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Berlin: Vorsicht, explosiv!

Thomas Grabow ist 33 Jahre alt und Berlins jüngster Bombenentschärfer. Wer den Job will, muss Familie haben – um vorsichtig zu sein

Wie spannend das immer aussieht auf der Leinwand: Mit zittrigen Händen hockt der Sprengstoffexperte neben der Bombe, er nimmt vorsichtig den roten Draht zwischen die Finger, Schweiß tropft von seiner Stirn. Dann endlich greift er zur Zange, knipst das Kabel durch und hofft auf sein Glück, auch die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Spannend mag so eine Szene im Kino schon sein, nur: Sie ist ziemlich unrealistisch. Thomas Grabow, 33 Jahre alt und der jüngste der sechs Berliner Polizeifeuerwerker, schüttelt immer den Kopf, wenn er so etwas im Fernsehen sieht.

Der Alltag in seinem Job gleicht nicht gerade einem Kinospektakel. Es gibt keine roten oder grünen Drähte, die durchtrennt werden müssen, und in ständiger Lebensgefahr steckt Grabow auch nicht. Die Gefahr einer Bombenentschärfung liegt vielmehr darin, dass eine Bombe nach 60 Jahren im Erdreich nicht immer auf Anhieb zu erkennen ist. Eine Tellermine sieht nach einigen Jahren so aus wie eine alte verrostete Hantel. Da können selbst Profis schon mal ins Grübeln kommen, ob der Gegenstand in ihrer Hand wirklich explosiv ist.

Bei einem unklaren Fund sei es wichtig, ihn erst einmal richtig einzuordnen, sagt Grabow. Dabei schüttele er schon mal den verrosteten Gegenstand und kratze vorsichtig an der Oberfläche, um ihn identifizieren zu können. Mulmig werde Grabow, wenn er ein Bombenfabrikat entschärfen muss, das vor nicht langer Zeit drei österreichische Kollegen das Leben gekostet hat.

Und trotzdem: Grabow übt seinen Beruf gerne aus, wie er sagt, obwohl er ständig mit dem Krieg und seinen Folgen konfrontiert werde. „In einer Baugrube werden neben Infanterie-Munition und alten Gewehrläufen auch Stahlhelme und Erkennungsmarken gefunden“, erzählt er. Während des Zweiten Weltkrieges wurden etwa 500 000 Tonnen Sprengstoff über der Stadt abgeworfen. Nach Expertenmeinungen sind davon bis zu 75 000 Tonnen nicht explodiert; und seit 1948 wurden gerade einmal gut 10 000 Tonnen davon unschädlich gemacht.

Der gelernte Metallbearbeiter ist nun seit 2003 auf dem Sprengplatz in Grunewald tätig und durch seine Arbeit als Polizeibeamter zum Bergungsdienst gekommen. Zu den Einstellungskriterien zählt neben der Ausbildung zum Feuerwerker, dass die Bewerber eine Familie haben. Was auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich aussieht, hat seinen Grund: Das Verantwortungsbewusstsein für die Familie, so heißt es bei der Berliner Feuerwehr, übertrage sich auf die Arbeit und halte auch Profis von übereilten Entscheidungen ab.

In den grünen Einsatzfahrzeugen rücken die Polizeifeuerwerker ein bis drei Mal täglich aus, um festzustellen, ob es sich bei einem Fund tatsächlich um Munition handelt. Vor allem bei Baumaßnahmen tauchen alte Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg immer wieder auf. Im letzten Jahr wurden so 75 Tonnen Munition sichergestellt, darunter Großbomben wie jene gestern im Westhafen und jene unter der Straße Unter den Linden, die Anfang des Jahres stundenlang den Verkehr blockierte.

Private Räumungsdienste begleiten dementsprechend vorsorglich Bauvorhaben auf besonders munitionsbelasteten Flächen und suchen gezielt nach Altmetall. Sie stellen Funde sicher und informieren den Bergungsdienst. Die Polizeifeuerwerker entscheiden dann, ob der Fund vor Ort vernichtet wird oder zur Einlagerung auf den Sprengplatz kommt.

In Berlin werden derzeit noch bis zu 3000 so genannte Großbomben vermutet. Bei ihnen muss sicherheitshalber vor dem Transport der Zünder entfernt werden. Wenn dies nicht problemlos gelingt, muss die Munition an Ort und Stelle entweder komplett vernichtet oder mit Hilfe der so genannten Low-Order-Technik gesprengt werden. „Hierbei wird nur der Mantel der Bombe gesprengt“, sagt Grabow, „sie sieht danach aus wie eine aufgeplatzte Kartoffel“. Der Zünder kann entnommen werden, ohne dass der gesamte Sprengstoff im Zündkörper explodiert.

Im vergangenen Jahr wurden in Berlin acht dieser Großbomben gefunden, zwei von ihnen wurden mit Hilfe der Low-Order-Technik gesprengt, um die Gefahr für umliegende Gebäude möglichst gering zu halten. Mit Erfolg.

Carolin Mieckley

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