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Die grüne Combo will an die Beatles erinnern und die Wahl rocken.

© dpa

Wahlkampf in Berlin: Die Plakate der Parteien im PR-Test

Seit heute werben Berlins Parteien auf den Straßen für sich und die Wahl – mit halb zu sehenden Kindern, warmen Retrofarben und frechen Sprüchen. Wir haben die Plakate mit Werbeexperten analysiert.

Und plötzlich, über Nacht, ist Berlin eine andere Stadt. Sieben Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl am 18. September haben Berlins Parteien in der Nacht zum heutigen Sonntag die Straßen und Plätze mit ihren Plakaten verschönert - oder verschlimmbessert? Von Politikerkindern bis zu Oma Anni ist jedenfalls alles dabei, was das Politmarketing zu bieten hat. Aber sind die Plakate wirklich gute PR? Wir haben sie uns genauer angesehen und mit Fachleuten gesprochen.

SPD – Bürgermeister im Hintergrund

Eine Frau mit rosa Kopftuch kommt die Rolltreppe herunter. Sie dreht dem Betrachter den Rücken zu. Links unten im Bild sieht man stark verschwommen einen Mann, der die Rolltreppe in die andere Richtung nach oben fährt, das Jackett lässig über die Schulter gelegt. Bei näherem Hinsehen erkennt man den Regierenden Bürgermeister Michael Müller. Auf dem Plakat steht „Müller, Berlin“ und „#BerlinBleibtWeltoffen“. Das SPD-Logo taucht nicht auf. In diesem Stil sind alle Plakate der Regierungspartei gehalten. Sie setzen auf Müller als Figur im Hintergrund, aber immer präsent. Inhaltliche Forderungen sind nicht zu finden, wie das in modernen Wahlkämpfen oft der Fall ist. Emotionen stehen im Vordergrund.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller fährt auf einer Rolltreppe aufwärts.
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller fährt auf einer Rolltreppe aufwärts.

© promo

„Man kauft Müller das ab. Er ist eben nicht die Partybombe, sondern der Normalo“, sagt Bastian Meneses von Arnim, Gründer der Werbeagentur „Glück Berlin“. Auch Ralf Mueller von der Haegen und Felix Lohmaier, Geschäftsführer der Agentur „FLMH“, finden die Kampagne visuell gelungen und authentisch. Die Werbeexperten sind sich jedoch darin einig, dass der Inhalt fehlt. Zur Abwesenheit des SPD-Logos erklärt Lohmaier: „Wir wussten ja, dass es der SPD schlecht geht, aber dass es ihr so schlecht geht…“

Wahlkampfleiter bei der SPD ist mal wieder Genosse Frank Stauss. Er gewann bereits 2001, 2006 und 2011 mit den Sozialdemokraten in Berlin. Damals noch mit Klaus Wowereit. Über das Wahlkampfbudget macht die SPD keine Angaben und verweist auf die letzte Wahl. 2011 investierten die Sozialdemokraten 1,7 Millionen Euro in den Wahlkampf.

CDU – Kandidat mit Kind

CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel macht Werbung mit seinem Sohn Leopold Maximilian, kurz Leo, auf den Schultern. Das Gesicht ist nicht zu sehen, der halbe Kopf ist auf dem Bild abgeschnitten. Die Experten finden das widersprüchlich: „Entweder will er seinen Sohn im Wahlkampf präsentieren oder nicht“, sagt Meneses von Arnim. Es wirke außerdem eher wie ein Symbolbild aus dem Archiv. Lohmaier sieht den Versuch, das Bild des starken Mannes, das Henkel in der Innenpolitik von sich zeichnet, abzumildern: „Guck mal, der ist ein lieber Papa – was kann der schon Schlimmes gemacht haben im Streit um die Rigaer 94?“ Kenner des Innensenators sehen das anders. Das Bild von Henkel in der Öffentlichkeit entspräche nicht seinem Wesen – das Foto mit seinem Sohn sei eigentlich der echte Henkel. Das Problem ist offenbar: Es gelingt ihm nicht, dieses Bild von sich öffentlich zu etablieren.

Frank Henkel zieht mit Sohn Leo in den Kampf.
Frank Henkel zieht mit Sohn Leo in den Kampf.

© promo

Auf anderen Plakaten der CDU sind Nilpferde und Polizisten zu sehen. Die Themen: Sicherheit, Wirtschaft, Familie. Der Slogan :„Starkes Berlin“. Was wie ein Kontrast zum Papa-Bild wirkt.

Die CDU hat den Wahlkampf keiner Lead-Agentur anvertraut. Stattdessen gibt es etwa eine Million Euro Budget für den Kampagnenmanager und Justizsenator Thomas Heilmann, vormals in leitender Stellung bei Scholz & Friends.

Die Opposition setzt auf visuelle Effekte

Die Linke setzt auf Retrolook.
Die Linke setzt auf Retrolook.

© dpa

Linke – Rot auf Schwarz-Weiß-Bildern

Die Linke setzt auf Altbekanntes mit schöner Ästhetik und Wiedererkennungswert. „Mietrebellin: Oma Anni bleibt“ und „Rechenkünstler: Armut stoppen“ sind zwei der Wahlslogans. Weiße Schrift auf rotem Grund, dazu meist Schwarz-Weiß-Bilder, hauptsächlich Portraits - dazu soziale Slogans. „Das hat alles einen schönen sozialistischen Retrostil“, sagt Experte von Arnim. Durch die immer gleichen Kampagnen würde man allerdings keine neuen Wählerschichten erschließen, meint von der Haegen.

Anders als bei CDU und SPD stehen keine Parteipersönlichkeiten im Fokus. Die Linke will bei ihrer Kampagne laut eigener Aussage „kein Werbegedöns“. Es gehe ja nicht um Tourismus-Marketing. Die zentralen Themen sind Arbeit, Bildung und sozialer Wohnungsbau. Zuständig dafür ist die Agentur DiG. Sie hat einen berlinigen Hintergrund, arbeitet früher auch für Spreequell, die Volkssolidarität und die S-Bahn. Das Budget ist mit 900 000 Euro relativ sozial.

Grüne – ein visuell ansprechendes Quartett

Die Grünen starten mit einem Widerspruch auf ihrem Plakat. „Berlin geht nur zusammen. Große Koalition abwählen“. Das funktioniere nicht, direkt hintereinander Einheit zu beschwören und dann die große Koalition zu verabschieden, heißt es von den befragten Werbeexperten.

Ihr Wahlkampf: "Dein Gott? Dein Sex? Dein Ding!"
Ihr Wahlkampf: "Dein Gott? Dein Sex? Dein Ding!"

© dpa

Auf dem Plakat schiebt ein Mann im Sonnenschein ein Mädchen auf dem Fahrrad an. Der Hintergrund weckt Assoziationen an das Tempelhofer Feld. „Damit wollen die Grünen das Ergebnis der Volksabstimmung für sich beanspruchen“, meint Lohmaier. Visuell, sagen die Experten, sei die Kampagne der Grünen ansonsten gut gelungen.

Die Grünen setzten auf die Werbeagentur „DieckertSchmidt“. Eine Frontfigur wie Henkel oder Müller gibt es nicht, schließlich tritt die Partei im Viererteam an. Die Grünen verzichten nach dem Debakel von Renate Künast vor fünf Jahren bewusst auf einen Spitzenkandidaten, stellen aber Ramona Pop etwas mehr nach vorn. Das Wahlkampfbudget liegt bei etwa 1,7 Millionen Euro.

FDP – mit Grüßen an das Gestern

Hauptsache Abgeordnetenhaus – das ist das Motto bei der FDP. Seit 2011 sitzen die Freien Demokraten nicht mehr im Parlament. Mit frechen Sprüchen wie „Hey Gestern, wir können ja Freunde bleiben“, wollen sie jetzt das „nächste Berlin“ gestalten. Auch hier loben Experten den Stil und kritisieren den Inhalt.

Sebastian Czaja wirbt für ein Morgen der FDP.
Sebastian Czaja wirbt für ein Morgen der FDP.

© dpa

Das Design ist laut Agentur FLMH an jenes von Samsung angelehnt. Der Spruch sei zwar frech, aber würde kein Bild der Partei vermitteln. Schlecht beurteilen die Werbeleute ein Plakat, auf dem der Kopf von Spitzenkandidat Sebastian Czaja abgebildet ist mit dem Spruch „Plan B“. „Plan B ist eine schlechtere Alternative, ich frag mich da, wer denn Plan A ist“, sagt von Armin.

Wahlkampfmanager Christian Renatus betreut seit 1990 viele Wahlkämpfe der Liberalen. Unterstützt wird Renatus dabei von der Agentur „Heimat“. Das Budget beträgt 250 000 Euro, dazu kommen Mittel für Bezirkskampagnen.

Die AfD setzt auf Inhalte - bei schlechter Optik

Die AfD meint zu wissen, was Berlin braucht.
Die AfD meint zu wissen, was Berlin braucht.

© Reuters

AfD – Werbung für die eigene Zielgruppe

Bei der AfD ist alles anders. Grafik schlecht, Inhalt funktioniert – heißt es von den Werbeagenturen. Eine Person mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze klettert auf einem AfD-Plakat über einen Metallzaun. „Berlin braucht klare Regeln. Asylchaos sofort stoppen! Zuwanderung einschränken!“, steht darunter. Das Asylthema ist mit Einbruch gleichgesetzt. „Man muss die Einstellung nicht teilen, aber bei der Zielgruppe kommt das an“, meint Lohmaier. Das Design sei hier nicht so wichtig, da die AfD direkt mit Inhalten werbe.

Slogans wie „Berlin braucht“ suggerieren zudem einen Mangel und Handlungsbedarf. Wer das Problem dann wie löst, sei erst mal egal, analysiert von Arnim.

Bei den Parteifarben habe es die AfD am besten getroffen: „Blau vermittelt Seriosität und Stabilität. Darum haben etwa die Tagesschau oder die Deutsche Bank Blau als Farbe gewählt“, sagt Lohmaier.

Hans-Joachim Berg leitet den Wahlkampf der Berliner AfD. Er ist Rechtsanwalt und Oberst der Reserve und hat als ehemaliger Vize-Direktor der Deutschen Welle Erfahrung im Umgang mit Medien. Die AfD hat auch eine Agentur beauftragt, will deren Namen allerdings aus „Sicherheitsgründen“ nicht nennen. Auch das Wahlkampfbudget bleibt ein Geheimnis.

Ein vom Tagesspiegel organisiertes Streitgespräch zwischen den Spitzenkandidaten der Berliner AfD, Georg Pazderski, und dem Berliner Linke-Chef Klaus Lederer lesen Sie hier.

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