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 Zarina und Aref Saboor mit ihrer eineinhalb Jahre alten Tochter Nirvana beim Spaziergang in Schlachtensee.

© privat

Von Kabul nach Zehlendorf: Familie Saboor und ihre Berliner Helfer

Der afghanische Bundeswehr-Mitarbeiter Aref Saboor entkam den Taliban knapp. Ein Tagesspiegel-Leser stellt nun kostenfrei eine Wohnung in Berlin zur Verfügung.

Vielleicht, sagt Aref Saboor, träume er das alles nur. „Es kommt mir noch nicht real vor“, sagt er. An einem bedeckten Septembertag sitzt der 32-Jährige in blauem Reißverschlusspulli und Turnschuhen am Ufer des Schlachtensees und blickt aufs Wasser hinaus. Während eine Kanufahrerin dort kleine, regelmäßige Wellen schlägt, erzählt Saboor, wie er es vor wenigen Wochen wider jede Wahrscheinlichkeit aus Afghanistan herausschaffte.

Wie er mit seiner Frau Zarina den Haushalt in Masar-i-Scharif auflöste, um mit ihrer eineinhalb Jahre alten Tochter Nirvana vor den vorrückenden Taliban zu fliehen. Wie sie in der Hauptstadt Kabul in der Einzimmerwohnung eines Freundes unterkamen – bis der sie für die eigene flüchtende Familie brauchte. Wie ein alter Mann, ein Fremder, sich bereiterklärte, sie einige Tage bei sich aufzunehmen und versprach, niemandem zu sagen, dass die junge Familie, die er beherbergte, für die Deutschen gearbeitet hat.

Und Aref Saboor erzählt von dem „unglaublichen Moment“ am 24. August. Als er seine Frau und Tochter durch einen offenen Abwasserkanal vor dem Flughafen von Kabul trug – in dem nur zwei Tage später nach einem Bombenanschlag des „Islamischen Staats“ Leichen liegen würden – und mit einem der letzten Evakuierungsflüge der Bundeswehr sein Heimatland verlassen konnte. „Für immer“, sagt Saboor. Dann lacht er. „Na ja, mal sehen!“

Aref Saboor am Schlachtensee in Berlin-Zehlendorf.
Aref Saboor am Schlachtensee in Berlin-Zehlendorf.

© Cornelius Dieckmann/Tagesspiegel

Der Tagesspiegel hatte Anfang August erstmals über Aref Saboor berichtet, der von 2017 bis 2021 als Videojournalist in einem Bundeswehr-Medienzentrum in Masar-i-Scharif gearbeitet hatte. Doch weil sein Vertrag über ein Subunternehmen lief, sah die Bundesregierung ihn zunächst nicht als eine der unter ihrer Verantwortung stehenden „Ortskräfte“.

Ein Leser stellte die Wohnung, zwei weitere übernahmen die Einrichtung

Auf die Reportage mit dem Titel „Sie werden mich finden“ hin meldete sich der Berliner Tagesspiegel-Leser Clemens Beck mit dem Angebot, Familie Saboor drei Jahre lang miet- und nebenkostenfrei in einer Wohnung seiner Beck’schen Stiftung in Zehlendorf unterzubringen, sollte sie es nach Deutschland schaffen. Kurz nach der Taliban-Machtübernahme am 15. August setzte die Bundesrepublik die Saboors auf ihre Evakuierungsliste.

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„Dass sie jetzt wirklich hier sind, lässt einem das Herz aufgehen“, sagt Clemens Beck einige Tage, nachdem die Saboors die Wohnung bezogen haben. Nun wolle er bei Behördengängen helfen und durch sozialen Anschluss den Kulturschock lindern. Seinem Hilfsangebot hatten sich mehrere Tagesspiegel-Leser angeschlossen. Ein Zehlendorfer Ehepaar übernahm die Wohnungseinrichtung, eine Deutschlehrerin aus Tempelhof steht für Sprachunterricht zur Verfügung.

Zarina und Aref Saboor mit Tochter Nirvana (Mitte), dem Berliner Ehepaar Beck (links) und einem aus Afghanistan stammenden Marktverkäufer in ihrer neuen Nachbarschaft in Schlachtensee.
Zarina und Aref Saboor mit Tochter Nirvana (Mitte), dem Berliner Ehepaar Beck (links) und einem aus Afghanistan stammenden Marktverkäufer in ihrer neuen Nachbarschaft in Schlachtensee.

© privat

„Wir sind sehr dankbar für diese Großzügigkeit und Wärme“, sagt Saboor, der jetzt einen Wanderweg entlangspaziert. „Anfangs wollten wir kaum glauben, dass uns irgendwo in Deutschland jemand helfen will. Meine Frau meinte, das sei vielleicht nur so eine Mediengeschichte, die sich eben schön lesen soll.“

An Berlin gefalle ihm vor allem die Vielfalt der Nationen, sagt Saboor. Daran, dass seine Frau und er sich gut einleben werden, hat er keine Zweifel. Er spricht acht Sprachen, darunter Englisch, Französisch und Türkisch, hat einen Uni-Abschluss in BWL und Berufserfahrung als Journalist und Grafikdesigner. Zarina Saboor, ebenfalls gelernte Journalistin, arbeitete in Afghanistan zuletzt als Modeunternehmerin.

Eine Zukunft für die Tochter

Am wichtigsten sei, „dass meine kleine Tochter hier eine Zukunft hat“, sagt Aref Saboor. Soeben hat das Taliban-Regime Mädchen von Sekundarschulen ausgeschlossen.

Mit seinen Gedanken sei er auch jetzt immer zur Hälfte in Afghanistan, sagt Saboor. Seine Mutter und sechs seiner Geschwister befänden sich noch in Kabul. „Ich kann ihnen im Moment nicht helfen. Durch meine Arbeit sind sie vielleicht in Gefahr.“ Auch viele seiner Kollegen aus dem Bundeswehr-Medienzentrum seien noch in Afghanistan. „Viele wurden zurückgelassen.“

Für Familie Saboor ist die Ankunft in Berlin das vorläufige Happy-End eines Albtraums. Für Afghanistan fängt der gerade erst an.

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