Seite 19

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false