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Berlin: Vor der Parade ein Spaziergang im Park

Von Tanja Buntrock Im Papptütchen stecken ein Plastikbecher Müsli mit Erdbeeren und ein Fläschchen O-Saft. Ralf Regitz, 38, verwaschene Jeans, schlendert mit dem „Caras-Gourmet-Coffee“-Tütchen zu seinem Hauseingang und entschuldigt sich, dass er zu spät ist.

Von Tanja Buntrock

Im Papptütchen stecken ein Plastikbecher Müsli mit Erdbeeren und ein Fläschchen O-Saft. Ralf Regitz, 38, verwaschene Jeans, schlendert mit dem „Caras-Gourmet-Coffee“-Tütchen zu seinem Hauseingang und entschuldigt sich, dass er zu spät ist. Gerade hatte er noch einen Termin bei der Polizei, letzte Absprachen vor der Love Parade. Da musste er diesmal persönlich hin, schließlich ist er der Chef von „Planetcom“, der Organisations-Firma. Und obwohl Ralf Regitz sagt, dass er die Aufgaben für dieses Riesenereignis gern auf viele Schultern verteilt, gibt es immer wieder Termine, bei denen der Chef persönlich erwünscht ist.

Oben, in der Küche seiner 75 Quadratmeter großen Altbauwohnung („gerade noch Mitte, fast schon Prenzlauer Berg“), in der die Dielen noch immer duften, als wären sie frisch abgezogen, obwohl er hier schon seit drei Jahren wohnt, in der Küche also löffelt er sein Müsli. „Nervennahrung“, murmelt er mit halbvollen Mund. Das ist sein Frühstück, das mache er meistens so: auf dem Weg zum Büro im Haus des Reisens am Alexanderplatz bei „Caras“ vorbeigehen und sich was einpacken lassen. Momentan hat er nun mal besonders viel zu tun. Morgens um acht klingelt der Wecker, dann verbringt er ein wenig Zeit in seinem großen Bad mit der riesigen Badewanne, in der man so schön entspannen könnte, wenn man denn mal die Zeit dazu hätte, die ersten dienstlichen Telefonate werden bereits am Küchentisch geführt. Gegen zehn sitzt Regitz dann in seinem Büro. Bereit für Absprachen, Problemlösungen, Anfragen. Normalerweise.

Dass Regitz nun bei einer Tasse Kaffee in der Küche sitzt, um von sich zu erzählen, kommt nicht oft vor. „Als Privatmann bin ich doch eigentlich nicht von Interesse“, sagt er hastig. Und doch weiß er, dass er, einer der Urgesteine der Love Parade, deren Bilder am Sonnabend zum 14. Mal um die Welt gehen werden, sehr wohl interessant ist. „Naja, mittlerweile steht man in der Öffentlichkeit“, schickt er kauend hinterher.

Geboren ist er am Bodensee, gar nicht weit von da, wo vor wenigen Tagen die Flugzeugkatastrophe war. Den Dialekt, der dort gesprochen wird, den beherrscht er noch - spricht aber „normalerweise akzentfrei“. Aber wie so viele dachte er sich nach dem Abitur: „Raus, weg, neu.“ Also, ab nach Berlin, zu Beginn der 80er Jahre. Er klagt sich ins Architekturstudium an der Technischen Universität ein, studiert vier Semester, doch sein politisches Engagement als Kulturreferent in der Studentenvertretung lässt ihm nicht viel Zeit dazu. Irgendwann trifft er den heutigen „Tresor“-Betreiber Dimitri Hegemann an der Uni, organisiert mit ihm das „zerstörerische Musik“-Festival „Berlin Atonal“ in der Mensa und ist plötzlich drin im Organisieren. Der Rest ist halbwegs bekannt: Mit anderen betreibt er den ersten Technoclub in Berlin, das „Ufo“ in der Schlesischen Straße, in dem schon damals ein weitere Urvater der Love Parade, DJ „Dr. Motte“ , aufgelegt hat.

Die erste Parade, bei der ein paar Wagen den Kurfürstendamm mit krachenden Elektroklängen entlangtuckern, startet 1989. Schon vorher habe Regitz sich für elektronische Musik begeistern können, „Kraftwerk und so“. Es verwundert dabei ein wenig, dass sich in seinem Wohnzimmer nur etwa 50 CDs, keine Platten auf dem Dielenboden stapeln. „Musik höre ich am liebsten, wenn ich ausgehe“, kommentiert er den raren Musikbestand.

Einfach seien die ersten Paraden gewesen, hätten kaum Arbeit gemacht. Man brauchte zwei Funkgeräte, hat sich am Wittenbergplatz vor den paar Wagen aufgestellt, und dann lief die Demo von selbst. Und jetzt? Jetzt beschäftigt ihn die Parade das ganze Jahr. Und nicht nur die Berliner Massenparty. Als Berater laden ihn auch die Veranstalter anderer Länder ein. Auf seinem Küchentisch liegt noch ein bisschen mexikanisches Kleingeld herum, übrig geblieben von der Reise zur Love Parade in Mexico-Stadt. Der silberne Reisekoffer steht immer noch herum. Keine Zeit zum Wegräumen, lohnt sich auch kaum: Ende August geht’s zur nächsten Parade, nach Tel Aviv.

Nervös, nein, nervös sei er vor der 14. Love Parade nicht mehr. Mit der Zeit sei auch die Routine gekommen, obschon es immer wieder neue Herausforderungen gibt, Dinge, die sonst immer geklappt haben, plötzlich nicht laufen. Am Tag der Parade hat Regitz sein eigenes Ritual: Vielleicht mit dem Taxi zum Großen Stern und beim Catering frühstücken, ein wenig spazierengehen im Tiergarten. Vielleicht legt er sich auch wieder ein Stündchen auf die Wiese, zwischen die Raver, so wie er es letztes Jahr getan habe. Letzte Absprachen mit dem Team, dann geht er zu seinem Arbeitsplatz: Das ist der Produktionsbereich am Großen Stern. Dort renne er während die Parade läuft von A nach B, sagt er. Gibt Anweisungen, wenn Probleme auftauchen. Der größte Moment –Routine hin oder her –sei immer noch der, wenn er das erste Mal auf der Kolonnade steht und die wogende Masse sieht, die sich wie ein Teppich unter ihm erstreckt. Da sei man einfach kurz vorm Heulen sagt er mit leiserer Stimme.

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