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Vor Gericht: Prozess um neun tote Babys

Vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) hat der Prozess gegen die Mutter der neun toten Babys begonnen. Die Angeklagte muss sich wegen achtfachen Totschlags verantworten.

Frankfurt (Oder) - Ein beispielloser Fall in der deutschen Kriminalgeschichte wird am Donnerstagmorgen im Saal 007 des Landgerichts Frankfurt (Oder) aufgerufen: Die Mutter der neun toten Babys von Brieskow-Finkenheerd (Brandenburg) hat sich wegen achtfachen Totschlags zu verantworten. Die 40-Jährige wirkt äußerlich gefasst, als sie das Blitzlichtgewitter über sich ergehen lässt. Sie habe acht Neugeborene mit der Absicht zur Welt gebracht, sie gleich nach der Geburt zu töten, verliest Staatsanwältin Anette Bargenda die Anklage.

Die Frau soll die wimmernden Kleinen in Stoffstücke gewickelt und liegen gelassen haben, bis sie starben. Anschließend vergrub die Angeklagte die in Plastiktüten verpackten Leichen in Blumenkübeln. Den rund 70 Zuschauern und Medienvertretern im fast voll besetzten Saal lief bei dieser Schilderung wohl mehr als einmal ein Schauer über den Rücken.

«Es ist einfach unfassbar, ich bin völlig geschockt», sagt eine Frau, selbst vierfache Mutter. Schon am frühen Morgen hatte sie sich vor dem Eingang angestellt. Der Andrang zu dem spektakulären Verfahren ist enorm; alle müssen eine Sicherheitsschleuse passieren und sich ausweisen. Knapp ein dreiviertel Jahr ist es jetzt her, dass die verwesten Leichen der neun Babys - sieben Jungen und zwei Mädchen - auf dem elterlichen Grundstück der Angeklagten entdeckt wurden. Der Fund löste nicht nur in der 2690 Einwohner zählenden Gemeinde Brieskow-Finkenheerd, sondern in der gesamten Republik Entsetzen aus.

Im Prozess wolle seine Mandantin schweigen, sagt Anwalt Matthias Schöneburg. Aus ihrer richterlichen Vernehmung verliest der Vorsitzende der 2. Strafkammer, Matthias Fuchs, dann Sätze wie «Ich habe sie nicht vorsätzlich sterben lassen, habe sie einfach liegen lassen, habe mich um sie nicht gekümmert». Oder: «Wenn es geschrien hätte, hätte ich mich kümmern müssen.» Und: «Wenn ich nüchtern gewesen wäre, hätte ich alle Kinder behalten.»

Die 13fache Mutter sprach in der Vernehmung auch von den «blauen» Gesichtchen der Kinder. Nach ihren damaligen Aussagen will die Frau sich betrunken haben, als die Wehen einsetzten, um dann allein die Kinder zur Welt zu bringen - aus Angst, weil ihr damaliger Mann keine weiteren Kinder haben wollte.

Die adrett gekleidete und geschminkte Angeklagte meidet jeden Augenkontakt, als ihr Ex-Mann als erster Zeuge gehört werden soll. Der 43-Jährige verweigert jedoch die Aussage. «Es ist unvorstellbar, dass er die Schwangerschaften nicht bemerkt haben will und optische und seelische Veränderungen der Frau nicht wahrgenommen hat», meint Verteidiger Schöneburg mit Verweis auf frühere Aussagen des ehemaligen hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiters.

Schöneburgs Strategie für den zunächst bis Ende Mai terminierten Prozess scheint klar: «Es gilt die Unschuldsvermutung. Die Staatsanwaltschaft muss klare Beweise vorlegen.» So sei es noch keineswegs erwiesen, dass sieben der acht Neugeborenen, deren Tod zur Anklage gekommen ist, überhaupt lebend zur Welt kamen. Zu einem 1992 geborenen Baby habe die gelernte Zahnarzthelferin einmal bemerkt, dass sie es in Goslar zur Welt gebracht und in eine Decke gehüllt nach Hause gebracht habe, wo es dann tot gewesen sei.

Sollte die Angeklagte wegen Totschlags verurteilt werden, drohen ihr bis zu 15 Jahre Haft. Den Fall eines toten Babys aus dem Jahr 1988 hatte das Landgericht für verjährt erklärt. Unabhängig davon, wie sich der Prozess mit bislang rund 80 geladenen Zeugen und Sachverständigen entwickelt - das Grauen über diesen Fall wird wohl immer im Gedächtnis bleiben. Und nicht nur der junge Mann vor dem Gericht, der neun Grabkerzen entzündet hat, bekennt an diesem ersten Prozesstag: «Wir trauern um neun tote Babys.» (Von Imke Hendrich und Steffi Prutean, dpa)

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