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Ort der Neugierde. Blick vom Restaurant der Tate Modern auf die St. Paul’s Cathedral.

© Alessia Pierdomenico, rtr

Vorbild London: Freier Eintritt für jedes Berliner Museum!

Berlin debattiert über Museumsbauten und einem Umzug der Gemäldegalerie. Viel wichtiger wäre eine Kultur des freien Eintritts – wie sie in England unter Thatcher erkämpft wurde und heute selbstverständlich ist.

Wer von der Londoner Unibibliothek nach Covent Garden will und Schutz vor Regen sucht oder es nicht eilig hat, nimmt den Weg durchs Britische Museum. Am Nordeingang, wo meist wenig los ist, wird er von einem Wärter begrüßt, geht durch die Galerie „Leben und Sterben“ in den Great Court, umrundet den alten Reading Room und spaziert auf der anderen Seite wieder hinaus. Den Schirm muss er nicht abgeben. Und erst recht keinen Eintritt zahlen. Aber wer weiß, wohin die Neugierde den Flaneur treibt, wenn er ins älteste Museum der Welt eindringt. Er könnte gleich am Eingang in die Islamgalerie schauen oder durch die der koptischen Christenheit gewidmete Galerie das Café ansteuern, ein Weg, der an Scharen aufgeregter Schulkinder vorbeiführt, denn hier geht es zur beliebten Mumienabteilung.

Welcher Kontrast auf der Berliner Museumsinsel. Ist man nach den Transaktionen an der Kasse im sakralen Flüsterraum des Bode-Museums angekommen, kann man beim Gehen das Knatschen der eigenen Schuhe hören. Man wird zurückgepfiffen, denn es ist untersagt, mit dem Mantel überm Arm zwischen den Skulpturen zu wandeln. Schon fühlt man sich wie ein Eindringling und wünscht, dass es ein bisschen wie in London wäre, wo die Museen mit Leben, Neugier, Geschäftigkeit und Freude gefüllt sind.

13 britische Nationalmuseen, neun in London, laden neben unzähligen privaten Museen wie der Saatchi Galerie, den Universitätsmuseen in Oxford und Cambridge oder den Stadtmuseen der viktorianischen Industriestädte wie Manchester und Liverpool zum kostenlosen Museumsbesuch ein – fast alle ohne den aus dem deutschen Museumsleben nicht wegzudenkenden Schließtag. Die Folge: Londoner Museen spielen im Leben der Bevölkerung eine große Rolle. Es gehen nicht nur mehr Menschen ins Museum, sie gehen öfter, gelassener, entspannter, auch nur für 20 oder 30 Minuten. „Sogar die Frauen sind eleganter“, staunt der neue deutsche Direktor des Victoria-&-Albert-Museums (V&A), Martin Roth. Beim Espresso sitzt er an einem sonnigen Mittag im Innenhof seines Museums und lässt den Blick über die Menge schweifen, die sich da tummelt, und kann das Glück kaum fassen, Direktor des supercoolen Museums zu sein, das einmal mit dem Spruch warb: „Ein La Café mit nettem Museum dabei“.

Scheitern im Kampf gegen Schließtage

„Was habe ich in Dresden gekämpft, um Barrieren niedriger zu machen. Deutsche Museen fürchten um Intellektualität und Wissenschaftlichkeit, haben Angst, ihre Identität zu verlieren.“ Roth verdreifachte in Dresden die Besucherzahl, im Kampf gegen die Schließtage scheiterte er. Und doch, verrät er, „beneiden die deutschen Museen die englischen um ihren Stil und ihre Eleganz“. Kein Wunder. Der freie Eintritt ist die Grundlage einer Museumskultur, die für Londons Rolle als globale Hauptstadt, Kunstzentrum und beliebtestes Touristenziel der Welt eine zentrale Rolle spielt. Entscheidend ist aber, was diese Museen zu Londons zivilisierter, gelassener Urbanität beisteuern. Im ältesten Museumsrestaurant der Welt, dem „Morris, Gamble and Poynter Rooms“ im V&A, wo seit 1867 bewirtet wird, treffen sich die Damen zum Tee und besuchen anschließend die Renaissancegalerie. Donnerstags bei der Spätöffnung erschallt Discomusik, und man darf mit Sektglas neben Giambolognas Samson stehen. In der Nationalgalerie schauen Beamte aus Whitehall in der Mittagspause schnell bei ihrem Lieblingsbild vorbei. Und wo sich besser zu einem Rendezvous treffen als in der pulsierenden Tate Modern? Wie viele Liebesgeschichten wurden nicht in diesen Museen geknüpft.

Museen, zugänglich wie nie, sind Teil jener öffentlichen Zwischenzone zwischen Arbeitsplatz und Privatwohnung geworden, in denen die Großstadt existiert. Wie auf dem Corso in südlichen Ländern lautet das Motto „Sehen und gesehen werden“. Museen sind Teil des öffentlichen Raums, wie Kaufhäuser, Parks, öffentliche Plätze, aber sie erweitern ihn und das öffentliche Bewusstsein durch ihre Schätze, ihre Geschichten, ihren Glanz, ihre Feier der Humanität. Wie das Kaufhaus im 19. Jahrhundert den Konsum demokratisierte, so tut es das moderne Museum für das Wissen, die Bildung und die Schönheit. Für die Briten ist das heute so selbstverständlich, dass auch bei größter Haushaltsknappheit nicht darüber diskutiert wird.

2011 waren sechs der 20 meistbesuchten Museen der Welt laut der Fachzeitschrift „Art Newspaper“ in London (siehe Kasten). Deutschlands meistbesuchtes Museum, das Residenzschloss Dresden, stand auf Platz 29, Berlins Neues Museum auf Platz 38 mit 1,14 Millionen Besuchern. Das Pergamonmuseum, das sich als Weltmuseum versteht, hat mit etwas über einer Million weniger Besucher als das Ashmolean in der 154 000-Einwohner-Stadt Oxford. Freier Eintritt zieht nicht, wie mancher deutsche Museumsdirektor heimlich fürchten mag, pöbelnde Massen in die Museen, die dann den Eliten auf die Zehen treten. Vielmehr werden Museen so erst ein Teil der „civil society“. Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, weist zwar darauf hin, dass ein Drittel der Besucher in Berlin bereits freien Eintritt genießt, darunter alle bis 18, und dass die Schwelle so niedrig wie möglich gehalten werde. Zugleich sagt er aber: „Wir leben von Steuergeldern und nehmen deshalb unsere Verpflichtung ernst, durch eigene Einnahmen etwas zur Finanzierung beizutragen.“ In England wird das gleiche Argument umgekehrt benutzt.

Die Kunst der Museen gehört dem Volk

Im Kampf gegen die Eintrittspreise unter Margaret Thatcher war immer der Hinweis am überzeugendsten, dass es absurd sei, Geld für die Besichtigung von Werken zu verlangen, die den Besuchern ja ohnehin gehören. Die Kunst der Museen gehört dem Volk, sie wird mit seinen Steuergeldern erworben, gepflegt und ausgestellt, oft sind es Geschenke, die der Nation und nicht der Regierungsbürokratie und dem Staat gemacht werden.

Briten machen, anders als die Deutschen, einen klaren Unterschied zwischen Nation und Staat, Volk und Regierungsapparat. Entsprechend sind britische Museen der Gesellschaft, deutsche aber der Ministerialbürokratie Rechenschaft schuldig. Martin Roth predigt unentwegt die Dreiecksbalance des englischen Systems und bedauert, dass das angelsächsische „arm’s length“-Prinzip sogar in deutschen Museumskreisen kaum bekannt ist.

Bei den Angelsachsen ist zwischen Regierung – als wichtigstem Geldgeber – und Museumsleitung ein unabhängiger Treuhänderrat eingeschaltet. Der Minister ernennt die Treuhänder auf Vorschlag, bleibt selbst aber die entschiedene „Armlänge“ entfernt, anders als in Deutschland, wo Kulturstaatsminister Bernd Neumann Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist.

Der Direktor der Stuttgarter Nationalgalerie, Sean Rainbird, zog im Frühjahr nach sechs Jahren kritische Bilanz: Das „Modell mit der hierarchischen Beziehung von vorgesetzter Behörde und nachgeordneter Einrichtung funktioniert nicht“. In Stuttgart gewann er drei Sponsoren, die der Staatsgalerie für ein halbes Jahr freien Eintritt finanzierten – die Besucherzahlen stiegen um 250 Prozent. Aber die Zeit war zu kurz, eine neue Museumskultur zu etablieren, Unterstützung von oben fehlte.

Für Roth sind die Vorzüge freien Eintritts unabweisbar. „Bildung, Partizipation, Integration“ sieht er als Kernaufträge der Museen, die vom freien Eintritt befördert werden. Wie lange wird es dauern, bis türkischstämmige Bürger Dauergäste auf der Museumsinsel werden? „Bei uns ist das schon lange der Fall“, sagt Roth. Der Museumsfachmann hält freien Eintritt in den großen deutschen Museen für durchaus machbar. Eine zweijährige Testphase wäre leicht durchzuführen, man müsste die Museen nur gegen die Finanzrisiken absichern. „Aber die Initiative müsste vom Minister kommen.“ Warum eigentlich? Vielleicht sollten die Berliner nicht nur über die Museumsprojekte, Architekturpläne und Rochaden diskutieren, sondern von ihren Regierenden mehr Museum in ihrem Leben und mehr Leben in ihren Museen fordern.

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