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Berlin: Vor Gericht: Ein Auto-Schreck will ruhiger werden

Als Ingenieur arbeitete Bernhard S. einmal in großen Unternehmen.

Als Ingenieur arbeitete Bernhard S. einmal in großen Unternehmen. Doch das ist lange her. Das war vor seiner Erkrankung, die ihn zu einem Querulanten werden ließ. Mit den Ämtern streitet der 49-jährige Rentner seit Jahren um ein Pflegegeld. Und weil die nicht so wollten, wie er es verlangte, rächte er sich mit einem Milchdosenpiekser. In seiner Schöneberger Wohngegend zerstach er immer wieder Reifen. "Wenn die Behörden nicht fähig sind, Sozialleistungen zu zahlen, kann ich keinen Daimler auf der Straße dulden", sagte er gestern vor dem Landgericht.

Die Staatsanwaltschaft warf dem wegen einer Schizophrenie erwerbsunfähigen Mann Sachbeschädigung an 49 Fahrzeugen vor. Dabei soll er insgesamt 109 Reifen zerstochen haben. "Ich weiß nicht, ob es so viele waren", sagte S. den Richtern, "ich führe doch nicht Buch." Mal wirkte er müde, mal kämpferisch. "Wenn ich mein Pflegegeld nicht bekomme, dann muss ich im Namen des Volkes Reifen zerstechen." Diese Gewissheit sei ihm nach einem Traum gekommen. Da habe er am Himmel das Amtsgericht gesehen und darüber die Aufschrift "Daimler Benz". Das muss Ende 1998 gewesen sein. Danach ritzte der alleinlebende Mann mit seinem spitzen Küchengerät bis Februar 2000 vor allem Daimler-Reifen auf.

Bernhard S. hat zusammengerechnet, welche Summe ihm seit Mitte der achtziger Jahre angeblich vorenthalten wurde: 62 300 Mark. Von seinem Schicksal in der DDR, wo er nach einem gescheiterten Fluchtversuch in den Westen zu 15 Monaten Haft verurteilt worden war, und von seinem jetzt so tristen Leben sprach der Rentner im durchgeschwitzten grauen T-Shirt über dem runden Bauch. "Jetzt bin ich immer nur am Essen, Trinken, Rauchen, da ist die Rente schnell verbraucht." Auf 80 Zigaretten komme er am Tag. Aus Niederträchtigkeit habe der Finanzminister die Glimmstengel so teuer gemacht, schimpfte S. und bat um eine Raucherpause.

In seinem Streit um Hilflosenpflegegeld war Bernhard S. auch vor das Verwaltungsgericht gezogen, ohne Erfolg. Und er verschickte jede Menge Faxe, an die AOK oder die Polizei. Darin kündigte er an, dass er sich zum Zerstechen von Autoreifen gezwungen sehe, um seine Forderungen durchzusetzen. Bis Anfang vergangenen Jahres reagierte er sich tatsächlich an Daimler-Reifen ab. Einem Fahrer hinterließ er voller Hohn einen Zettel mit dem Spruch: "Geteiltes Leid ist halbes Leid." Manchmal sei das Pieksen wie ein "Vogelschießen" gewesen, sagte er vor Gericht. "Wenn ein Cabriolet auch noch im Kennzeichen besondere Zahlenfolgen wie 666 hatte, dann kam ich daran nicht vorbei."

Vor einem Jahr gab es für S. ein gutes Zeichen. Ihm wurde von der Krankenkasse ein Pflegegeld in Höhe von 400 Mark zugesprochen. "Jetzt muss ich das mit den Reifen nicht mehr machen", versprach er den Richtern. Doch die waren davon nicht überzeugt. Ein Gutachter hatte nicht ausgeschlossen, dass der wegen seiner psychischen Erkrankung schuldunfähige Mann weitere Taten begehen könnte. Die Richter ordneten schließlich die Unterbringung von S. in der Psychiatrie an, setzten sie aber zur Bewährung aus. Zudem muss er sich in eine ambulante Therapie begeben. "Es ist unerträglich, wenn völlig Unbeteiligte darunter leiden müssen, dass Sie ihre Ansprüche nicht durchsetzen können", gaben sie dem Mann mit in die zweijährige Bewährungszeit.

K. G.

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