zum Hauptinhalt

Berlin: Von wegen behindert

Am Freitag spielt die Sind4+3Band. Zwei Mitglieder haben das Down-Syndrom

Das Publikum auf der Tanzfläche ist erstaunlich gemischt für einen Konzertabend in Prenzlauer Berg: Zwischen den üblichen jungen Szenegängern wippen ältere Damen in geblümten Blusen. Die Band auf der Bühne ist ebenso ungewöhnlich. Alleine der Name: Sind4+3Band. Die koboldhafte Sängerin lacht und stöhnt, zwischendurch gurgelt sie mit Wasser zum Takt der sphärischen Elektromusik. Und dann diese Songtexte: Gerade geht es um einen einäugigen Karpfen, der durch die Gegend rennt und rennt, „dass ihn niemand behexen kann - bis zu der Stelle, die sie den wüsten Plan nennen.“

Eine Band wie diese gibt es in Berlin kein zweites Mal. Das liegt auch an den Mitgliedern Moritz Höhne, 32, und René Schappach, 43, die besonderen Einfluss auf die Entwicklung der Musik und der Texte nehmen. Die beiden leben mit dem Down-Syndrom, der angeborenen Chromosomen-Störung, auch bekannt als Trisomie 21. Höhne sitzt am Schlagzeug, Schappach bedient den Ribbon Controller, eine Art Mini-Mischpult. Sie tragen dunkle Sonnenbrillen.

Die Band gibt es seit mehr als einem Jahr. Das Theater Ramba Zamba, das seinen Sitz in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg hat und in seinem Ensemble mehrere Menschen mit Behinderung hat, suchte für ein neues Stück Musik, die zu den Themen des Theaterstücks passte. Es ging um Fragen wie diese: Wie hört sich Zeit an – und wie klingt ein Tränensee?

Zuerst waren sie zu viert, inzwischen sind Sängerin Michèle Stieber und zwei weitere Musiker zur Gruppe dazugestoßen. Daher auch der Name: Sind4+3Band. Logisch eigentlich. Die Besetzung in ihrer jetzigen Form ist ein „Deluxe-Wurf“, sagt Gitarrist Mikel Ulfik. Regelmäßig haben sie Auftritte in Berlin – das nächste Mal diesen Freitag und Sonnabend im Ramba Zamba. Das Theater gibt es seit Ende der achtziger Jahre, gegründet wurde es von Moritz Höhnes Eltern. Die hatten erkannt, dass sich ihr Sohn zwar nicht besonders gut artikulieren konnte, aber eine besondere Gabe hatte: sich darzustellen.

Bei der Sind4+3Band geht es nicht um Sozialpädagogik oder Mitleid, sondern um Kunst, um Inspiration, um Freiheit. Und die nehmen sich die Künstler ebenso wie die Zuschauer heraus: Wenn die Band auftritt, wird ohne Hemmungen getanzt, Zwischenrufe sind nichts Ungewöhnliches. In den Songs geht es nicht etwa um Krankheit oder Isolation. Sondern um Themen wie das Finden von Heimat oder das Erwachsenwerden. Fragen also, die jeden betreffen. Auch Liebeslieder hat die Band im Repertoire. Eines singt René Schappach, dafür tritt er hinter seinem Mischpult hervor und stimmt ein Lied an, das er normalerweise für seine Freundin Rita singt. Die dann „ganz rot im Gesicht“ wird, wie er sagt. Danach wird die Musik wieder schneller, und René Schappach feuert seine Fans an: „Come on, come on, come on!“

Marie Preuss

Die Konzerte beginnen am Freitag und Sonnabend jeweils um 19 Uhr im Theater RambaZamba in der Schönhauser Allee 36. www.theater-rambazamba.org

Marie Preuss

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false