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Dirigent Vakhtang Kakhidze und sein Tbilisi Symphony Orchestra kehren nach Berlin zurück.

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Von Tiflis nach Berlin: Der kaukasische Kulturkreis

Georgien ist Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Davon hat auch Berlin etwas – bei Konzerten, Lesungen, im Theater. Und am Mittwoch in der Philharmonie.

Die Verbindung liegt nicht auf der Hand: Berlin und Georgien. Immerhin mehr als 2600 Kilometer Luftlinie sind es bis zur Hauptstadt Tiflis, und an der Spree sind Georgier noch eine rare Spezies. Zuletzt zählte man hier offiziell rund 1500. Aber es werden stetig mehr – und auch die Faszination der Berliner für das Land im Südkaukasus wächst, trotz oder vielleicht gerade wegen der fehlenden direkten Flugverbindung. Paris und London kann ja jeder, also mal östlich orientieren. Warum Georgien, warum jetzt?

Das Land ist ein Spezialfall: Nicht mehr wirklich Europa, aber auch noch nicht ganz Asien. Eine christlich-orthodox geprägte Gesellschaft am Tor zum Nahen Osten. Ein Land, das vor und nach dem Zerfall der Sowjetunion viele Konflikte und Kriege ertragen musste, ein sehr angespanntes Verhältnis zum großen Nachbarn Russland hat und in Richtung Nato- und EU-Beitritt strebt. Eine Hauptstadt, in deren Straßen der Um- und Aufbruch zwischen den bröckelnden Bauten gerade überall zu spüren ist. Wer da war, vergleicht Tiflis mit Berlin in den 90ern.

Nun ist Georgien Ehrengastland der Frankfurter Buchmesse, die am 10. Oktober beginnt, und deren Wirkung sich nicht auf die Literatur und nicht auf die Mainmetropole beschränkt: Die Vorbeben spülen jede Menge georgische Künstler ins Land. Darum ist Dudana Mazmanishvili derzeit vollauf damit beschäftigt, die Kultur ihrer Heimat zu erklären. Die 38-Jährige ist nicht nur Kulturattaché der georgischen Botschaft in Berlin, sondern auch eine talentierte Pianistin.

Dudana Mazmanishvili, Pianistin und Kulturattachée der georgischen Botschaft in Berlin.
Dudana Mazmanishvili, Pianistin und Kulturattachée der georgischen Botschaft in Berlin.

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Kaukasusluft schnuppern in der Philharmonie

Zuletzt fiel sie in Berlin bei den Young Euro Classics auf, als sie Bach und Beats zusammenbrachte. Ihre Karriere – und übrigens auch die der weltberühmten, oft in Berlin gastierenden Geigerin Lisa Batiashvili und der Pianistin Khatia Buniatishvili – begann an einer staatlichen Musikschule in Tiflis. „Seit mehr als 80 Jahren suchen deren Lehrer im ganzen Land nach jungen Talenten“, sagt Mazmanishvili. Dabei müssen sie gut hinhören, denn musizieren und singen tun die Georgier vielleicht noch lieber als die Deutschen Fußball spielen: Einfach jeder tut es. Das betonen alle, vom Musikschuldirektor bis zur Clubbesitzerin.

Wer aber nicht nur auf Familienfeiern Musik macht, sondern für den musikalischen Kader ausgebildet wird, geht später meistens ins Ausland. Den Ruhm erarbeiten sich die Georgier außerhalb ihres kleinen Heimatlandes und dazu gehört bei vielen Musikern vor allem das dann doch wieder verhältnismäßig nahegelegene Berlin und seine Bühnen.

Ganz ohne Flugticket kann man etwa am Mittwoch Kaukasusluft schnuppern, nämlich in der Philharmonie beim Belcanto-Abend mit dem Tblisi Symphony Orchestra und acht georgischen Gesangssolisten, darunter Tenor Badri Maisuradze. Der Mann mit der bulligen Statur ist seit zwei Jahren auch künstlerischer Leiter des Tifliser Opernhauses. In seiner langen Karriere trat er nicht nur in der Mailänder Scala und in der Metropolitan Opera in New York auf, sondern auch oft in der Deutschen Oper, sang in „Il Trovatore“ oder in „Nabucco“. „Dazu kommen bestimmt hundert Aida-Vorstellungen“, ergänzt er. Die Philharmonie kennt und bewundert er bislang nur als Besucher, mit Anfang 50 wird sich das nun ändern.

Mit ihm auf der Bühne steht Vakhtang Kakhidze, Dirigent des Tbilisi Symphony Orchestra und Sohn des Gründers. Erst im Januar traten er und seine Musiker mit Khatia Buniatishvili in der Philharmonie auf. Dabei war auch der Rustavi-Chor, das wohl erfolgreichste Vokalensemble des Landes. Georgischer Polyphongesang gehört ja seit 2001 zum Unesco-Weltkulturerbe. Und wie sich da ein knappes Dutzend Männer in eine menschliche Orgel verwandelt, das ist seltsam faszinierend.

Es darf die große Geste sein

Tenor Maisuradze und die anderen georgischen Sängerinnen und Sänger bieten nun aber einen vornehmlich italienischen Abend: Verdi, Puccini, Bellini – anlässlich der Buchmesse darf es die große Geste sein. Und am Donnerstag schlüpft Dudana Mazmanishvili aus ihrer diplomatischen in ihre künstlerische Rolle und bespielt mit Kakhidzes Sinfonieorchester den Potsdamer Nikolaisaal: Auf dem Programm stehen Beethoven und Dvorak, also wieder keine georgischen Komponisten. Vielleicht will man es mit dem Kulturexport nicht übertreiben?

Wie klein die Kulturszene des Landes ist, zeigt sich daran, dass Dirigent Kakhidze der Schwiegervater von Data Tavadze ist, einem der wichtigsten jungen Theaterregisseure des Landes und Leiter des kleinen, aber feinen Royal District Theatres in Tiflis. Tavadze – da könnte es bei Berliner Theaterfans klingeln. Seine Inszenierungen „Prometheus. 25 Years of Independence“ und „Women of Troy“ wurde im Sommer bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater gezeigt – beide Male geht es um die jüngere Landesgeschichte, um Traumata vor allem.

Nun ist der 1989 geborene Georgier mit der Performance „After Party / After Life“ zurück in Berlin. Ab dem 16. Oktober gibt es drei Vorstellungen im Rahmen des „War or Peace“-Festivals am Gorki-Theater. Tavadze beschäftigt sich abermals mit Kriegsfolgen, nun mit Veteranen und ihren Kindern. Er zeigt, dass die Schützengräben auch durch die Familien verlaufen. Wie ein Archäologe gräbt sich der Theatermann durch die Psyche seiner Landsmänner und -frauen.

Badri Maysuradze leitet auch die Staatsoper in der georgischen Hauptstadt Tiflis.
Badri Maysuradze leitet auch die Staatsoper in der georgischen Hauptstadt Tiflis.

© Gia Chkhatarashvili/Promo

Und ohne Literatur geht es natürlich nicht, so kurz vor Beginn der Buchmesse, auch nicht in Berlin: Darum lädt das Haus für Poesie kommende Woche zu den Tagen der georgischen Lyrik. Am ersten Abend ist unter anderem Bela Chekurishvili dabei, die in Bonn Komparatistik studiert und bereits zwei Gedichtbände auf Deutsch veröffentlicht hat. Wer kein Georgisch kann, muss also keine Scheu haben – die Veranstaltung findet zweisprachig statt. Sowieso: Das Georgische schmiegt sich so schön ins Ohr, da stört es gar nicht, mal nichts zu verstehen.

Direkt nach der Buchmesse strömen die Ehrengäste dann wieder nach Berlin, um sich im Buchladen Ocelot in der Brunnenstraße beim Literaturabend „Georgien von A bis Z“ zu versammeln. Eingeladen ist auch Davit Gabunia, dessen erster Roman „Farben der Nacht“ gerade auf Deutsch bei Rowohlt erschienen ist. Nun stellt er – neben anderen Autoren – sein Buch in Berlin vor. Es ist halb Krimi, halb Porträt der postsowjetischen Gesellschaft: Homosexualität ist nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu und die Rollen der Geschlechter werden neu verhandelt, aus Müttern werden Karrierefrauen. „Ein langsamer, schmerzhafter Prozess“, sagt Gabunia, der auch schon viele Theaterstücke schrieb – übrigens schon mehrfach für Regisseur Tavadze, etwa bei den Stücken für die Autorentheatertage. Der georgische Kreis, er schließt sich in Berlin.

„Belcanto Georgia“, heute, 20 Uhr, Philharmonie, Tickets: www.eventim.de. Tbilisi Symphony Orchestra & Dudana Mazmanishvili, 27.9., 19.30 Uhr, Nikolaisaal in Potsdam (Tickets: www.nikolaisaal.de). „After Party / After Life“ von Data Tavadze, 16., 18., 21.10., Gorki-Theater, (Tickets: www.gorki.de). Lyrik-Tage, 7. und 8.10., 19 Uhr, Haus für Poesie, Knaackstraße 97, Eintritt 6 Euro. „Georgien von A bis Z“, 17.10., 20 Uhr, Ocelot, Brunnenstraße 181, Eintritt 7 Euro. Die Pressereise nach Tiflis erfolgte auf Einladung der Firma Cugate Classics und des Kakhidze Music Centre.

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