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Von Tag zu Tag: Zündeleien

Sigrid Kneist lässt sich nicht von Brandbriefen entflammen.

Ein Mittel, auf politische Missstände aufmerksam zu machen, ist seit langem der offene Brief. Kommt er richtig dramatisch daher, als flammender Appell sozusagen, dann nennt man ihn in der Öffentlichkeit seit einigen Jahren gerne Brandbrief. Denn bei den Empfängern sollen ja die Alarmglocken schrillen, um in der Metapher zu bleiben. Die Dramatik wird zudem oft durch entsprechende Wortwahl deutlich gemacht: Ein Problem brennt, die Situation ist brenzlig, etwas kann sich zu einem Flächenbrand ausweiten, eine Intervention von Feuerwehrkräften ist gefordert. Vor Feuer hat jeder Angst, das verspricht einen hohen Aufmerksamkeitsfaktor.

Historisch hat der Brandbrief mehrere Bedeutungen: Zum Ende des Mittelalters bezeichnete er ein Gesetzeswerk zur Bestrafung von Dieben und Brandstiftern. Später gab es den Brandbettelbrief: Dieser gestattete Menschen, die durch einen Brand mittellos geworden waren, die Bettelei. Sie sollten Hilfe erhalten können.

Unterstützung suchen die modernen Brandbriefschreiber. Den bekanntesten Brandbrief der Berliner Neuzeit schrieb vor ziemlich genau sieben Jahren das Kollegium der Neuköllner Rütli-Schule. Er erschreckte nicht nur Berlin, sondern rüttelte die Republik auf. Und löste damit eine Diskussion über die katastrophalen Zustände in, Achtung!, Brennpunktschulen aus. Es war ein außerordentlich erfolgreicher Brandbrief. Die damalige desolate Rütlischule, auf die nur noch Schüler gingen, die nirgendwo sonst eine Chance hatten, gehört längst der Vergangenheit an. Der heutige Campus Rütli ist ein Modell der Zukunft.

Danach folgten viele, viele andere dieser brennenden Briefe. Manche von ihnen erhielten wieder einige Publizität. Wie jener, den Schulen aus Mitte drei Jahre später losschickten. Es ging um ähnliche Probleme wie bei Rütli. Das Schreiben gelangte sogar ins Kanzleramt. Das war es aber auch. Die Wucht des Rütli-Briefes hatte dieser schon nicht mehr. Andere Briefe schafften es zwar in die Öffentlichkeit, hatten aber längst nicht den Aufmerksamkeitswert. Jugendhilfeeinrichtungen kämpften gegen Kürzungen, Hartz-IV-Empfänger gegen zu geringe Sätze, Bezirkspolitiker gegen Senatspolitiker. Gerade eben erst schrieben die Berliner Staatsanwaltschaften wegen der drohenden Einsparungen einen Brandbrief.

Bei vielen Alarmen geht aber leicht der Überblick verloren, was wichtig ist und was nicht. So wie bei der Feuerwehr auch, wenn sie zu oft gerufen wird. Und was macht der Senat, der rettend eingreifen soll? Seine Antworten scheinen oft nur auf Löschpapier geschrieben zu sein. Hat man jemals davon gehört, dass so Brände gelöscht würden?

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