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Berlin: Währung der Hauptstadt

Seit gut einem Jahr gibt es den „Berliner“. Das Alternativgeld hat den gleichen Wert wie der Euro und erobert allmählich die Stadt

Euro und Berliner vertragen sich gut. In der Ladenkasse von Ingo Specht, dem Buchhändler, stecken sie zusammen im Fach für die höherwertigen Scheine. Wenn sich ein paar angesammelt haben, steckt Herr Specht die Berliner in seine Geldbörse und trägt sie ins Restaurant Zander, um dort opulent zu speisen. Oder er gibt sie dem Bäcker in der Sredzkistraße für die Sonntagsbrötchen. Bekommen hat er die bedruckten Zettel übrigens von Yvonne Schulz, Studentin der Landschaftsplanung. Knapp elf Berliner hat sie für den Mankell-Krimi ausgegeben. Dann hat sie noch zwei Eierbecher gekauft, im Haushaltsgeschäft am Kollwitzplatz, für 8 Berliner 55. Und dann waren ihre Berliner fast schon alle.

Es hat eine kleine Währungsreform stattgefunden in dieser Stadt. Man sagt vielleicht besser: Währungsvervielfachung. Nach D-Mark und Euro gibt es seit etwa einem Jahr auch den Berliner. Das Praktische an ihm ist, dass er den gleichen Wert hat wie der Euro. Man kann ihn allerdings nicht zur Bank bringen. Der Berliner wirft keine Zinsen ab – im Gegenteil. Zögert man zulange, ihn auszugeben, verliert er an Wert. Der Berliner ist eine Art Schwindgeld. Er reizt an, ihn auszugeben.

Yvonne Schulz tauscht im Monat 20 bis 30 Euro in Berliner um und geht dann beispielsweise in den „Biofrischemarkt“ an der Danziger Straße einkaufen. Der Biomarkt bezahlt schon einige seiner Lieferanten mit Berlinern, denn die Tücke der neuen Währung will es, dass beim Rücktausch von Berliner in Euro fünf Prozent abgezogen werden. Der Berliner soll sich mit Hilfe dieser Regelung weiter ausbreiten. Außerdem werden mit dem Umtauschgewinn soziale Projekte gefördert. 10 000 Berliner sind vermutlich im Umlauf, schätzt Susanne Thomas, die Vorsitzende des Vereins „Berliner Regional“, der das Alternativgeld herausgibt. Die Idee ist, einen möglichst geschlossenen Geldkreislauf zu schaffen, der die regionale Wirtschaft befördert. Vorbilder gibt es in Süddeutschland. Noch in diesem Jahr sollen Hamburg und Potsdam eigene Währungen bekommen. Die Alternativgelddrucker wollen die Macht der Filialisten mindern, der Globalisierung die Stirn bieten und Produkten aus der Region zu mehr Absatz verhelfen. Hinter dem Berliner steht die „Grüne Liga“, ein Verbund ökologischer Initiativen.

Zunächst schalteten sich nur ein paar Händler aus Prenzlauer Berg in den Berliner-Kreislauf sein, langsam erobert das Alternativgeld aber die ganze Stadt. 136 Gewerbetreibende und Dienstleister akzeptieren inzwischen die roten und blauen Papierscheine mit dem Datumsaufdruck. Maximal sechs Monate lang ist ein Berliner gültig, dann verfällt er und muss umgetauscht werden. Offiziell gilt der Berliner als „Gutschein“. Gedruckt wird er aber dort, wo auch der Euro, der große Bruder des Berliners, herkommt: in der Bundesdruckerei. Angeblich ist der Berliner – wie der Euro – absolut fälschungssicher.

Als sie anfing, mit Berlinern zu bezahlen, befürchtete Yvonne Schulz, Opfer des schnoddrigen Berliner Humors zu werden. „Och nee, hamse keen richtiges Jeld?“ Doch die Sprüche blieben aus. Der Berliner wird nicht als Zahlungsmittel zweiter Klasse wahrgenommen. Ingo Specht weiß sogar von einem Kunden aus Westdeutschland zu erzählen, der immer stoßweise Bücher bestellt und ein paar Tage später vorbeikommt, um sie gegen Vorlage von mehreren hundert Berlinern abzuholen. „Der ist ganz begeistert von dem Regionalgeld.“ Spechts Laden „Bücher sind Lebensmittel“ in der Senefelder Straße ist der einzige Buchladen, der bislang Berliner annimmt – ein echter Wettbewerbsvorteil.

Berliner können bei der Grünen Liga, Prenzlauer Allee 230, im Laden „Coledampfs Culturzentrum“ am Kollwitzplatz und in der Kreuzberger Kirchengemeinde St. Bonifatius, Yorckstraße 88c, eingetauscht werden. Eine Liste der Läden, die Berliner akzeptieren, gibt es im Internet: www.berliner-regional.de

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