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VW-Klage im Berliner Kammergerichts: „Der Ehrliche ist mal wieder der Dumme“

Das Berliner Kammergericht will Gutachten zum Software-Update von VW einholen – wenn Kläger Hans-Joachim L. in Vorkasse geht.

Von Sandra Dassler

„Ich finde es einfach total ungerecht“, sagt Hans-Joachim L.: „Man wurde bei einem Kaufvertrag nachweislich und bewusst betrogen und soll dann auch noch für die dadurch entstandenen Schäden aufkommen. Beziehungsweise muss nachweisen, dass es diese Schäden überhaupt gibt – und dafür wieder bezahlen. Ich hatte gehofft, dass das Berliner Kammergericht dieser Ungerechtigkeit ein Ende bereitet."

Am Dienstag wurde klar, dass dem nicht so ist. Auch der 21.Zivilsenat des Berliner Kammergerichts vertritt – so der Beschluss vom 30.4.2019 (Az. 21U49/18) – die Ansicht, dass Hans-Joachim L. beweisen muss, welcher Schaden ihm entstanden ist. Der 74-jährige ehemalige Diplomingenieur für Verfahrenstechnik aus Charlottenburg hatte zunächst vor dem Berliner Landgericht eine Klage gegen ein VW-Autohaus erhoben, das ihm vor gut vier Jahren einen Tiguan verkaufte. Der konnte, wie sich später herausstellte, nur mit Hilfe illegaler Technik die Abgasnormen einhalten. L. wollte ihn deshalb gegen ein neues Fahrzeug mit gleichwertiger Ausstattung umtauschen. Das Autohaus verweigert das mit Hinweis auf das zwischenzeitlich erfolgte Software-Update, mit dem die illegale Technik ausgeschaltet worden sei. Und das Landgericht gab dem Autohaus recht.

Ehrlichkeit als Verhängnis

„Wie Hunderttausenden vom Abgasskandal betroffenen VW-Kunden ist meinem Mandanten seine Ehrlichkeit zum Verhängnis geworden“, sagt der Berliner Rechtsanwalt Thomas Schmidt: „Das Update musste er ja machen lassen, weil er sonst in Gefahr lief, das Auto nicht mehr fahren zu können. Für die dadurch entstandenen Schäden und Mehrkosten soll er nun aber selbst aufkommen.“ Hans-Joachim L. selbst findet das Ganze nur noch empörend. „Man wurde ja von allen Seiten – unter anderem auch vom Kraftfahrzeugbundesamt – aufgefordert, das Update machen zu lassen, weil sonst die Stilllegung drohte“, sagt er: „Und jetzt wird man dafür bestraft.“ Sein Anwalt sieht das ähnlich. „Hier soll der Betrogene nachweisen, dass er Schäden erlitten hat, obwohl sich tausendfach Updatemängel bestätigt haben und VW bisher nicht nachweisen konnte, dass das Update fehlerfrei funktioniert."

Um ein Gutachten zu seinem Nachteil zu verhindern, biete der Konzern regelmäßig Vergleiche an, berichtet Schmidt, der mehrere Kläger in verschiedenen Bundesländern vertritt. In einem anderen Fall, bei dem das Landgericht Berlin von VW die Sachverständigenkosten forderte und nicht vom Käufer habe man den Kostenvorschuss einfach verweigert. Und dem Betroffenen dann einen so guten Vergleich angeboten, dass der darauf einging.

„Außerdem braucht man für das Gutachten eigentlich die Unterstützung von VW in Sachen Software, die natürlich verweigert wird“, sagt der Rechtsanwalt: „Genau darauf setzt der Konzern, aber es kann nicht sein, dass er mit dieser Taktik immer wieder durchkommt.“ Schließlich sei von zahlreichen Experten festgestellt worden, dass das Software-Update unter anderem zu einem rund zehn Prozent höheren Kraftstoffverbrauch führe, der Motor zudem stärker belastet würde und auch die Filter früher erneuert werden müssten, sagt Schmidt. Trotzdem können VW-Kunden, die in Deutschland ein Auto mit dem angeblich besonders schadstoffarmen Diesel-Motor EA 189 kauften, ihre Ansprüche nur vor Gericht durchsetzen. In den USA hingegen durften die Betroffenen nach Bekanntwerden des Betrugs ihre Autos nicht nur zurückgeben, sondern erhielten zusätzlich noch eine Entschädigung.

Beweisaufnahme könnte lange und kostenspielig werden

Zwar hat der Bundesgerichtshof im Februar dieses Jahres eine viel beachtete rechtliche Einschätzung veröffentlicht, wonach die illegale Abgastechnik in den Autos als Sachmangel einzustufen ist, doch das hilft Kläger Hans-Joachim L. nicht wirklich. Jedenfalls nach Ansicht von Rechtsanwalt Tim Wünnemann, der vor Gericht das VW-Autohaus vertritt. Der Sachmangel, also die Gefahr des Verlustes der Betriebserlaubnis, sei ja durch das Sofware-Update gerade beseitigt worden, argumentierte er bei der ersten Verhandlung vor sechs Wochen am Kammergericht.

Der 21. Zivilsenat hatte dabei allerdings erkennen lassen, dass er durchaus gewillt ist, in die Beweisaufnahme zu gehen. Allerdings könne dies lange dauern und kostspielig werden. Deshalb hatte man den Parteien auch noch einmal eine Frist für eine gütliche Einigung eingeräumt.

Diese kam nicht zustande. Während der Anwalt des VW-Autohauses von einem sehr anständigen Angebot sprach, bezeichnete es der Anwalt des Klägers eher als lächerlich. „Es reicht jedenfalls hinten und vorne nicht, um heute einen vergleichbaren Neuwagen zu erhalten“, sagt Hans-Joachim L. Jetzt muss der Rentner nach dem Willen des Kammergerichts auch noch in Vorkasse für das zu erarbeitende Gutachten gehen. Das ist laut Gerichtsbeschluss erforderlich, um nachzweisen, „ob das das Software-Update zu den vom Kläger behaupteten nachteiligen Auswirkungen auf das Fahrverhalten, den Verbrauch und die Haltbarkeit einzelner Komponenten des Motor- und Abgassystems geführt“ hat. Sollte das der Fall sein, könne es sich um „eine fehlgeschlagene Mängelbeseitigung“ handeln und der Kläger Recht bekommen.

Beweislast beim Kläger

Allerdings sieht der 21. Zivilsenat die Beweislast beim Kläger und hat dementsprechend die Einholung des Sachverständigengutachtens davon abhängig gemacht, dass dieser einen Kostenvorschuss leistet. Hans-Joachim L. rechnet mit etwa 40 000 Euro. „Diese zahlt zunächst seine Rechtschutzversicherung“, sagt sein Anwalt. Auf jeden Fall sei sein Mandant entschlossen, den Weg notfalls bis zum Bundesgerichtshof zu gehen. „Es kann nicht sein, dass der Ehrliche mal wieder der Dumme ist.“

Aufgeben will auch Schmidt nicht. Er hat bereits in einem anderen Fall durchgekämpft, dass ein Wilmersdorfer Rentner, der im Januar 2015 einen VW Touran mit dem Diesel-Motor EA 189 gekauft hatte, ein neues Auto erhielt. Jedenfalls nach einem Urteil des Berliner Landgerichts (Az. 22 O 135/17), das allerdings noch nicht rechtskräftig ist. Das Autohaus muss dem Kläger ein fabrikneues, typengleiches Fahrzeug mit gleicher oder gleichwertiger Sonderausstattung liefern. Und außerdem 2077 Euro nebst Zinsen rückwirkend zum Dezember 2017 als Schadensersatz zahlen. 

Allerdings hatte der Wilmersdorfer Rentner im Gegensatz zu Hans-Joachim L. kein Software-Update durchführen lassen.

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