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Von Tag zu Tag: Triebabfuhr

Ralf Schönball über rücksichtslose Gesellen und ihre Grenzen.

Gestern stand es im Tagesspiegel: Die Berliner ziehen raus aus den Partymeilen zwischen Boxhagener und Bergmannstraße – „Raus ins Grüne!“ Eine einfache Erklärung hatten die Markt- und Verhaltensforscher für das Ergebnis ihrer Studie gleich mitgeliefert: Ins Zentrum zieht, wer neu in die Stadt kommt. Berliner werden also verdrängt von den Yuppies aus München. Die zahlen mehr Miete und schnappen der digitalen Boheme und anderen Berufsberlinern die Wohnungen weg.

Wirklich? Es gäbe auch eine andere Erklärung: Wer wegzieht, ist die Horden feierwütiger Teenies leid, die ihm auf ihrem Weg ins Cookies auf den Abendbrottisch glotzen. Das setzt dem stoischen Gemüt des Metropolenbewohners mehr zu als S-Bahn und BER zusammen. „Muss ich nicht haben“, sagt sich nicht nur der Nestbauer – und zieht in beschaulichere Gefilde. Nach Steglitz zum Beispiel. Wer dort lebt, hat es nun amtlich: Der „Spiel- und Geselligkeitstrieb“ ist „im allgemeinen Wohngebiet grundsätzlich rücksichtslos“. So urteilte das Berliner Verwaltungsgericht laut einer jetzt verbreiteten Meldung. Wer immer also rauszog, um endlich seine Ruhe zu haben, sollte sich nicht schämen und einen Spießer schimpfen lassen. Nein, es sind nicht die ernsten Anzeichen des Alterns, das übrigens auch mit schlechter werdendem Gehör einher… – was, wie bitte?! Ach so: Es geht in dem Urteil gar nicht um den Streit zwischen einem Mieter und Kneipenbetreibern im Szenekiez über eine Sperrstunde für – sagen wir – die Oranienstraße oder die Oranienburger, sondern um die Einrichtung eines Wettbüros. Geklagt hatte der Mieter einer 93 Quadratmeter großen Gewerbefläche gegen den Bezirk Steglitz-Zehlendorf, der ihm die Betriebsgenehmigung verweigerte. Zu Recht, wie das Verwaltungsgericht nun urteilte. Vor allem der An- und Abfahrverkehr auch zu ungewöhnlichen Zeiten dränge die Wohnnutzung zurück, so die Richter, und sei daher „regelmäßig rücksichtslos“. Und was ist mit den Touristenbussen?

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