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Berlin: Von Tisch zu Tisch: Kaiserstuben in Mitte

Jeder Restaurantkritiker, der den Großraum Berlin beackert, braucht ein paar Lebensregeln, damit er nicht durchdreht. Das Hauptproblem besteht natürlich darin, mit den ständig wechselnden Küchenchefs zurechtzukommen, die viele Berichte schon eine Woche nach Veröffentlichung reif für die Tonne machen.

Jeder Restaurantkritiker, der den Großraum Berlin beackert, braucht ein paar Lebensregeln, damit er nicht durchdreht. Das Hauptproblem besteht natürlich darin, mit den ständig wechselnden Küchenchefs zurechtzukommen, die viele Berichte schon eine Woche nach Veröffentlichung reif für die Tonne machen. Die zu diesem Problem gehörende Regel besagt: Eröffnet ein neues Restaurant, geht man nach einer gewissen Schonfrist hin. Wechselt der Küchenchef, geht man nach einer gewissen Schonfrist ebenfalls hin. Wechselt der Küchenchef erneut, geht man nicht mehr hin, denn es wird ja bald der vierte Küchenchef erscheinen. Dann ist das Restaurant sowieso im Eimer.

Wenn der dritte Küchenchef indessen bleibt, stellt sich die praktische Frage: Was nun? Hier geht es um die "Kaiserstuben", der dritte Chef nach Tim Raue und René Conrad heißt Christian Ramlau, und er ist nun anderthalb Jahre dabei. Mehr noch: Er stellt sich als Teilhaber vor. Überdies ist er in Personalunion auch Küchenchef der "Möwe" gleich um die Ecke, wo er allerdings eher die Richtlinien der Küchenpolitik angibt.

Also zugepackt. Die Speisekarte der "Kaiserstuben" ist größer geworden, allerdings auch stilistisch beliebiger. Nichts von Raues experimenteller Stringenz, auch nichts von der kunstvollen Kargheit, die Conrads Arbeit bestimmte. Stattdessen ein buntes Potpourri zwischen Frankreich, Italien und Asien, die moderne internationale Küche, wie sie in Berlin weit verbreitet ist. Auch saisonale Einflüsse drängt Ramlau weit zurück, aber, nicht zu vergessen: Alles ist ein wenig preisgünstiger geworden, denn Hauptgänge um die 48 und Vorspeisen um 28 Mark sind in dieser Kategorie inzwischen Durchschnitt.

Zumal es für diese Preise eine ordentliche Gegenleistung gibt. Ausgerechnet mit der ersten Vorspeise, einer Gänseleber-Creme-brulée mit Blutorangen, konnten wir uns aber nicht recht anfreunden, denn die sehr süße, kalorienreiche Creme kämpfte mit den gebratenen Gänseleberwürfeln oben drauf einen heftigen, aber vergeblichen Kampf. Viel leichter und schön würzig der Spargelsalat mit Dorade royale und Pinienkernen, der überraschend das einzige Spargelgericht mitten im Saisonstart war. Gut fanden wir, dass hier Hauptgänge preisgünstig auch als Zwischengänge zu haben sind; so kamen wir für 29 Mark zu einem saftigen Stück Loup de Mer mit warmen Austern und einem Kirschtomaten-Koriander-Sud, der uns in jedem Detail überzeugte. Auch die im Stück gebratene Gänseleber zu Balsamico-Erdbeeren (Saison!) gefiel durch exaktes Handwerk und harmonische Würze.

Taubenbrust auf Morchelrisotto - es ist ein wenig riskant, an diesem Ort ausgerechnet an René Conrad, den Risotto-Spezialisten, zu erinnern. Dies hier schien aus einer Art Vollkornreis zu sein und ließ uns etwas ratlos in der Karte nachschlagen, was wir denn da auf dem Teller hatten. Sehr gelungene Taube drinnen, draußen mit bleicher Pelle. Perfekt das saftig-aromatische Hirschkotelett, von noch ganz zart knackigen dicken Bohnen und gescheibelten La-Ratte-Kartoffeln ungewöhnlich, aber durchaus angenehm begleitet. Bem Dessert kamen wir wieder nicht ganz auf unsere Kosten, vielleicht, weil nichts unseren kulinarischen Frühlingsgefühlen entsprach. Mokkaparfait mit Baumkuchen, dazu Quittenwürfel - ganz gut, aber das hätte uns im Winter eher zugesagt.

Die jungen Damen im Service machen ihre Sache gut, könnten aber beim Wein noch etwas offensiver auftreten. Die Karte ist, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, stark zusammengestrichen worden und bietet ein Angebot mit guten Namen aus den vertrauten Ländern, das vom Umfang an der Untergrenze der Kategorie liegt. Wir zogen einen Joker mit dem Grauburgunder von Johner in der wegen ihrer Restsüße viel diskutierten 98er-Variante. Zu diesem Essen passte er hervorragend. Offen im Ausschank: Exzellenter Santenay Clos de Malte, 0,1 l für 15 Mark. Insgesamt ergab das ein Bild, das trotz kleiner Einwände einen Besuch empfehlenswert erscheinen lässt. Ein vierter Koch steht nicht zur Debatte.

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