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Berlin: Vorbild Palastruine – mit Kunst und Clubs gegen Leerstand Gute Zeiten für Zwischennutzer: Senat will noch mehr Flächen an Vereine und Initiativen vergeben

Vor dem Fall der Mauer gehörten sie im Westteil Berlins zum Stadtbild: die Zwischennutzer. Sie wohnten in Wagenburgen am Potsdamer Platz oder nutzten die Fläche, auf der heute unter anderem die CDU-Bundeszentrale steht, als Festplatz.

Vor dem Fall der Mauer gehörten sie im Westteil Berlins zum Stadtbild: die Zwischennutzer. Sie wohnten in Wagenburgen am Potsdamer Platz oder nutzten die Fläche, auf der heute unter anderem die CDU-Bundeszentrale steht, als Festplatz. Jetzt werden sie für die Stadtentwicklung wieder interessant. Senatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) will die Rahmenbedingungen verbessern: „Die Stadtplanung muss davon wegkommen, eine Nutzung auf Dauer festzuschreiben“, sagt sie, „ich will die Zwischennutzung vom Image der Verlegenheitslösung befreien.“

Zwischennutzung ist populär. Künstler bespielen die Ruine des Palasts der Republik, am Gleisdreieck entsteht eine Driving Range, und solange sich kein Investor für die Militärbrachen in Lichterfelde findet, nutzt ein Verein die Flächen als Pferdekoppel. Junge-Reyers Verwaltung hat das Thema für sich entdeckt, weil Berlin wie keine zweite Stadt über brachliegende Flächen verfügt. So bringen es die über 1000 innerstädtischen Baulücken zusammen auf rund 150 Hektar. Die Stadtentwicklungssenatorin will auch über die Zukunft von nicht mehr benötigten Friedhöfen reden. „Mittelfristig werden 143 Hektar frei, langfristig 700 Hektar.“ Das ist mehr als doppelt so viel wie beim Flughafen Tempelhof. Und auch der wird nach seiner geplanten Schließung mit seinen rund 300 Hektar zur Brache.

Vor allem Vereine und ehrenamtliche Nutzer sind Pioniere. 32 Prozent der zwischengenutzten Fläche sind an sie vergeben. 62 Prozent der Zwischennutzer bekommen für ihre Ideen eine öffentliche Förderung, 63 Prozent zahlen keine oder nur symbolische Pacht. Trotzdem ist die Zwischennutzung auch für Immobilienentwickler interessant. Zum Beispiel für den Projektentwickler Vivico, der ehemalige Bahnflächen vermarktet. „Wenn wir Brachen am Lehrter Bahnhof wie im Sommer 2004 an ein Sandburgenfestival vergeben, ist das zwar keine nennenswerte Einkommensquelle“, sagt Sprecher Markus Diekow, „aber die Fläche kommt ins Bewusstsein der Bevölkerung zurück.“ Es gibt auch Zwischennutzungen, die sich für die Vivico auszahlen. Etwa beim Szene-Club „Cookies“, der jahrelang Mieter in einem ehemaligen Reichsbahn-Bau Unter den Linden war. Für das Haus fand sich kein Dauer-Mieter, „und den Club-Betreibern war klar, dass sie irgendwann rausmussten“, erklärt Diekow. Jetzt gibt es einen Mieter, das Haus wird umgebaut, das „Cookies“ ist draußen.

Dass viele Projektentwickler ihre hochfliegenden Pläne bei der Marktlage nicht umsetzen können, ist für Franz Schulz, Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg, der wichtigste Grund, einer Zwischennutzung zuzustimmen. „Die Eigentümer wollen ihre Häuser nicht leer stehen lassen“, sagt Schulz. Er nennt das Beispiel der Hallen an der Revaler Straße. Der Markt gab eine Entwicklung mit Apartments und Geschäften nicht her. Es zogen Nutzer mit befristeten Verträgen für die unsanierten Hallen ein: Händler, Handwerker, Inline- Skater. Schulz: „Vielleicht sind die Mieter so erfolgreich, dass wir die Hallen in diese Richtung entwickeln.“ Zwischennutzer als Pioniere für neue Konzepte: „Wer Zwischennutzer aus dem Auge verliert, ignoriert das aktuellste Thema der Stadtentwicklung“, sagt Schulz.

Die Angst der Stadtplaner, Zwischennutzer nicht mehr los zu werden, ist für Junge-Reyer unbegründet. Eine Anspielung ist das, zum Beispiel auf alternative Wohnformen wie die Wagenburg, die am Potsdamer Platz weichen musste. „Heute haben wir viel mehr brachliegende Flächen als früher“, so Junge-Reyer, es seien genügend Ausweichstandorte vorhanden. „Deshalb zögere ich nicht, eine Zwischennutzung auch wieder zu beenden.“ Zum Beispiel im Palast der Republik: „Im Herbst ist definitiv Schluss.“

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