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Ist Hochdeutsch eine überschätzte Qualität?

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Von Tag zu Tag: Berlin, Berlin, wie bist du international geworden

Hochdeutsch spielt in Berlin eine untergeordnete Rolle. Das wusste schon Friedrich Hollaender. Auch unser Autor Thomas Lackmann hat so seine Sprachschwierigkeiten. Eine Glosse.

Dass unsere komplexbeladene Kommune kürzlich, vor knapp zwei Jahrhunderten, eine verschnarchte Residenzstadt gewesen sein soll, muss niemanden beschämen. Wenn Spötter behaupten, bei der Kleinkariertheit sei es tendenziell geblieben, braucht kein Lokalpatriot ausrasten und auf München zeigen oder auf jene Quadrillionen von Touris, die niemals irren. Etwas Aufmunterung zum Weltstadt-Relaunch tut trotzdem gut – und wenn dabei noch Gedankengänge trainiert werden, steigert das die kollektive Exellenz. Friedrich Hollaenders Theater-Song „Berlin, Berlin, wie bist du schön geworden“ von 1926, der uns am Freitag schon an dieser Stelle inspirierte, produziert aber nicht nur Selbsterkenntnis, er demonstriert außerdem Zivilisationskritik: wie sie blüht, wenn sich viele Individuen im Ballungsraum (Achtung: Großraumbüro!) gegenseitig auf den Zeiger gehen. „Gemüsepreise hörst du nachts im Radio laut: Welch ein Fortschritt der Zivilisation“, spottet der Dichter, und thematisiert die Verflachung seiner Muttersprache: „Die Modeworte prasseln, selbst die Babys sind meist „eingestellt“ schon heute „irgendwie“… Dass die mechanische „Einstellung“ einer Person auf irgendetwas 1926 idiomatisch der letzte Schrei, ein „Unwort des Jahres“ gewesen sei, kann heute kaum noch jemand nachvollziehen; auch Hollaender machte bald darauf aus dem Trend-Sprech eine Tugend und hat das Unwort, mehr oder minder ironisch, für seinen Welthit („Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“) verwendet.

"Berlin, Berlin, wie bist du schön geworden", wunderte sich Friedrich Hollaender schon in den 1920er-Jahren.
"Berlin, Berlin, wie bist du schön geworden", wunderte sich Friedrich Hollaender schon in den 1920er-Jahren.

© dpa/picture-alliance/Röhnert

Ignorant oder schick

Heute ist es weniger der prasselnde Wortschatz, durch den Weltstadt-Flair aufkommt, als die polyglotte Gesamtsituation. So international wie 2015 hat Berlin sich noch nie gefühlt. Das betrifft nicht nur Quartiere, in denen der Mimi-Mihi (Mitbürger mit Migrationshintergrund) dominiert, sondern sogar Reviere Eingeborener und solcher, die sich aufführen, als wären sie welche. Feldforschungs-Stichproben beim netten, aber achselzuckenden Thekenpersonal eines Hamburger-Ladens am Rosa-Luxemburg-Platz (English spoken) oder eines Cafés am Stutti (Parla Italiano) stellen selbst CSU-ferne Kosmopoliten vor die Gewissensfrage, ob man das schick oder ignorant finden soll. In einer Apotheke am Adenauerplatz wird zehn Minuten lang, zwischen Personal und  Kundschaft, ausschließlich russisch geraspelt, zur Klärung  globaler Probleme. Sogar in der Caféteria einer Privatschule, wo zugereiste Westdeutsche ehrenamtlich wirken und sich dabei austauschen, wie deftiges Süddeutsch schluffige Berliner Handwerker anzuspornen vermag, spielt Hochdeutsch eine untergeordnete Rolle. Wird es als Qualitätskriterium überschätzt? Auch der Verfasser dieser Zeilen hat, zugegeben, Artikulationsprobleme, die sich manchmal in der Verwechslung von Flora und Fauna, also Blümchen und Bienchen, äußern: ein Aussetzer auf dem Minenfeld der Fremdworte, den unsere gebildeten Leser prompt korrigieren. „Darüber läßt sich reden“ hieß der „Berliner Bilderbogen“, an dem Hollaenders Lied über Berolinas wachsende Schönheit beteiligt war; auf dieser Einsicht beruhen ja letztlich unsere schönsten, zivilisatorischen Hoffnungen, von Kopf bis Fuß.

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