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Berlin: Vorteil Ost: Wer zum 17. Juni sprechen darf

Gedenken im Parlament mit einer unüblichen Redeordnung

Nicht oft verabreden sich CDU, FDP und Grüne im Abgeordnetenhaus zur kollektiven Oppositionsarbeit. In der Plenarsitzung am gestrigen Donnerstag taten sie es: Die Fraktionsvorsitzenden Nicolas Zimmer (CDU), Martin Lindner (FDP) und Sibyll Klotz (Grüne) forderten nacheinander, die Aktuelle Stunde zum 17. Juni abzusagen. Stattdessen sollte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit erläutern, wie er sich angesichts der unüberschaubaren Berliner Schulden und der wachsenden Arbeitslosigkeit die Zukunft der Stadt vorstellt. Doch Rot-Rot ließ Schwarzgelbgrün die geballte Macht der Mehrheit spüren: Es blieb bei der Aktuellen Stunde zum 17. Juni.

Wäre sie entfallen – die Stadt hätte es verkraftet. Nicht, weil den Rednern zum 17. Juni nichts einfiele. Wenn es im Abgeordnetenhaus ums Gedenken und um die Historie geht, nutzen alle Parteien die Chance, eigene Leistungen zu preisen und eigene Erfolge zu historisieren. Ein Ost-Gedenktag hat noch einen Vorteil: Von der PDS abgesehen schicken die Fraktionen selten in der DDR geborene Redner ans Pult – beim 17. Juni aber ist autobiografische Ost-Kompetenz gefragt. Der SPD-Abgeordnete Torsten Hilse, geboren 1955 in Zittau, stellte fest, „ein emanzipatorischer Impuls“ sei von diesem 17. Juni ausgegangen und habe bis 1989 gewirkt. Weil Politiker aus dem Osten Deutschlands immer noch die Neigung zum verbindlichen Schluss haben, sagte Hilse, man sei heute „auf gutem Wege“, den 17. Juni ins kollektive Gedenken aufzunehmen. Für die CDU sagte Andreas Apelt, 1958 in Luckau geboren, am Ende habe der Freiheitswillen gesiegt. Es sei gut, dass das Thema 17. Juni endlich in den Schulbüchern vorkomme. Doch müsse man auch den Opfern des DDR-Regimes Gerechtigkeit widerfahren lassen, bis hin zum Rentenrecht.

Wer in der Debattenrunde zunächst keine biografische Ost-Kompetenz aufbieten mochte, entsandte einschlägig gebildete West-Kompetenz. Für die Grünen beschrieb Michael Cramer (Lehrer), dem kein verkehrspolitisches Thema fremd ist, an der Person des Ost-Berliner Kommunisten Heinz Brandt, wie ein linker Idealist 1953 um seinen Idealismus gebracht wurde – um ihn als Menschenrechtler im Westen wiederzufinden.

Die FDP bot mit Axel Hahn einen gelernten Historiker auf. Weil Historiker erbarmungslose und klarsichtige Leute sind, erinnerte Hahn an die Freiheit, die den Aufständischen des 17. Juni wichtig war – und dann an die „organisatorische Kontinuität“, die die PDS mit der SED verbindet. PDS-Fraktionschef Stefan Liebich suchte Schutz beim Schriftsteller Stefan Heym. Bei dem hatte er ein Zitat gefunden, dass nur derjenige eine Zukunft habe, der „die Vergangenheit bewältigt hat“.

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