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Neukölln

© Uwe Steinert

Wachsweich: Neuköllner Jugendliche engagieren sich sozial

Es gibt auch eine andere Seite von Neukölln: Nicht nur Schläger leben in dem Berliner Bezirk mit dem schlechten Ruf - 60 Jugendliche wollen sich sozial einbringen. In einem Verein sammeln sie nun Ideen - und Leute, die mitmachen.

Wenn die Gymnasiastin Hülya Akgüner von ihren Mitschülern gefragt wird, ob sie bald ihren Cousin heiraten muss, sagt sie: ja. „Nur so zum Spaß.“ Sie lacht und fügt ernst hinzu, „die glauben mir das glatt“. In ihrer Nase steckt ein kleiner goldener Stecker, die langen dunklen Haare hat sie mit einer Spange fixiert. Die 19-jährige Türkin ist enttäuscht, dass ihre Schulfreunde keinen Unterschied erkennen, zwischen ihr und einem unterdrückten Mädchen.

Dabei sei ihre Familie „perfekt integriert“. Was das heißt? „Meine Eltern sprechen gut Deutsch, verstehen Deutschland, sie haben hier ein Haus gekauft.“ Noch vor zehn, zwanzig Jahren war für die meisten Türken klar, dass sie über kurz oder lang in die Heimat zurück wollten. Doch die Zeiten seien vorbei, „wir Kinder wollen nirgendwo anders leben, wir kennen nichts anderes“, sagt Hülya. Also ist ihre Familie nach Rudow gezogen, in ein Einfamilienhaus mit Garten. Und die Akgüners sind nicht die Einzigen im Viertel mit einem fremd klingenden Namen an der Tür. Hülya und ihre zwei Brüder stehen für die Nachkommen der neuen bürgerlichen Türken, die sich längst in den besseren Wohnvierteln Neuköllns etabliert haben.

Hülya ist stolz auf ihre Eltern, die vor über zwanzig Jahren als Kinder von Gastarbeitern nach Berlin kamen. Ihr Vater ist Vorarbeiter bei Ford, die Mutter eine sozial engagierte Hausfrau. Hülya will sich auch engagieren, deshalb tritt sie dem Verein „Jugend Neukölln“ bei, der sich Ende der Woche gegründet hat. Hier will sie sich dafür einsetzen, dass das Viertel nicht länger nur für das Klischee von kriminellen Randgestalten im Problembezirk steht. Und sie will, dass auch die Eltern anderer Kinder endlich in Deutschland ankommen, so wie ihre.

Wie das geschehen soll, weiß Hülya noch nicht so recht. In den kommenden Wochen wollen die jungen Mitglieder des Vereins Ideen für Projekte sammeln, die den Bedürfnissen der Jugendlichen im Brennpunkt Neukölln entsprechen. Rund 60 Jugendliche verschiedener Herkunft haben bereits zugesagt, im Verein mitzuwirken, sie stammen aus Kroatien, Deutschland, Kosovo, der Türkei und anderen Ländern. Schon bald wollen sie an Schulen Flyer verteilen, damit andere Schüler davon erfahren und mitmachen.

Bei einer dieser Vereinsrunden könnte Hülya auf Atilla Korkmaz treffen, einen jungen Türken, der auf den ersten Blick den Klischees entspricht, gegen die sie kämpft: Der 22-jährige Schulabbrecher trägt weite Klamotten und eine schwarze Wollmütze, die er tief ins Gesicht zieht. Beim Verein will er mitmachen, weil Leute wie er da mitreden können. Er ist davon überzeugt, dass viele Jugendliche in Neukölln erst begreifen müssen, wie wichtig Schule ist. „Sie entscheidet, was du später mal für ein Leben hast.“

Atilla sagt außerdem Sätze wie „Wissen ist Macht“. Er hat offenbar viel über seine Geschichte nachgedacht – eine Aneinanderreihung von Familienproblemen und Dummheiten, schwänzen, stehlen, pöbeln – „was man halt so macht, wenn man auf der Straße abhängt“. Sein Vorschlag: Man müsste den Jugendlichen zeigen, wohin die Wege führen, die sie im Leben einschlagen. Etwa mit einer Führung durch die Welt der Erfolgreichen, und dann, zur Abschreckung, durch die Welt der Verlierer. Atilla sagt, er habe früher nicht geahnt, was es für Folgen hat, wenn man so lange die Schule schwänzt und keinen Abschluss macht.

Ferda Ataman

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