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Berlin: Vorbilder statt Führer

Hardy Krüger trifft die Mütter junger Rechtsradikaler – und erinnert sich an seine eigene Jugend in der Nazizeit

Hardy Krüger ist gekommen, um zu lernen. Der Schauspieler will sich im Kampf gegen Rechts engagieren. Die Elterninitiative des Aussteigerprogramms „Exit“ wäre so ein Projekt, das der 75-jährige Krüger unterstützen könnte. Im Berliner „Zentrum für demokratische Kultur“ in der Chausseestraße hat er jetzt Mütter von rechtsradikalen Jugendlichen getroffen. Die drei Frauen aus Berlin, Hessen und Bayern sind gekommen, um zu reden. „Wenn man seine Sorgen mal aussprechen kann“, sagt eine der Frauen, „ist man ein Gramm los von der Last.“ Vor ihrer Abreise aus einem kleinen Ort bei Marburg hat sie erstmals mit einer Nachbarin über ihre Probleme mit ihrem 17-jährigen Sohn gesprochen. Seit einem knappen Jahr trägt der Junge Springerstiefel, eine Tarnjacke und kurze Haare – wie seine neuen Freunde.

Adolf Hitler? „Baute die Autobahnen und verschaffte den Deutschen Arbeit.“ Auschwitz? „Nicht so schlimm.“ Das sind die Themen, mit denen sich die Mutter von einem Tag auf den anderen auseinander setzen musste. Einige Monate lang sei ihr nicht klar gewesen, was sich da anbahnt. Von der Schule, der örtlichen Polizei fühlt sie sich völlig allein gelassen – wenn nicht die Mitarbeiter vom Exit-Beratungstelefon wären, mit denen sie manchmal telefoniert. Und die Hoffnung, eine Gesprächsgruppe mit anderen betroffenen Eltern aufzubauen. „Was, Ihr Sohn ist rechtsradikal!?“, habe die Nachbarin ausgerufen und ein angewidertes Gesicht gezogen. Die allein erziehende Mutter hat Angst, im ganzen Ort als „asozial“ abgestempelt zu sein, wenn sie aus Berlin zurückkommt. Wie die anderen Exit-Mütter möchte sie nicht ihren Namen nennen. „Die Scham, sich zu offenbaren“, sagt Nadja Abdel, eine Berliner Exit-Beraterin, „ist sehr groß.“

Hardy Krüger verurteilt die Mütter, deren Kinder Rechte wurden, nicht. Er hört zu, versucht zu verstehen, „was in den Familien, in der Schule und in der Gesellschaft falsch gelaufen ist“. Wie ein Junge Nazi wird, braucht ihm niemand zu erklären. Den Jungen Hardy aus Biesdorf bei Berlin schickten seine Eltern 1941 in die nationalsozialistische Eliteschule Ordensburg Sonthofen. Da war er 13 Jahre alt. Für ihn und seine Kameraden war „der Führer ein Held“ und waren „die Juden unser Unglück“. Das schreibt Krüger in einen Lebenserinnerungen „Wanderjahre“. Befreit hat sich der Ordensschüler von der Ideologie, als er 1943 für einen Ufa-Film in Babelsberg gecastet wurde. Nazigegner wie Hans Söhnker zeigten ihm verbotene Filme – und öffneten ihm die Augen für die Verbrechen im Namen des deutschen Volkes.

„Warum gelingt das heute nicht?“, fragt Krüger im „Zentrum für demokratische Kultur“. Ihre Kinder werden von den Anführern geschult, sagen die Mütter. Sie wissen auf alles eine Antwort. Die Frau aus Hessen hat eine Hitler-Biografie gelesen, um mit ihrem Sohn diskutieren zu können. „Das stimmt alles nicht“, habe ihr der Junge entgegengehalten. „Ich les’ ja grad’ ,Mein Kampf‘.“ Da sei sie in Beweisnot gewesen, sagt die Mutter. „Zeigen Sie ihm, wie dieses Land in Trümmern lag“, rät Hardy Krüger.

Die Berlinerin, die bei „Exit“ Hilfe sucht, hat ein anderes Problem. Ihre Tochter geriet vor drei Jahren in rechte Kreise – und verweigert seitdem jede politische Diskussion. Die heute 17-Jährige sei mit einem der Köpfe der Bewegung liiert, sagt die Mutter, einem älteren Mann. „Was fasziniert sie an den Rechten?“, fragt Hardy Krüger. Der 20-jährige Bruder des Mädchens glaubt, dass es „etwas Rebellisches“ sei, was seine Schwester bei den Glatzen mitmachen ließe. Und die Macht, die sie als „Braut des Führers“ genieße. Auch die Mutter aus Hessen sagt: „Mein Sohn fühlt sich geborgen in diesem Clan.“ Seinem Vater habe er an den Kopf geworfen: „Hast du etwa Leute, die jederzeit hinter dir stehen?“ Die Frau aus Bayern hat erlebt, wie ihr Sohn von seinen Kameraden bedroht wurde, als er über das Exit-Programm aussteigen wollte. Trotzdem hänge er noch immer emotional an seinem ehemaligen Anführer.

Warum, fragt Hardy Krüger nun, holen sie sich ihre Anerkennung nicht in einen Fußballverein? Die Jungs bei Fußball und beim Judo halte ihr Sohn allesamt für „Idioten“, sagt eine Mutter. „Und jetzt, wo er bei den richtigen Idioten ist, fühlt er sich zu Hause.“

Anetta Kahane weiß, warum. Die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, unter deren Dach Exit im Januar 2002 gegründet wurde, spricht von den sozialen Strukturen, die rechte Kameradschaften in Deutschland aufgebaut haben. Davon, wie schwer es ist, eine demokratische Gegenkultur zu etablieren – auch weil die staatliche Jugendhilfe die Augen vor dem Rechtsextremismus verschließe. Als Hardy Krüger zum dritten Mal in die Runde fragt: „Also, was können wir tun?“, freut sich Kahane. Solche Leute, die hingucken und helfen wollen, brauchen die Initiativen gegen Rechts. Für den Bruder der 17-Jährigen ist klar, welche Rolle Hardy Krüger spielen sollte: „Es muss Vorbilder geben, die sagen, da geht’s lang und da nicht.“ Der Mutter aus Hessen hat Krüger schon jetzt geholfen. „Ich kann jetzt wieder ein bisschen mit geradem Rücken nach Hause gehen“, sagt sie nach dem Gespräch mit dem Star, der ihr einfach nur zugehört hat.

Kontakt zur Exit-Elterninitiative unter (030)240 45-320; Informationen im Internet: www.amadeu-antonio-stiftung.de

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