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Viererspitze: Das Grünen-Spitzenteam Bettina Jarasch, Ramona Pop, Antje Kapek und Daniel Wesener.

© Gregor Fischer/dpa

Vor der Abgeordnetenhauswahl: Was Berlins Grüne aus ihren Fehlern gelernt haben

Keine Höhenflüge mehr und keine Flügelkämpfe: Was die Berliner Grünen im Wahlkampf um das Abgeordnetenhaus anders machen wollen - und welche Gefahren ihnen drohen.

Von Sabine Beikler

Die Ohrfeige hatte gesessen. Nach der verpatzten Berlin-Wahl 2011 war der Ärger über Renate Künast so groß, dass die Berliner Grünen-Basis ihre Ex-Spitzenkandidatin 2012 bei der Wahl zum Parteirat im Landesverband im ersten Wahlgang zunächst brutal durchfallen ließen. „Ich glaube, ich habe verstanden“, sagte Künast damals, „das war eine Botschaft für Dinge, die im Wahlkampf falsch gelaufen sind.“

Was damals falsch lief, weiß auch die jetzige Spitzenkandidatin Ramona Pop. Sie reagiert zurückhaltend auf die aktuelle Umfrage mit guten Werten für die Partei. „Wir freuen uns, dass die Berliner den Wunsch haben, dass die Grünen Verantwortung in der nächsten Regierung übernehmen wollen.“ Aber es seien noch vier Monate vor der Wahl. Man werde „um jede Stimme“ kämpfen.

Mit 20 Prozent sind die Grünen zurzeit zweitstärkste Kraft hinter der SPD (26 Prozent) und vor der CDU (18 Prozent). Das seien „Momentaufnahmen“, hört man aus der Grünen-Parteispitze. Mehr auch nicht.

Von Höhenflügen weit entfernt

Von Höhenflügen sind die Grünen weit entfernt: Sie erinnern sich nur ungern daran, dass der Höhenflug ihrer früheren Spitzenkandidatin Künast bereits zu dem Zeitpunkt zu Ende war, als sie zur Bürgermeisterkandidatin ausgerufen wurde. Mit Äußerungen über Tempo 30, die Zukunft der Gymnasien und einen auf Provinzniveau zurechtgestutzten Großflughafen irritierte sie nicht nur die eigene Partei, sondern auch die Wähler. Ihre persönlichen Umfragewerte sanken von kühnen 43 Prozent und gerieten in Talfahrt.

Fünf Jahre später treten die Grünen weder mit einer Spitzenkandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin an noch mit einer einzigen Spitzenkandidatin. Sie gehen mit dem Vierer-Team Ramona Pop, Antje Kapek, Bettina Jarasch und Daniel Wesener in den Wahlkampf. Sie begründen dieses Experiment mit „Teamgeist“, „Alternative zum üblichen Führungsstil“ und einer anderen politischen Kultur.

Das sind einleuchtende Begründungen, aber nur die halbe Wahrheit. Zu siegessicher zogen die Grünen 2011 mit dem Motto „Eine für alle“ in den Wahlkampf. Das Team um Künast und sie selbst waren beratungsresistent und koppelten „ihren“ Wahlkampf vom Wahlkampf ihrer Parteifreunde ab. Die Parteibasis war frustriert.

Nach dem gescheiterten Versuch einer rot-grünen Koalition folgte in der Fraktion ein Drama um Posten und Macht zwischen dem linken Flügel und den Reformern. Aus dem Slogan „Eine für alle“ wurde die Kampfansage „Jeder gegen jeden“. Sogar Mediatoren mussten in der Fraktion vermitteln. Es dauerte ein gutes Jahr, bis die Fraktion wieder arbeitsfähig war.

Dieser Selbstzerfleischungsprozess ist bei den Grünen noch sehr präsent, die unsolidarische Art und Weise, wie damals Konflikte ausgetragen wurden, sitzt vielen in den Knochen. „Das wollen wir nie mehr erleben“, sagen Reformer und Parteilinke. Deshalb hieß es damals schon: Wir treten nicht mehr mit einer einzigen Kandidatin an - und schon gar nicht als Konkurrentin zum Regierenden. Seitdem bemüht man sich um Zusammenarbeit, damit die Parteiflügel im Gleichgewicht gehalten werden.

Geschickt sind im Viererteam zwei Linke und zwei Realos eingebunden: Landeschef Wesener und Fraktionschefin Kapek aus dem linken Friedrichshain-Kreuzberger Kreisverband; Landeschefin Jarasch aus Pankow und Fraktionschefin Pop aus Mitte gehören dem Realo-Reformerflügel an. Ein Rumoren in den Flügeln ist seit der Kandidatenkür ausgeblieben.

Für Grünen-Wähler ist soziale Gerechtigkeit besonders wichtig.

Ramona Pop auf Landeslistenplatz eins ist formal die Spitzenkandidatin. Sie wird im Wahlkampf stärker eingebunden. Das Spitzenquartett wird sich thematisch aufteilen. Kapek wird sich um die Themen Bau, Stadtentwicklung und Mobilität kümmern, Jarasch um Bildung, Soziales. Daniel Wesener soll sich bei Queerpolitik, Mieten- und Wohnungsbaupolitik äußern. Ramona Pop wird sich zu Haushalt, Finanzen und Soziales positionieren.

In Haushalts-und Finanzpolitik kennt sich Pop aus. Und sie hat sich als Abgeordnete auch mit Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik beschäftigt. In der letzten Forsa-Umfrage glauben ihr die Wähler - vor den Spitzenkandidaten Michael Müller (SPD) und Frank Henkel (CDU) – am ehesten, dass sie auf der Seite der „kleinen Leute“ steht. Das ist wichtig für die Wahlkampfstrategie. Für die Grünen-Wähler ist soziale Gerechtigkeit besonders wichtig. Der Bundesvorstand führte dazu vor drei Jahren eine Umfrage durch: 68 Prozent der Grünen-Wähler fordern Verteilungsgerechtigkeit, zwölf Prozent mehr Chancengerechtigkeit.

Pop, die seit 2001 ins Abgeordnetenhaus einzog, hat auch etwas, das die Wähler der früheren Spitzenkandidatin Künast nicht abgenommen haben. Pop hat das „Berlin-Gen“, das sich die Wähler von einem Regierenden Bürgermeister erwarten. Künast hatte 2011 erfahren müssen, wie schwierig es ist, nach mehr als zehn Jahren Bundespolitik in den Niederungen der Landespolitik Fuß zu fassen.

Die Ausgangsposition für die Grünen sind in diesem Wahlkampf günstig: Die Parteiflügel sind diszipliniert. Frühere Diskussionen der Basis, ob man überhaupt mitregieren solle, sind nicht zu hören. Die Gesamtpartei richtet sich nach Regierungsverantwortung aus. Auch das Wahlprogramm ist kein Mammutwerk wie vor fünf Jahren, sondern projektorientiert mit zehn Schwerpunkten, darunter lebenswertes Wohnen, die offene Gesellschaft und moderne Mobilität. Das spricht auch das eigene Wählermilieu an, das zweigeteilt ist: das linke Bürgertum im Kiez, das Wert auf soziale Gerechtigkeit legt und durchaus „rebellisch“ sein kann wie die Kreuzberger Grünen. Und das neue Bildungsbürgertum, gut situierte Berliner, die es sich leisten können, aktiv etwas für den sozialen Interessenausgleich beizutragen. Als Großstadtpartei in der linken Mitte gehen die Grünen sowohl im sozial- als auch christdemokratischen Wählerlager auf Stimmenfang. Koalitionsaussagen wird es im Wahlkampf nicht geben, allenfalls eine erkennbare Präferenz für Rot-Grün.

Dass Müller kürzlich vor Schwarz-Grün warnte, findet Landeschef Wesener „reichlich lächerlich“, da es dafür wohl keine Mehrheit gebe. Dass sich in der SPD besorgte Stimmen mehren, die Grünen könnten noch die SPD mit derzeit 26 Prozent überholen, ruft bei vielen Grünen klammheimliche Freude hervor. Am sozialdemokratischen Gängelband möchten sie zwar nicht mehr geführt werden und pochen auf Eigenständigkeit. Sie sollten sich aber bewusst machen, dass ein Höhenflug drohen kann, der in einem Sturzflug endet.

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