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Glücksbringer. Ritter Keule, das Maskottchen des 1. FC Union Berlin, ist bei jedem Spiel im Stadion An der Alten Försterei dabei.

© picture alliance/dpa

Vor dem letzten Spieltag der Saison: Ist der 1. FC Union Berlin bereit für den Aufstieg?

Hoch hinaus: Am Sonntag könnte der 1. FC Union aufsteigen. Aber sind der Verein, die Fans und der Bezirk dafür überhaupt gewappnet?

Jetzt zählt es: Wenn an diesem Sonntag im Stadion des VfL Bochum gegen 17.15 Uhr der Schlusspfiff des letzten Zweitliga-Spiels des 1. FC Union Berlin in dieser Saison ertönt, sind wir alle schlauer. Haben die Köpenicker gewonnen und die Konkurrenz aus Paderborn nicht, steigt Union auf und beschert Berlin den zweiten Bundesligisten neben Hertha BSC. Reicht es nicht für den direkten Aufstieg, müssen die Unioner in der Relegation gegen den VfB Stuttgart ran. So oder so waren die Unioner dem Aufstieg in die 1. Liga noch nie so nahe. Wir fragen: Sind der Verein und das Umfeld tatsächlich bereit für den Aufstieg?

Die Lizenz

Im April hat der 1. FC Union auch die Lizenz für die Bundesliga erhalten, und das ohne vereinsspezifische Auflagen. Zwar erfüllt der Klub einzelne Anforderungen der Deutschen Fußball-Liga (DFL) für die Bundesliga nicht, etwa die Mindestanzahl von 8000 Sitzplätzen im Stadion (aktuell: 3617), würde dafür jedoch erst mal eine Ausnahmegenehmigung erhalten.

Das Stadion

Die Lizensierungskriterien der DFL sind auch ein Grund für die Pläne des Klubs, das Stadion An der Alten Försterei erneut auszubauen. Da Präsident Dirk Zingler schon seit Jahren vom mittelfristigen Ziel Bundesliga spricht und der Stehplatzcharakter des Stadions erhalten bleiben soll, ist dies zwingend notwendig. Die Pläne stellte der Klub der Öffentlichkeit erstmals im Juni 2017 vor. Während die Haupttribüne unverändert bleiben soll, würden die drei Stehplatztribünen durch einen Oberrang ergänzt. Die Kapazität soll nach dem Ausbau von 20 012 auf 36 978 Zuschauer steigen. Darunter wären etwas mehr als die von der DFL geforderten 8000 Sitzplätze.

Die Kosten wurden inklusive des ebenfalls geplanten neuen Klubhauses auf 38 Millionen Euro veranschlagt und sollen durch Eigenmittel sowie Sponsoren getragen werden. Eigentlich sollte der Umbau bereits im Sommer 2020, pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum des Stadions, abgeschlossen sein. Das ist mittlerweile ausgeschlossen. Im Falle des Aufstieges hätte sich der Baubeginn aber ohnehin verschoben, denn dass Union die historische erste Bundesliga-Saison auf einer Baustelle spielt, ist praktisch ausgeschlossen.

Die Fans

In diesem Jahr hat die Mitgliederzahl des Vereins erstmals die Stadionkapazität überschritten – Ende März hatte Union 22 180 Mitglieder. Doch nicht nur quantitativ ist der Klub hier gut aufgestellt. Die Stimmung im Stadion ist jetzt schon bundesligareif und Unions Fanszene hat sich auch außerhalb der Stadt viel Respekt verschafft. Etwa 8000 Berliner reisten im vergangenen Oktober zum Pokalspiel nach Dortmund, 6000 einen Monat später an einem Montagabend nach Hamburg.

Stammte der Anhang bis vor einigen Jahren noch fast ausschließlich aus Köpenick und Umgebung, ist Union mittlerweile auch Sehnsuchtsort vieler Zugezogener aus dem In- und Ausland. Besonders Briten schätzen die Atmosphäre an der Alten Försterei. Spannend: Während unter den historisch nicht gerade erfolgsverwöhnten Fans lange Skepsis gegenüber dem möglichen Aufstieg in die höchste Spielklasse herrschte, ist diese zuletzt einer von der großen Mehrheit getragenen Euphorie gewichen.

Besangen sie im März 2017 die Festigung des zum Aufstieg berechtigenden zweiten Tabellenplatzes – wenn auch augenzwinkernd – kollektiv mit den Worten „So ’ne Scheiße, wir steigen auf“, feiern selbst die Mitglieder der aktiven Fanszene in den vergangenen Wochen ausgiebig die zum Greifen nahe 1. Liga. Die Skepsis gegenüber der mit dem Aufstieg einhergehenden Kommerzialisierung ist im Hinterkopf vieler Union-Fans zwar weiter vorhanden. Die durch die eigenen Reihen schwappende Begeisterung kann sie aber immer weniger dämpfen.

Die Finanzen

Union wächst seit Jahren nicht nur bei den Mitgliedern, sondern auch finanziell. In der Saison 2017/18 nahm der Klub mit 44 Millionen Euro so viel Geld ein wie nie. In der Saison davor waren es noch 38,5 Millionen Euro gewesen. Durch die steigenden Einnahmen konnte Union die Verbindlichkeiten auf 2,8 Millionen Euro reduzieren. Dazu kommen 8,7 Millionen Euro, die Union dem Unternehmer Michael Kölmel schuldet.

Dieser Betrag ist allerdings mit einem sogenannten Rangrücktrittrecht versehen und muss in näherer Zukunft nicht zurückerstattet werden. Der Etat der Profimannschaft wurde in den vergangenen Jahren kontinuierlich erhöht und liegt in der aktuellen Saison bei mehr als 16 Millionen Euro. Für die Bundesliga müsste der Klub hier massiv aufstocken, selbst kleinere Klubs wie Augsburg, Düsseldorf oder Freiburg geben knapp doppelt so viel für ihre Profimannschaft aus.

Der Sprung in die Bundesliga würde für Union aber natürlich auch auf der Einnahmenseite deutliche Veränderungen bedeuten. Gerade die Fernsehgelder steigen massiv im Vergleich zur Zweiten Liga. Dazu kommt eine größere Attraktivität für Sponsoren. Da der Vertrag mit dem Hauptsponsor Layenberger im Sommer ausläuft und Union noch keinen Nachfolger verkündet hat, könnte sich die Verhandlungsposition des Vereins durch den Aufstieg noch mal verbessern. Dass Union mittlerweile auch über Berlin hinaus als Marke wahrgenommen wird, zeigt auch der bereits verkündete Einstieg von Adidas als Ausrüster anstelle des italienischen Sportartikelherstellers Macron zur Saison 2020/21.

Der Verkehr

Vor jedem Heimspiel warnen Bezirk und Verkehrszentrale davor, mit dem Auto anzureisen. Natürlich gibt es nur für einen Bruchteil der Fans Parkplätze, und die Straßen sind Stunden vorher schon verstopft. Das Problem bei Union ist, anders als bei Hertha, dass das Stadion extrem schlecht ans Nahverkehrssystem angebunden ist. Die Fans müssen sich in vollkommen überfüllte Trams und S-Bahnen zwängen und an Haltestellen aussteigen, die für Großveranstaltungen nicht ausgelegt sind. Anschließend queren sie Zubringerstraßen und blockieren die nachfolgenden Trams und den Autoverkehr.

Dieses Problem ist seit Jahren bekannt und wird auch bis zur geplanten Stadionerweiterung nicht behoben sein. Diskutiert werden ein neues Parkhaus in Stadionnähe, eine Wendeschleife für den Tramverkehr und ein weiterer Zugang zum S-Bahnhof Köpenick in Richtung Stadion. Fest geplant ist eine neue Straße, die Ost-West-Trasse, die zwischen Wuhlheide und dem Stadion verlaufen soll, doch das Vorhaben wurde immer wieder zurückgestellt.

Der Verein hält die Verkehrsprobleme für beherrschbar, schließlich sind die Fans das Chaos an Spieltagen gewohnt. Doch die Verkehrsplaner des Senats sind mit einem vom Verein in Auftrag gegebenen Gutachten nicht zufrieden. „Die notwendigen verkehrlichen Maßnahmen befinden sich noch immer in der Prüfung und Abstimmung mit den Beteiligten“, erklärte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf Anfrage. Deshalb verzögert sich auch der Bebauungsplan, die rechtliche Grundlage für die Stadionerweiterung. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist noch nicht voraussehbar, wann der Bebauungsplan festgesetzt werden kann.“ Rainer Hölmer, Stadtrat für Bauen und Verkehr in Treptow-Köpenick, berichtete dagegen von konstruktiven Gesprächen. Demnächst könnten „mehrere belastbare Lösungsvarianten für die verkehrliche Erschließung“ vorliegen.

Die Sicherheitslage

Für die Polizei ist nicht die Liga interessant, sondern der Gegner. Soll heißen: Es wird eher ruhiger, denn in der ersten Bundesliga sind keine Ostmannschaften, mit denen Union-Hools alte Feindschaften aus DDR-Zeiten pflegen. RB Leipzig als Millionärs-Neugründung ist zwar bei Fans im ganzen Land unbeliebt, aber eben keine alte DDR. Brisante Partien waren in der Vergangenheit die gegen Dynamo Dresden oder, zuletzt vor wenigen Tagen, gegen Magdeburg.

Wenn Dresden in den vergangenen Jahren nach Köpenick kam, waren 1000 bis 2000 Beamte im Einsatz, 2008 hatte der damalige Innensenator Ehrhart Körting im Vorfeld mit einem Verbot des (traditionellen) Hochrisikospiels gedroht. Vor einigen Jahren bot die Polizei fast 1000 Beamte für die 4. Liga auf – als die zweite Mannschaft von Union gegen BFC Dynamo spielte. Bei Erstligaspielen von Hertha reichen oft wenige hundert Beamte zur Verkehrslenkung.

Der Bezirk

Köpenick hat zwei Markenzeichen, die Nicht-Köpenickern auf Anhieb einfallen: der Hauptmann und Union Berlin. Berlin? Dummerweise heißt es nicht Union Köpenick, analog zu St. Pauli oder Schalke. Trotzdem glaubt Bezirksbürgermeister Oliver Igel, dass ein Aufstieg des Vereins „einen Quantensprung in der Bekanntheit“ auslösen würde. Das Stadion in der Alten Försterei ist schon jetzt gut gebucht für Firmenveranstaltungen, Messen, Konzerte oder private Feiern. Igel führt am 23. Mai die Länderfinanzminister zum Abendempfang ins Stadion. Zum Aufstieg hat er mit dem Verein schon ein Festprogramm eingetütet, verraten wird noch nichts, „das bringt Unglück“.

Der Stadtteil selbst wirkt bislang noch etwas verschlafen. Touristen aus dem Ausland verirren sich selten in die Altstadt, in der auch 30 Jahre nach der Wende immer noch Ruinen vor sich hinmodern und große Baulücken klaffen. Zum Après-Kick für Fans bieten sich allerdings diverse Parkanlagen mit schöner Uferlage an, auch das samstägliche Hauptmann-Schauspiel im Rathaushof könnte sich als spaßiges Happening etablieren. Über etwas mehr Trubel am Wochenende würden sich die Gastwirte an Spree und Dahme sicher freuen, allerdings müssten dann auch die Außenterrassen noch kräftig wachsen.

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